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Franz Stadelmann von Priori Reisen ordnet im Interview mit Travelnews die aktuelle Lage in Madagaskar ein. Bilder: Adobe Stock / Priori Reisen

«Wer nach Madagaskar reist, sollte einen Plan B haben»

Reto Suter

Nach schweren Unruhen hat sich die Lage in Madagaskar wieder beruhigt. Das EDA rät nicht länger von touristischen Reisen ab. Im Interview mit Travelnews erklärt Madagaskar-Kenner Franz Stadelmann, warum er vorsichtig optimistisch in die Zukunft blickt und welche Vorsicht Reisende dennoch walten lassen sollten.

In Madagaskar, dem bei Touristinnen und Touristen beliebten Inselstaat vor der Ostküste Afrikas, herrschte ab Ende September Ausnahmezustand. Aus zunächst friedlichen Protesten junger Menschen für eine verlässliche Strom- und Wasserversorgung entwickelte sich nach dem harten Eingreifen von Polizei und Armee eine Welle der Gewalt. Schliesslich richtete sich der Unmut der Bevölkerung gegen den Präsidenten selbst – und die Forderung nach seinem Rücktritt wurde laut.

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) verschärfte daraufhin seine Reisehinweise für Madagaskar (Travelnews berichtete). Nach drei Wochen übernahm das Militär die Macht. Der bisherige Präsident Andry Rajoelina wurde abgesetzt.

Inzwischen hat sich die Lage stabilisiert, und das EDA rät nicht länger von touristischen Reisen nach Madagaskar ab. Im Gespräch mit Travelnews ordnet Franz Stadelmann, Gründer und Inhaber von Priori Reisen und seit fast vier Jahrzehnten eng mit Madagaskar verbunden, die aktuelle Situation im Land ein.

Herr Stadelmann, das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat seine Reisehinweise für Madagaskar entschärft. Wie präsentiert sich die Lage aktuell im Land?

Franz Stadelmann: Oberflächlich betrachtet hat sich die Situation deutlich beruhigt. Der Anführer des Militärputsches, Oberst Michael Randrianirina, wurde inzwischen als neuer Staatschef vereidigt. Er hat Wahlen in eineinhalb bis zwei Jahren angekündigt. Eine Forderung des Verfassungsgerichts, bereits innerhalb von 60 Tagen Wahlen abzuhalten, lehnte er mit dem Hinweis auf notwendige Reformen ab.

Was ist mit dem bisherigen Präsidenten Andry Rajoelina geschehen, gegen den sich die massiven Proteste – vor allem getragen von der Generation Z – gerichtet hatten?

Rajoelina hat sich noch während der Massenproteste aus dem Land geschlichen. Laut Medienberichten hält er sich wohl derzeit in Dubai auf, während seine Anhänger darauf bestehen, dass er weiterhin im Amt sei. Rajoelina selbst war 2009 durch einen Putsch an die Macht gekommen. Sein enger Vertrauter, der Unternehmer Mamy Ravatomanga, hat sich ebenfalls abgesetzt und wurde inzwischen auf Mauritius festgenommen. Gegen ihn wird wegen Geldwäscherei und Korruption ermittelt. Zwar spricht er von einer politischen Verfolgung, doch unbestritten ist, dass er sich schamlos bereichert hat – stets mit Rückendeckung durch den Ex-Präsidenten.

« Ich bin vorsichtig optimistisch»

Hat sich die Situation damit nachhaltig verbessert?

Es gibt vereinzelt noch Streiks, aber keine grösseren Demonstrationen mehr. Die Lage bleibt fragil, ist aber mit der Situation Ende September oder Anfang Oktober nicht mehr vergleichbar. Natürlich sind nicht alle Probleme gelöst. Jetzt beginnt der Verteilungskampf aufs Neue. Wer in die Politik gelangt, erhält Zugang zu den Geldtöpfen, während fast alle anderen leer ausgehen. Das birgt weiterhin Konfliktpotenzial. Es wird wohl noch einige politische Rochaden geben, bevor die grössten Herausforderungen angegangen werden können, allen voran der Kampf gegen die Korruption. Dennoch gibt es berechtigte Hoffnung, dass sich die politische Lage langfristig stabilisiert. Mit Michael Randrianirina steht nun ein Mann an der Spitze, der Ordnung schaffen möchte. Ich denke, dass dieser Militärputsch das Beste war, was in dieser Situation passieren konnte. Ich bin vorsichtig optimistisch.

Sind Reisen nach Madagaskar jetzt wieder möglich?

Aus meiner Sicht schon. Priori Reisen hat bereits wieder erste Gäste im Land, und im Laufe des Novembers stehen weitere Abreisen an. Der internationale Flughafen von Antananarivo war zu keinem Zeitpunkt geschlossen. Während Emirates seine Flüge vorübergehend ausgesetzt hat, flog Ethiopian Airlines die Hauptstadt durchgehend an. Reisen innerhalb des Landes sind wieder im gewohnten Stil möglich, ausser vielleicht bei Binnenflügen. Zwar sind die Folgen der jüngsten Unruhen mancherorts noch sichtbar – einige Geschäfte wurden niedergebrannt, es kam zu Plünderungen –, doch das betraf vor allem die Städte. Auf dem Land hat man davon kaum etwas gespürt, und Reisen durch die verschiedenen Regionen sind ohne grössere Einschränkungen machbar.

Das heisst: Sie empfehlen Reisen nach Madagaskar wieder mit guten Gewissen?

Ja, durchaus. Aber ich sage klar: Wer nach Madagaskar reist, sollte einen Plan B haben – wie übrigens in allen Ländern mit politischer Instabilität. Man muss wissen, was zu tun ist, falls sich die Lage erneut zuspitzt.

«Wir sind kein Anbieter, der Reisen um jeden Preis verkauft»

Wie haben Sie die vergangenen Wochen seit Ausbruch der Unruhen erlebt?

Es war eine sehr intensive Zeit. Während jeder Krisensituation eröffnen wir ein Nottelefon für alle, die mit Madagaskar zu tun haben. Ich stand täglich in Kontakt mit unserem Team vor Ort im Büro von Priori Reisen, um die Lage laufend einzuschätzen. Gleichzeitig erreichten mich viele Anfragen von besorgten Angehörigen, auch von Reiseveranstaltern und Reisebüros, die sich ein Bild der Situation machen wollten.

Wie gelingt Ihnen der Spagat zwischen geschäftlichen Interessen und der Verantwortung gegenüber den Reisenden?

Wir sind kein Anbieter, der Reisen um jeden Preis verkauft. Wir organisieren keine Massenreisen, sondern versuchen, die Wünsche unserer Kundinnen und Kunden mit den tatsächlichen Möglichkeiten im Land in Einklang zu bringen. Das können wir, weil wir seit 1994 ein eigenes Büro in Antananarivo haben. Das braucht oft lange Gespräche – aber es lohnt sich: Die Zufriedenheit unserer Gäste ist sehr hoch. Ich rate durchaus von bestimmten Regionen oder Aktivitäten ab, wenn es nötig ist. Doch wir finden fast immer eine gute Lösung – und behalten dabei stets den Plan B im Hinterkopf.

Lemuren sind Madagaskars bekannteste Bewohner. Bild: Adobe Stock

Das dürfte aber nicht bei allen Konkurrenten so sein …

(Schmunzelt) Nein, ganz bestimmt nicht. Ich staune manchmal, wie leichtfertig manche Anbieter Reisende nach Madagaskar schicken – oft in Zusammenarbeit mit einem lokalen «Reisebüro», das im Grunde nur aus einem Handy und einer Website besteht.

Haben viele Reisende eine falsche Vorstellung von Madagaskar?

Absolut. Viele glauben, man könne an jeder Ecke Lemuren beobachten – das ist natürlich ein schöner Gedanke, aber weit entfernt von der Realität. Auch die Dimensionen des Landes werden häufig unterschätzt: Madagaskar ist doppelt so gross wie Italien! Dazu kommen herausfordernde klimatische Bedingungen, auf die man vorbereitet sein sollte. Genau deshalb nehmen wir uns Zeit für ausführliche Gespräche, um unsere Gäste realistisch vorzubereiten. Auf unseren Reisen geht es nicht nur ums Entdecken, sondern auch ums Begegnen: Reisende und Einheimische sollen in Austausch treten – in einer Weise, die für beide Seiten bereichernd ist.

Sie haben schon mehrere Krisen in Madagaskar miterlebt. Wie lange wirken solche Unruhen erfahrungsgemäss nach? Und wann rechnen Sie damit, dass sich der Tourismus wieder erholt?

Nach dem Putsch von 2009 hat es mehr als ein Jahr gedauert, bis wir wieder die Besucherzahlen von zuvor erreicht hatten. Auch nach der Corona-Pandemie brauchte es sehr viel Zeit, bis der Tourismus wieder Fahrt aufnahm. Das Jahr 2025 verläuft insgesamt erfreulich – auch wenn die Monate Oktober und November natürlich schwächer sind. Dieses Jahr zählte Madagaskar durchschnittlich rund 30’000 Einreisen pro Monat, darunter sowohl Touristinnen und Touristen als auch im Ausland lebende Madagassen, die ihre Familien besuchen. Für das kommende Jahr rechne ich mit leicht rückläufigen Zahlen, aber nicht mit einem Einbruch. Viel hängt davon ab, inwiefern sich die politische Lage stabilisiert.

Was wünschen Sie Madagaskar für die Zukunft?

Ich wünsche dem Land, dass die grundlegenden Bereiche wie Bildung, Gesundheitsversorgung und Armutsbekämpfung ein Mindestniveau erreichen und langfristig gehalten werden können. Das Traurige ist: In meinen Augen hatte Madagaskar noch nie eine wirklich gute Regierung – eine, die frei von Korruption, Vetternwirtschaft und Machtgier regiert. Das Land hätte so viel Potenzial, wenn die Verantwortlichen es endlich im Sinne der Bevölkerung nutzen würden.