Reiseanbieter
Ein zweiter Konkursfall WTA-X wäre existenzbedrohend
Hanspeter BürginDer wochenlange Ausnahmezustand, ausgelöst durch die Insolvenz der in Wald (ZH) domizilierten deutschen WTA-X-Reisegruppe Mitte September, ist zwar überstanden. Doch von Normalität und Alltag zu sprechen, wäre noch verfrüht. Stefan Spiess, seit zwei Jahren Geschäftsführer, anerkennt, dass der WTA-X-Fall die Geschäftsstelle wie noch nie gefordert hat und der Stiftungsrat die Strukturen und Prozesse des Garantiefonds grundlegend überdenken muss. „Er befindet sich in einer Art Klausur“, sagt Spiess, „konkrete Beschlüsse gibt es frühestens im Frühjahr.“
Dass gehandelt werden muss, ist der Branche klar. Einen zweiten Fall WTA-X mit einem Schaden zwischen fünf und sechs Millionen Franken könnte der Garantiefonds nicht mehr verkraften. Pro Jahr muss er aus eigener Kraft einen Verlust von sechs Millionen Franken abdecken können. Erst wenn der Gesamtschaden höher ist, springt die Rückversicherung ein. Das dürfte im zu Ende gehenden Jahr der Fall sein. Mitte Januar 2015 ging das in Glattbrugg (ZH) domizilierte Reisebüro Intertravel Konkurs. Dieser belastet den Garantiefonds mit einer Million Franken. Am 7. Oktober folgte noch die Insolvenz von Palm Travel AG in Cham mit einem Schaden von rund 200'000 Franken.
„Im Nachhinein scheint alles immer viel klarer und einfacher“, wehrt sich der 45 Jahre alte Geschäftsführer des Garantiefonds gegen Vorwürfe, man habe im Fall WTA-X zu spät gehandelt. Tatsache ist: Das im Zürcher Oberland niedergelassene, aber vor allem auf deutsche Kunden ausgerichtete Online-Reisebüro mit verschiedenen Namen stand auf dem Radar des Fonds, die Garantiesumme wurde noch verdoppelt und eine vertiefte Überprüfung des Geschäftszahlen angesetzt. Rund zwei Wochen vor der anberaumten Frist flüchtete sich die Firma in Deutschland in die Insolvenz und in der Schweiz in den Konkurs. Es begannen hektische Tage und Wochen mit unzähligen Überstunden und Wochenendarbeit, weil alle Beteiligten einen so grossen Fall nicht im Kalkül hatten. „Leider sind in diesem Fall die Leistungen in den ersten 24 Stunden nach Erklärung der Zahlungsunfähigkeit vorerst zusammengebrochen“, blick Spiess zurück, „weil die Leistungspartner keine andere Option sahen“. Das Wiederherstellen der Reisen sei sehr aufwändig gewesen.
Konsumenten ein Teil des Problems
Bei den in der Schweiz registrierten, aber in Deutschland operierenden Reiseanbietern waren rund 15'000 Kunden betroffen, von denen 70 Prozent ihre Reise antreten konnte. Nur 200 von 7500 Dossiers wurden storniert. Spiess betont, wie hilfreich die temporäre Unterstützung durch seinen Vorgänger und einer früheren Mitarbeiterin war. Seit kurzem laufen nun die Fäden bei der Europäischen Reiseversicherung in München zusammen, was für den Fonds sowie für die Konsumenten eine Vereinfachung darstelle. Auch wenn die Geschäftsstelle nicht mehr so gefordert sei wie im Herbst, „konnten wichtige Aufgaben aus dem Tagesgeschäft heraus nicht wie geplant umgesetzt werden“, räumt Spiess ein, „oder mussten aufgeschoben werden“.
Der WTA-X-Fall ist nicht nur von seiner Grösse her von zentraler Bedeutung für die Schweizer Reisebranche, sondern auch wegen der grundsätzlichen Fragen, die er aufwirft. „Derzeit reicht ein Firmensitz in der Schweiz aus, damit man in Zuständigkeitsbereich des Garantiefonds fällt“, kritisierte Stiftungsratspräsident André Dosé in einem Interview mit „Travel-Inside“ den Ist-Zustand. „Das müssen wir jetzt hinterfragen.“ Verhindern möchte er den Missbrauch durch Firmen, die nur aus steuerlichen Gründen hier sind, aber keinen Bezug zur Schweiz haben. Ein Problem sei das „immer intransparenter werdende Internetzeitalter“, um die Informationen der Mitglieder zu kontrollieren. Zur Debatte steht auch, ob ein gewisser Produktionsanteil in der Schweiz vorgeschrieben werden soll.
Im Zeitalter der „Geiz-ist-Geil-Mentalität“ sind es aber auch die Konsumenten, die ein Teil des Problems sind. Nur wenige Kunden würden sich darum kümmern, ob sie bei einem seriösen Anbieter buchen und ob ihr einbezahltes Geld im „schlimmsten Fall“ abgesichert ist. „Meist gewinnt der Anbieter mit dem billigsten Preis, Reisegarantie hin oder her“, kommentierte kürzlich das Fachblatt „Travel-Inside“. Stefan Spiess wünscht sich, dass die Branche mehr zur Aufklärung der Kundschaft macht. „Leider stehen uns nur beschränkt Mittel für die Kommunikation zur Verfügung.“ Man wäre schon „einen grossen Schritt“ weiter, sagt er, wenn die Reisebüros selber den Vorteil einer Kundengeldabsicherung aktiver als Verkaufsargument einbrächten. Ein entsprechendes Video, das die Vorteile aufzeigt, könnte von den Garantiefonds-Teilnehmern als Eigenwerbung und Information auf der eigenen Homepage eingesetzt werden.
Kritik am Fonds
Nach den struben Wochen und Monaten blickt Stefan Spiess am Jahresende zuversichtlich in die Zukunft. Auch wenn er „sehr stark gefordert“ gewesen sei, mache ihm die Arbeit weiterhin viel Freude, weshalb er „noch lange“ für den Garantiefonds tätig sein möchte. Mit 1400 Mitgliedern ist die vor 20 Jahren mit einem Kapital von 10'000 Franken gegründete Stiftung mit grossem Abstand der führende Absicherer der Branche. Mit einer Mindestgarantiesumme von 50'000 Franken aber auch der teuerste. Und vor kurzem musste er auch noch eine Erhöhung der Teilnahmegebühren auf 1. Januar um über zehn Prozent bekanntgeben.
Kritisiert wird der Fonds vor allem von kleineren Reisebüros. Sie werfen ihm Intransparenz vor, aber auch, dass er zu teuer sei. Die Kleinen würden für die Grossen bezahlen, heisst es bei der Vereinigung Fair (Federation of Active and Independent Retailers). Als Konsequenz kündigte sie deshalb kürzlich an, ab 1. Januar 2016 mit dem eigenen „Reisegarant“ eine Alternative aufzubauen. Das wäre dann neben „Suisse Travel Security“ und „tpa“ die vierte Organisation, die eine Kundengeldabsicherung anbietet. Die neue Konkurrenz sieht Spiess nicht einmal ungern. „Wir sind dadurch freier, nach unsern Kriterien zu prüfen und Interessenten auch abzuweisen, da es ja Alternativen gibt.“ Aus Kundensicht jedoch sind die unterschiedlichen Markenzeichen wohl eher ein Nachteil, weil sie die Transparenz nicht erhöhen.