Trips & Travellers

Das ist Pura Vida: Schaukeln am Strand von Tortuguero. Bild: isr

Dschungelluft und Pura Vida

Isabell Ridder

Gemeinsam mit acht Reisespezialistinnen aus Deutschland war Travelnews-Redaktorin Isabell Ridder in Costa Rica unterwegs. Dort entdeckte sie Regenwälder, wilde Tiere und exotische Früchte. Ihr Fazit: Jeder sollte einmal im Leben Pura Vida geniessen. Ein Reisebericht in drei Teilen.

Über mir in den Bäumen schreien die Brüllaffen. Die tiefen Laute, mit denen sie sich untereinander verständigen, klingen fast so bedrohlich wie das Gebrüll eines Tigers. Über viele Kilometer ist der Widerhall ihrer Rufe zu hören. Es gibt keine anderen Tiere, die im Dschungel von Costa Rica lauter sind, als eine Gruppe Brüllaffen. Doch die Show, die sie da oben veranstalten, wirkt ziemlich harmlos. Ich lege den Kopf in den Nacken, um die Affen, die über mir durch die Baumwipfel turnen, beobachten zu können. Jeder Reisende, der von hier zurückkommt, hat sicher Nackenstarre.

Costa Rica, auf Deutsch: Reiche Küste – schon lange träumte ich von einer Reise in das mittelamerikanische Land. Seine hohe Biodiversität lockt mit der Aussicht darauf, viele exotische Tiere zu beobachten, durch Regenwälder zu laufen und an paradiesischen Stränden die Seele baumeln zu lassen.

Im Oktober 2022 wird mein Traum überraschend wahr. Visit Costa Rica lädt zu einem einwöchigen Fam-Trip ein. Reiseveranstalter und Reisebürospezialisten sollen das Land besuchen und Hotels sowie Restaurants testen. Der Begriff steht gekürzt für das Englische «familiarization» und bedeutet «sich mit etwas vertraut machen». Ich darf den Trip der Gruppe für die travelnews Redaktion begleiten.

San José ist die Hauptstadt von Costa Rica. Bild: isr

Unterwegs in San José

Die Reise fällt noch in die Regenzeit, die in Costa Rica von Mai bis November dauert. Ins Gepäck muss also ein Regenponcho, eine Regenjacke oder ein Schirm. Wie ich später herausfinden soll, gehört letzterer bei den «Ticos», wie sich die Einwohner Costa Ricas selbst nennen, zur festen Grundausstattung. So scheine ich an meinem ersten Tag auf der Einkaufsstrasse in San José nicht nur aufzufallen, weil ich eine europäische Touristin bin. Ich bin auch die Einzige, die eine Regenjacke anzieht, als der tägliche Wolkenbruch einsetzt. Um mich herum öffnen sich im Nu zahlreiche Schirme. Praktischerweise heissen sie auf Spanisch wahlweise «Paraguas», also wörtlich übersetzt, «für das Wasser» oder «Parasol», «für die Sonne». Denn ein Schirm lässt sich natürlich auch bei brennendem Sonnenschein als Schutz verwenden.

Ich schlängele mich geschickt durch die Schirmträger, habe jedoch keine Chance es ins Hotel zurückzuschaffen, bevor der Regen sich in etwas verwandelt, dass mir das Gefühl gibt, die letzten zwei Kilometer unter einem Wasserfall hindurch zu laufen. Obwohl pitschnass, muss ich dabei über mich selbst lachen. Über die Touristin, die durch den Regen rennt, statt sich unterzustellen oder einen Bus zu nehmen. Eine Stunde später ist es wieder trocken, doch da sitze ich bereits auf dem Boden meines Hotelzimmers und föhne meine nassen Schuhe.

Ich bin als einzige aus der Schweiz und aufgrund der Flugverbindung freitags angereist. Die restliche Gruppe kommt erst am Samstagabend aus Deutschland an. So habe ich Zeit, um mich schon einmal in der Stadt umzusehen. Ich besuche den Mariposario Spirogyra Schmetterlingsgarten, lasse mich durch den Wochenendtrubel auf der Einkaufsstrasse treiben und setze mich für mein erstes Mittagessen an einen Tisch zwischen die Einheimischen auf dem Mercado Central. Es gibt Reis mit Bohnen, Kartoffeln, Ei und Fladen. Ich bin Vegetarierin, überraschenderweise kein Problem hier.

So viel Essen: eine vegetarische Platte gedacht für vier Personen. Bild: isr

Die Reisegruppe ist komplett 

Am Abend kommen dann die anderen aus Deutschland am Aeropuerto Internacional Juan Santamaría an. Unsere Gruppe besteht aus – und das ist purer Zufall - neun Frauen. Dazu kommt Isaac – unser auch Deutsch sprechender costa-ricanischer Guide – sowie Busfahrer Gerado, der uns mit seinen Witzen in den kommenden Tagen noch gehörig zum Lachen bringen wird. Vorausgesetzt, man versteht ihn, denn er spricht nur Spanisch. Doch Isaac gibt sein Bestes und übersetzt und erklärt hilfsbereit die Witze auf Deutsch.

Beim ersten gemeinsamen Abendessen ist die Vorfreude auf die bevorstehende Woche bei allen gross. Doch auch die acht Stunden Zeitverschiebung machen uns zu schaffen, niemand kann durchschlafen. Ab fünf Uhr bin auch ich am nächsten Morgen wieder richtig wach. Doch die aufregenden Tage entschädigen für all die bevorstehenden kurzen Nächte.

Hotel in San José: Hilton San José La Sabana

Für Busfahrer Gerado (l.) und Guide Isaac ist Reifenwechsel echtes Teamwork. Bild: isr

Auf nach Tortuguero

Unser erstes Ziel ist der Ort Tortuguero mit seinem gleichnamigen Nationalpark. Tortuguero liegt in der Provinz Limón am nördlichen Ende der Karibikküste. Der Regenwald hier soll über die grösste biologische Vielfalt Costa Ricas verfügen. Die Anreise ist bereits ein Abenteuer. Unser Busfahrer muss einen Platten flicken. Gut gelaunt bleibt er trotzdem, ist eben alles Pura Vida hier. Mit Pura Vida lassen sich – fast – alle Probleme lösen. Der Spruch ist in Costa Rica allgegenwärtig und eine geläufige Abschiedsfloskel. Man sagt ihn anstelle eines «hasta luego» oder auch einfach mal so, zwischendurch. Passt immer. Wir entdecken während der Pause ein Faultier hoch oben in den Bäumen. Das soll es jedenfalls sein, denn eigentlich sehen wir nur ein grosses Bündel Fell. Das Gesicht hat es irgendwo darin versteckt.

In La Pavona steigen wir in das Wassertaxi auf dem Río Tortuguero um. Bild: isr

Umgeben von wilden Tieren

Nach der dreistündigen Busfahrt steigen wir am Hafen von La Pavona mit unserem Gepäck in ein Boot um. Jetzt geht es noch eine Stunde den Río Tortuguero in Richtung Meer hinab. Wir befinden uns nur circa 40 Kilometer von der Grenze zu Nicaragua entfernt direkt im Dschungel. Vom Boot aus sehen wir die ersten grossen Krokodile und, wie süss, auch Krokodilbabys in der Sonne liegen. Wir entdecken einen Kaiman, der trotz unserer Anwesenheit bewegungslos im Wasser dümpelt und staunen während der Fahrt über die auf dem Wasser gebauten Holzhütten, während wir die frische Dschungelluft einatmen.

Nach der Ankunft an der Pachira Lodge erhalten wir vom Personal zur Begrüssung einen frischen Fruchtsaft. Einen auf den noch viele weitere folgen sollen, denn Säfte sind sozusagen Nationalgetränk. Es gibt viele Sorten zu probieren, von Papaya, über Brombeere und Mango bis zu Guave, hier auch Cas genannt. Und als wir zwischen den Bäumen der Lodge hindurchspazieren, turnen über uns auch schon die Affen. Kameras zückend, freuen wir uns über den ungewohnten tierischen Anblick.

Bei der Ankunft an der Pachira Lodge gibt es einen frischen Saft. Im Bild: Renate Bauer (Reba Touristik), travelnews Redakteurin Isabell Ridder, Nicola Heß (Diamir) und Jennifer Schuster (TUI Reisecenter Münsingen, v.l.)

Bootsfahrt in den Nationalpark Tortuguero

Während unserer zwei Tage im Dschungel besichtigen wir die am Fluss gelegenen Lodges, spazieren durch das Dorf Tortuguero und stehen dann auch zum ersten Mal am Atlantik. Der Wind hier ist eine willkommene Abwechslung zu der schwülen Hitze, die überall sonst herrscht. Entfliehen kann man ihr maximal mit einem Bad im Pool der Lodge.

Am Morgen des zweiten Tages wecken uns dann die Brüllaffen und wir starten um sechs Uhr zu einer Bootsfahrt auf dem Fluss. Um diese Zeit gibt es für gewöhnlich viele Tiere zu sehen. Leider haben wir etwas Pech und der tägliche Regen fällt genau in dieser Stunde. In Regenponchos gehüllt fahren wir mit dem Boot auf dem Río Tortuguero durch den Nationalpark und gehen doch nicht ganz leer aus. Wir sehen Vögel, Leguane, Kaimane und Affen.

Die Tierwelt am Río Tortuguero

Grüne Meeresschildkröten am Strand von Tortuguero

Am Abend kehren wir für eine geführte Schildkrötentour an den Strand zurück. Tortuguero gilt weltweit als einer der wichtigsten Nistplätze der Grünen Meeresschildkröte. Versprechen kann unser Guide uns im Vorfeld natürlich keine Sichtung. Die Natur ist unberechenbar und die Meeresschildkröten legen zwischen Juli und Oktober ihre Eier. Die Nistzeit neigt sich also dem Ende zu.

Wir haben grosses Glück. Die Nationalparkmitarbeiter entdecken eine Schildkröte, die gerade aus dem Meer gekommen und mit dem Bau eines Nestes begonnen hat. Um sie nicht zu stören, sind Zuschauer erst erlaubt, sobald sie mit dem Eierlegen angefangen hat. Der Guide erklärt, dass die Schildkröte dann in eine Art Trance fällt und uns daher während des Eierlegens nicht wahrnehmen wird. Taschenlampen sind verboten, nur das rote Licht der Lampe unseres Guides leuchtet den Weg, denn dieses Licht sehen die Schildkröten nicht.

Und dann erleben wir alle einen dieser «Once-in-a-lifetime-Momente». Wir stehen sprachlos und fasziniert im Dunkeln vor einer Grube, in der sich eine etwa zwei Meter grosse Schildkröte befindet, von der wir nur den Panzer sehen. Dann schauen wir zu, wie ein Ei nach dem anderen aus ihr heraus plumpst und in das Loch fällt. Ohne Pause legt sie so 80 bis 100 Eier. Deren Grösse entspricht etwa der von Hühnereiern.

Doppeltes Schildkrötenglück 

Alle zwei bis fünf Jahre kehrt ein Schildkrötenweibchen an den Strand zurück, an dem es geschlüpft ist. Während der Nistzeit kommt es im Verlauf der Wochen mehrfach aus dem Meer, um den Prozess zu wiederholen. Körperliche Schwerstarbeit für das Tier, das für das Leben im Wasser geschaffen ist. Am Land drohen Gefahren: Wie Jaguare, die Schildkröten als Beute sehen. Und als die Schildkröten noch nicht unter Schutz standen, wurden sie auch von den Menschen wegen ihres Fleisches erlegt. Auch jetzt gibt es noch Fälle von illegaler Wilderei, weshalb Nationalparkmitarbeiter den Strand nachts überwachen.

Als «unsere» Schildkröte fertig ist und mit dem Zuschütten des Nestes beginnt – wobei sie unglücklicherweise das Nest einer anderen Schildkröte und somit deren Eier ausbuddelt – brechen wir die Beobachtung ab. Nur wenige hundert Meter entfernt befindet sich eine zweite Schildkröte auf dem Rückweg ins Meer. Mehr Glück an einem Abend kann man kaum haben. Als wir bei ihr ankommen, können wir dabei zuschauen, wie sie, so zügig es einer Schildkröte möglich ist, dem Wasser entgegenstrebt. Kurz darauf verschwindet ihr Körper geschmeidig in den rauschenden Wellen.

In etwa acht Wochen werden die Schildkröten aus den Eiern schlüpfen. Von allen gelegten 1000 Schildkröteneiern überlebt statistisch gesehen jedoch nur eine Schildkröte. Glückselig über die beiden Begegnungen kehren wir in die Pachira Lodge zurück.

Unterkunft in Tortuguero: Pachira Lodge

Impressionen vom Río Tortuguero

Vorschau: Im zweiten Teil führt die Reise durch Costa Rica weiter nach Sarapiqui in die Provinz Heredia, auf die Regenwaldtrails des Mistico Parks und mit dem Boot über den Arenalsee.