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Das Drama am «Hore» neu inszeniert

Zermatt feiert diesen Sommer 150 Jahre Erstbesteigung des Matterhorns. Ein Freilichtspiel soll an die dramatischen Ereignisse erinnern und die Geschichte zurechtrücken.

Der fatale Schnitt

Edy Schmid, 69, ist ein wandelndes Zermatt-Lexikon. Er weiss alles über die Geschichte des weltberühmten Dorfes. Wie Alexander Seiler in den 1850er-Jahren hierherkam, ein Seifensieder aus dem Goms; wie dieser Seiler Zermatts Entwicklung vorhersah und, misstrauisch beäugt von den Einheimischen, die kleine lauberische Herberge am Dorfplatz übernahm und an ihrer Stelle das Hotel Monte Rosa baute, das heute noch steht. In diesem nahm am 14. Juli 1865 ein epochales Ereignis seinen Anfang: Peter Taugwalder Vater und Sohn, zwei ein- fache Zermatter Bauern und Bergführer, brachen zusammen mit den Engländern Edward Whymper, Reverend Charles Hudson, Lord Francis Douglas und Robert Hadow sowie dem Bergführer Michel Croz aus Chamonix zum «Hore» auf, wie es im lokalen Dialekt genannt wird. 200 Meter unter dem Gipfel schnitt der extrem ehrgeizige Whymper das Seil durch und spurtete los, um als erster Mensch oben zu stehen.

Aus Verbitterung ausgewandert

Die Tragödie jenes Tages – der tödliche Absturz von Hudson, Douglas, Hadow und Croz wegen eines Seilrisses beim Abstieg – hat den Mythos der Erstbesteigung erst richtig begründet: Plötzlich war Zermatt international präsent, vor allem in der damals führenden englischen Presse, in welcher Whymper, ein glänzender Schreiber, seine Abenteuer in den buntesten Farben darstellen konnte. «Die andern Briten waren ja tot», sagt Edy Schmid: «Also bestritt niemand seine Darstellung.»

Vater Taugwalder wurde beschuldigt, den Unfall verursacht zu haben. Er zerbrach fast daran, wanderte verbittert in die USA aus und kam erst viele Jahre später zurück. Seine Erklärung des Unfalls war, dass man beim Abstieg ein Hilfsseil verwenden musste, weil Whym – per ja beim Aufstieg das Hauptseil durchtrennt hatte. Niemand mochte ihm glauben. Das originale Corpus Delicti kann heute im Matterhorn-Museum besichtigt werden; Edy Schmid ist ein wortreicher Verteidiger von Taugwalder.

Ab dem 9. Juli wird auf dem Riffelberg ob Zermatt das Drama ums Matterhorn neu inszeniert: Livia Anne Richard, Berns bekannteste Theaterfrau, erzählt im Stück «The Matterhorn Story» von den Welten, die hier Mitte des 19. Jahrhunderts aufeinanderprallten: «Hier die jungen, durchtrainierten, reichen Engländer, die nicht zu arbeiten brauchten und sich auf Rekordjagd in den Alpen tummelten, dort die armen Bergbauern; Analphabeten, die die Mittel für ihr karges Leben mühsam zusammenkratzen mussten.» Richard will mit ihrem Freilichttheater das Geschichtsbild korrigieren. Das ist den beiden Laiendarstellern, welche Vater und Sohn Taugwalder verkörpern, nur allzu recht: Josef Taugwalder als Peter senior und sein Sohn David in der Rolle von Peter junior sind direkte Nachkommen der beiden Bergführer. Ihre Berufe illustrieren allerdings, dass aus dem ärmlichen Bergdorf längst eine reiche Jetset-Destination geworden ist: Josef und David Taugwalder arbeiten in der eigenen Treuhandfirma.

Wie einst Alexander Seiler begannen vor etwa 20 Jahren junge Unternehmer und Kreative, ihre modernen Zermatt- Visionen zu verwirklichen. Thomas Sterchi zum Beispiel, 46, ein ursprünglich aus Bern stammender Internet- und Gastro-Unternehmer und Multimillionär, hat das Festival Zermatt unplugged mitgegründet, welches vom 14. bis 18. April mit internationalen und lokalen Stars zum achten Mal über die Bühnen geht. Oder Heinz Julen, 51, Künstler, Kreateur und begnadeter, wenn auch nicht ausgebildeter Architekt: Er wurde Ende der 1990er-Jahren mit seinem extravaganten «Into the Hotel» bekannt, einem Hotel an Zermatts exponiertester Stelle, das 2000 sieben Wochen geöffnet war, dann stillgelegt und später abgebrochen wurde. Heute befindet sich dort das «Omnia», immer noch ein vorzügliches Haus, aber ohne die kreative Handschrift des Heinz Julen.

Zermatt bewegt sich

Julen ist im Ferienort trotzdem präsent. Ihm gehören das Kulturlokal Vernissage, wo Zermatt unplugged einst seine Anfänge nahm, darüber ein Restaurant, dem der Guide Michelin einen Stern verliehen hat, und das Lifestyle-Hotel Backstage. Weil sich das Dorf neu belebt hat, wurden in den vergangenen Jahren mehrere hundert Millionen Franken in Zermatts Hotels investiert, wie Daniel Lauber sagt, der 35-jährige Besitzer des exklusiven Resorts Cervo und gleichzeitig Präsident des Hoteliervereins. Weitere neue Häuser heissen Firefly, Omnia, Backstage oder Coeur des Alpes. Zermatt bewegt sich. Zum 150-Jahr-Jubiläum wolle man nicht nur zurück, sondern auch nach vorn schauen, sagt Tourismusdirektor Daniel Luggen.

(TN)