Destinationen
«Nachhaltigkeit steht nicht zuoberst, sondern Preis und Qualität»
In diesen Tagen hat eine Delegation der Ostfriesischen Inseln die Schweiz besucht und eindrücklich darlegen können, dass sich nachhaltiger Tourismus in der Wertschöpfung niederschlagen kann. Offensichtlich nutzen die sieben Inseln in der Nordsee das Gebot der Stunde geschickt, um vermehrt Touristen anzuziehen, die eine intakte Natur, biologische Produkte, autofreie Strassen und einen plastikfreien Lebensraum schätzen.
Verpasst der Schweizer Tourismus dieses Gebot der Stunde, vermehrt Touristen anzuziehen, die auf die Karte Natur setzen? Schliesslich verfügt die Schweiz ja über viele Ingredienzen, die den naturnahen Tourismus erlauben. Oder beschränken sich nachhaltige Bemühungen auf die Aktivitäten der PR-Abteilungen, weil an der Wertschöpfung gezweifelt wird? Travelnews.ch hat mit Prof. Dr. Jürg Stettler, dem Forschungsleiter Nachhaltigkeit und Destinationsmanagement der Hochschule Luzern, über das Thema gesprochen.
Herr Stettler, die Ostfriesischen Inseln zelebrieren offensichtlich mit Erfolg den nachhaltigen Tourismus. Machen Schweizer Destinationen zu wenig in diesem Bereich?
Jürg Stettler: Wenn ich die nachhaltigen Aktivitäten der Ostfriesischen Inseln betrachte, sehe ich eine Anzahl Einzelinitiativen. In der Berichterstattung darüber erzielen sie eine grosse Beachtung. Die Schweiz muss sich da im Vergleich aber nicht verstecken. Wir haben seit 2009 die Nachhaltigkeits-Charta mit den wichtigsten Playern, mit Regionen, nationalen Verbänden und Anbietern wie SBB und Post. Da passiert das eine oder andere an konkreten Massnahmen. Diverse Betriebe, fast 60 Prozent, haben eine Zertifizierung im Umweltbereich erhalten. Es ist also nicht so, dass nichts gehen würde.
Welche Schweizer Destinationen können denn heute schon mit nachhaltigem Tourismus punkten?
Da gibt es einige. Das Biosphärenreservat Entlebuch etwa hat sich schon seit langem als nachhaltige Region positioniert, nicht nur im Tourismus sondern auch darüber hinaus. Auch in Schuol spielt die Nachhaltigkeit seit Jahren eine ganz wichtige Rolle – die Destination ist mit vielen einzelnen Projekten aktiv und mindestens so konsequent unterwegs wie die von Ihnen erwähnten Inseln.
«Sobald ein nachhaltiges Reiseangebot einen höheren Preis hat, gibt es viele, die dann darauf verzichten»
Welches Marktpotenzial orten Sie denn bei nachhaltigem Tourismus?
Wir sprechen nach wir vor von einem Nischenmarkt. Trotz Flugscham, Gretaeffekt und Klimadiskussion hat sich das Reiseverhalten oder die Zahlungsbereitschaft nicht wesentlich verändert, was eigentlich bitter und fatal ist. Sogar bei Globetrotter, wie ich höre, einem durchaus umweltaffinen Anbieter, beläuft sich der Anteil jener, die den Flug kompensieren, auf lediglich 1,5 Prozent. Der Tatbeweis der Reisenden fehlt nach wie vor und damit der Markt, damit die touristischen Anbieter verstärkt nachhaltige Produkte entwickeln sowie entsprechende Massnahmen umsetzen, die sich dann auch aus wirtschaftlicher Sicht rechnen im Sinne der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit.
Ist diese Einschätzung nicht veraltet. Ökologisch geprägtes Reisen könnte doch jetzt das Gebot der Stunde sein?
Ich bezweifle das. Wir haben verschiedene Indikatoren. Bei einer jüngsten Befragung von Absichten und Verhalten von Reisenden, zeigte sich, dass die Jüngeren ihr Reiseverhalten praktisch nicht ändern, die Älteren zumindest teilweise. Die Jungen fliegen munter weiter. Auch die Statistik des Flughafens Zürich zeigt keinen Einbruch beim Flugverhalten. Es gibt wohl keinen Touroperator, der in der Nische der nachhaltigen Reisen überrannt worden ist. Wenn ich ein Unternehmen verantwortungsvoll führe, dann richte ich das Angebot auf die Nachfrage aus – und diese ist zumindest zum heutigen Zeitpunkt kaum anders als vor dem Beginn der Klimadiskussion.
Als wie wichtig erachten Sie die Nachhaltigkeit beim Buchungsentscheid?
Das Kriterium Nachhaltigkeit steht nicht zuoberst, sondern Preis und Qualität. Nachhaltigkeit ist heute für die meisten Reisenden ein ergänzendes Kriterium. Sobald ein nachhaltiges Reiseangebot einen höheren Preis hat, gibt es viele, die dann darauf verzichten. Auch das Beispiel der autofreien Ferienorte zeigt, dass diese jüngst nicht überrannt worden sind. In aller Regel wird die fehlende oder eingeschränkte Mobilität offensichtlich nicht als Mehrwert sondern als Einschränkung wahrgenommen. Es ist aber zu erwarten, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten zunehmen wird. Die Frage ist nur, wie schnell und in welchem Ausmass. Dann dürfte es auch mehr entsprechende nachhaltige Angebote geben.