Flug

Virgin-Gründer Richard Branson geniesst den spektakulären, jedoch kurzen Ausflug in die Thermosphäre. Bild: Virgin Galactic

Der Weltraumtourismus ist in Griffnähe

Virgin Galactic hat am 11. Juli erfolgreich den ersten Weltraumflug mit Passagieren - in diesem Fall Virgin-Gründer Richard Branson höchstselbst - durchgeführt. Die Kurztrips ins Weltall sind bald ein normales Tourismusangebot.

Ich gebe zu: Ich sass gestern Sonntag (11. Juli) am Nachmittag eine Stunde lang vor dem Fernseher und habe mir die Live-Übertragung vom ersten Weltraumflug von Virgin Galactic angeschaut. Ich hatte die Mondlandung 1969 altershalber noch verpasst, und erwartete auch nicht einen Anlass mit vergleichbarer Bedeutung, aber Weltraumfahrt interessiert eben immer noch - besonders, wenn sie plötzlich auf dem Weg dazu ist, eine «Commodity» zu werden.

Davon ist man zugegebenermassen noch ein Stück weit weg. Primär wegen der Ticketpreise in Höhe von 250'000 Dollar. Doch das Interesse ist da: Virgin Galactic hat bereits über 600 solche Flüge zu diesem Preis verkauft und wird, nachdem nun der Testlauf mit dem Gründer an Bord erfolgreich absolviert wurde, bereits 2022 mit den kommerziellen Flügen beginnen. Da gleichzeitig mit Blue Origin von Amazon-Chef Jeff Bezos und Spacex von Tesla-Gründer Elon Musk noch weitere vergleichbare Konkurrenzprojekte am Start sind und Konkurrenz bekanntlich Preise drückt, darf man hoffen, in den kommenden Jahrzehnten wohl auch Weltraumflüge für vernünftigere Preise zu sehen.

Wobei gestern auch klar wurde, dass der Begriff Weltraumflug relativ ist. Genau genommen befindet sich das Weltraumgefährt von Virgin Galactic während rund fünf Minuten in der Thermosphäre; die maximal erreichte Flughöhe beträgt 88 Kilometer. Damit war Virgin Galactic nach US-Definition oberhalb der Karman-Linie, welche Luftfahrt von Raumfahrt trennt und dort bei 80 Kilometern Höhe liegt (und somit dürfen sich nun alle an Bord «Astronauten» nennen); in den meisten europäischen Ländern wird die Karman-Linie mit 100 Kilometern definiert. Das Raumschiff New Shepherd von Jeff Bezos soll denn auch bis an die 100-Kilometer-Marke hoch fliegen, wenn es in 8 Tagen mit Personen an Bord losfliegen wird.

Aber das sind Spitzfindigkeiten. Die Reise an den Rand des Universums ist so oder so wohl extrem eindrücklich und eine technologische Meisterleistung. Gestartet wird bei Virgin nicht senkrecht, sondern mit einem «doppelten Trägerflugzeug», in deren Mitte der Raumgleiter (VSS Unity) angehängt ist. Dieser wird in 50'000 Fuss (ca. 15,3 Kilometer) Höhe abgekoppelt und beschleunigt dann aus eigener Kraft auf Mach 3 und steigt bis auf die 88 Kilometer hoch, durchdringt also die Atmosphäre, wonach Schwerelosigkeit herrscht. 17 Fenster im Dach des Raumgleiters bieten Blicke auf die Erdoberfläche, wie sie sonst nur professionelle Astronauten haben. Und dass mit Branson ein 70-Jähriger diesen Trip problemlos überstand - mit etwas Vorbereitung natürlich, aber dennoch - spricht auch für die Massentauglichkeit des Angebots.

Ein Ego-Trip mit positiven Folgen

Die Leistung von Branson wurde auch schon als «Ego-Trip» abgekanzelt, und der Wettlauf um den Weltraum-Tourismus als «Ego-Trip der Milliardäre» Branson, Bezos und Musk. Natürlich wurde das Ganze werbemässig optimal inszeniert von Branson (unter anderem in Partnerschaft mit den Tourismusbehörden des US-Bundesstaats New Mexico, in welchem sich die Basis von Virgin Galactic befindet), und Bezos wird da in nichts nachstehen. Es täuscht aber nicht über die Leistung hinweg, welche Virgin Galactic oder auch SpaceX oder Blue Origin bei der Entwicklung und Umsetzung erreicht haben. Konkurrenz belebt das Geschäft und innert einer vergleichsweise überschaubaren Zeit wurde Weltraumfahrt zu einem Ferienerlebnis gemacht, von welchem schon unsere Kinder und nicht erst unsere Urenkel träumen dürfen. Chapeau. Der Weltraumtourismus ist, auch trotz diverser Verzögerungen, in greifbarer Nähe. Das haben auch Banken bereits gemerkt.

Wer den gestrigen Weltraumflug - welcher von Start bis Landung zurück auf der Erde knapp eine Stunde dauerte - verpasst hat, kann dies hier nochmals nachsehen.

(JCR)