Karriere

Chefs sind anderen Menschen hierarchisch vor-gesetzt, weil man ihnen als Person zutraut, Entscheide fällen zu können. Bild: AdobeStock

Es gibt keine richtigen oder falschen Entscheide

Felix Frei

Jede Hierarchie benötigt einen Chef, der in der Lage ist, Entscheide zu fällen. Psychologe Felix Frei erklärt, was ein Entscheid ist und was hinter einem solchen steckt.

Zuerst müssen wir uns vor Augen halten, was eigentlich ein Entscheid ist. Dass zwei plus zwei vier ist, ist kein Entscheid, sondern das Ergebnis korrekten Rechnens. Ich kann auch nicht einfach entscheiden, zwei plus zwei sei drei. Ich kann mich höchstens dafür entscheiden, falsch zu rechnen.

Das Wesentliche an echten Entscheiden ist, dass man sie immer auch anders hätte fällen können.

Hierin liegt der Grund – und das sollten wir uns zweitens vor Augen halten –, warum es in jeder hierarchischen Organisation Chefs gibt. Sie sind anderen Menschen hierarchisch vor-gesetzt, weil man ihnen als Person zutraut, Entscheide fällen zu können. Es braucht keinen Chef, um zu ermitteln, wie viel zwei plus zwei gibt. Es braucht einen Chef, wenn es gilt, echte Entscheide zu fällen. Auch wenn unvermeidbar ist, dass Chefs den lieben langen Tag sehr viel anderes machen – Mails bearbeiten, an Sitzungen teilnehmen, Einzelgespräche führen, Kundenkontakte pflegen, die Informationsflut bewältigen, Projekte abwickeln, Spesen und anderes kontrollieren, Reportings machen, Leute loben oder tadeln, Ziele vorgeben, Aufgaben verteilen u.v.a.m. –, so muss dies alles letztlich nur einem dienen: Chefs müssen in der Lage sein, Entscheide zu fällen.

Bei Chefs ist die Sache komplizierter

So weit, so gut. Und Sie werden sicher bereit sein, dies auch zu akzeptieren. Vorausgesetzt, werden Sie sagen, der Chef entscheidet richtig. Leider liegen Sie da falsch. Entscheide sind nämlich niemals richtig oder falsch. Sie entsprechen in ihren Folgen bloss besser oder weniger gut den eigenen Erwartungen.

Wenn Sie sich beim Roulette dafür entscheiden, auf Rot zu setzen, und es kommt Rot, dann entspricht das Ihrer Erwartung (oder Hoffnung). Aber es heisst nicht, dass Sie richtig entschieden haben. Sie hatten einfach Glück.

Bei Chefs ist die Sache komplizierter: Sie müssen vieles berücksichtigen und abschätzen, sie müssen mögliche «Outcomes» ihrer Entscheide bedenken. Sie müssen Pro und Contra abwägen. Wir hoffen, dass sie das so seriös und informiert wie möglich tun. Faktenkenntnis ist ganz zentral. Doch ändert das nichts daran, dass am Schluss etwas herauskommen kann, das nicht ihren Erwartungen entspricht. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie «falsch» entschieden hätten. Es bedeutet nur, dass das Ergebnis nicht der Erwartung entspricht. Umgekehrt kann man uninformiert und unseriös entscheiden – aber das Glück haben, dass das Ergebnis der Erwartung entspricht. «Richtig» entschieden hat man so trotzdem nicht.

Messen Sie also Ihren Chef daran, ob er überhaupt entscheidet, ob er sich bemüht, dies seriös und informiert zu tun, und ob er anschliessend ganz persönlich die Verantwortung dafür übernimmt, dass er so und so entschieden hat.

Aber messen Sie ihn nicht daran, ob das Ergebnis seiner (respektive Ihrer) Erwartung entspricht. Denn Erfolgsgarantien gibt es beim Entscheiden nicht. Beim Entscheiden ist lediglich eines sicher falsch: sich davor und vor der Verantwortung dafür zu drücken.