Flug

Nur weil etwas in AGB vorgegeben wird, bedeutet das nicht automatisch dessen Wirksamkeit. Das musste auch die Lufthansa kürzlich erfahren. Bild: geralt

Sind Schwanzflüge für günstigere Tickets bald erlaubt?

Jean-Claude Raemy

Direktflüge kosten in der Regel mehr als Verbindungen mit zusätzlichem Flug zu einem bestimmten Start- und Landeziel. Wer den Flug zu Beginn oder zu Ende - die so genannten «Schwanzflüge» - aber verfallen lässt, wird in der Regel von der Airline zur Kasse gebeten. In Deutschland wurde nun aber eine Klage der Lufthansa gegen einen eigenen Kunden abgewiesen. Bröckelt die kontroverse Airline-Regelung langsam?

Ein «Schwanzflug», das wissen alle Touristiker, ist ein Flug, der an die eigentlich geplante ursprüngliche Flugverbindung von A nach B angehängt wird. Der Zweck der Buchung solcher Zusatzflüge liegt - eigentlich paradoxerweise - in der Vergünstigung des gesamten Flugpreises. Konkret: Ein Flug Mailand-Zürich-Chicago-Zürich-Mailand ist meist einiges günstiger als ein Flug Zürich-Chicago-Zürich. Nun ist es so, dass der Schwanzflug am Anfang (im Beispiel: Der Abflug ab Mailand) wahrgenommen werden muss, ansonsten das ganze Ticket storniert wird. Wenn man jenen am Ende, also den Flug Zürich-Mailand, verfallen lässt, sollte jedoch nichts passieren.

«Sollte», weil gewisse Airlines dafür manchmal eine «No-Show-Gebühr» in Rechnung stellen. Dies muss allerdings begründet werden - ein Flug kann ja auch unabsichtlich verpasst werden. So oder so haben viele Airlines in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einen Passus, wonach absichtliches Nichterscheinen eine Nachbelastung mit sich bringen kann - so auch die Lufthansa.

Doch am Montag, 10. Dezember, musste die Lufthansa diesbezüglich beim Amtsgericht Berlin-Mitte eine empfindliche Schlappe einstecken: Das Gericht wies eine Klage der Airline gegenüber einem Kunden, der das letzte Segment seiner Reise nicht angetreten hatte, ab. Das Gericht stellte sich auf den Standpunkt, dass die Regelung in den Beförderungsbedingungen der Lufthansa, welche Grundlage für die Nachforderung in Höhe von 2100 Euro sein sollte, gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstösst. Die Bestimmung in den AGB sei «nicht klar und verständlich» gewesen. Sprich: Der Kunde konnte nicht herausfinden , welcher Flugpreis zum Buchungszeitpunkt für die geänderte Verbindung gegolten hätte, und es sei in den AGB auch keine Deckelung der Nachzahlung vorgesehen.

Konkret heisst es in den AGB der Lufthansa: «Sofern Sie sich für einen Tarif entschieden haben, der die Einhaltung einer festen Flugscheinreihenfolge vorsieht, beachten Sie bitte: wird die Beförderung nicht auf allen oder nicht in der im Flugschein angegebenen Reihenfolge der einzelnen Teilstrecken bei ansonsten unveränderten Reisedaten angetreten, werden wir den Flugpreis entsprechend Ihrer geänderten Streckenführung nachkalkulieren. Dabei wird der Flugpreis ermittelt, den Sie in Ihrer Preisgruppe am Tag Ihrer Buchung für Ihre tatsächliche Streckenführung zu entrichten gehabt hätten. [...] Sofern am Tag der Buchung für Ihre geänderte Streckenführung ein höherer Flugpreis zu entrichten gewesen wäre, werden wir unter Anrechnung des bereits gezahlten Flugpreises die Differenz nacherheben.»

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt

Der Gerichtsbeschluss mag nachvollziehbar sein, entbindet aber den Airline-Kunden nicht wirklich vom Verdacht, absichtlich das günstigere Ticket gekauft zu haben. Dennoch beleuchtet der Fall auch wieder die schwer nachvollziehbare Praxis der Airlines, für mehr Leistung weniger Geld zu verlangen, und bei Nichtbeanspruchung einer Leistung eine Nachforderung zu stellen - statt an sich anfallende Treibstoffgebühren zurück zu erstatten, was ja auch denkbar wäre...

Interessant am vorliegenden Fall ist aber vor allem, dass die Lufthansa sich nicht allein auf ihre AGB-Bestimmungen stützen konnte. Oder wie es Dr. Matthias Böse von der mit dem Fall betrauten Anwaltskanzlei Franz LLP ausdrückt: «AGB funktionieren nicht wie das Programmieren von Software. Nur weil etwas in AGB vorgegeben wird, bedeutet das nicht automatisch dessen Wirksamkeit. Eine Vielzahl von Regelungen schützen insbesondere Verbraucher vor intransparenten und stark benachteiligenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen.» Der Anwalt beklagt auch den Umstand, dass viele Kunden in Reisebüros keine solchen Tickets mit Schwanzflügen buchen könnten, weil die Reisebüros ihnen aus Angst vor Bestrafungen in Form von ADMs gar keine solchen Tickets verkaufen.

Aber vielleicht ist damit bald Schluss. Das in Berlin gefällte Urteil hat zwar keine Bindungswirkung wie etwa ein Urteil des Bundesgerichtshofs. Es sendet aber, zumindest schon mal in Deutschland, ein klares Signal aus: Die allgemeinen Beförderungsbedingungen erlauben eigentlich keine Nachberechnung, falls der Passagier das letzte Segment oder mehrere Segmente am Ende eines Tickets verfallen lässt. «Schwanzflüge» für günstigere Tickets, zumindest jene am Ende der Flugreise, sollten also künftig kein Problem mehr darstellen.