Travel Tech

Anhand einer kurzen Geschichte des Erlösmanagements werden die Schlüssel definiert, anhand derer Airlines neue Umsatzpotenziale heben können. Bild: Amadeus

Amadeus Blog Warum gibt es zwölf Preise für ein und denselben Flugsitzplatz?

Die Flugtarifierung ist extrem komplex – das hat aber auch Vorteile für die Kunden. Interessante Ansichten im «Amadeus Blog» vom März.

Sie kennen das: Sie warten einen Tag mit der Flugbuchung, und der Preis hat sich um 250 Franken erhöht. Sie stellen fest, dass spätes Buchen oft ausserordentlich teuer kommt, manchmal aber auch zu Last-Minute-Schnäppchen führt. Und vielleicht haben Sie sich schon gefragt, warum es eigentlich ein und denselben Economy-Sitzplatz zu zwölf verschiedenen Tarifen gibt.

Möglicherweise vermuten Sie dahinter einfach das Spiel von Angebot und Nachfrage. Tatsächlich aber sind das Fälle von Erlösmanagement – einem komplexen, auf Algorithmen basierenden System mit dem Ziel, für jeden einzelnen Flug den Gewinn zu maximieren. Es basiert auf Nachfrageprognosen, Kundensegmentierungen und der Optimierung von Verfügbarkeiten, indem entschieden wird, wie viele Sitzplätze zu jedem gegebenen Zeitpunkt für jedes Tarifniveau verkauft werden.

Grundprinzip ist die Preisdifferenzierung durch Segmentierung – also die Strategie, verschiedenen Kundentypen je nach Zahlungsbereitschaft verschiedene Preise für dasselbe Produkt zu berechnen. Ein Freizeitreisender wird für ein Economy-Ticket für den Flug von Zürich nach Barcelona mit einem Full-Service-Carrier vielleicht nur 200 Franken zu zahlen bereit sein, wenn er zwei Monate im Voraus bucht. Ein Manager dagegen, der durch seine Verpflichtungen zeitlich gebunden ist, wäre bereit, für denselben Sitzplatz 600 Franken hinzublättern. Das klingt zunächst ziemlich unfair, ist für die Wirtschaftlichkeit von Fluggesellschaften aber sehr wichtig. Im scharfen Wettbewerb mit hohen Fixkosten zählt jeder Franken.

Tatsächlich hat das auch Vorteile für die Kunden. Einerseits erhalten so Reisende mit begrenztem Reisebudget die Chance auf ein günstiges Ticket, andererseits halten höhere Tarife Sitzplätze für die Reisenden frei, die sie wirklich brauchen, egal, zu welchem Preis.

Als alles noch einfach war

Erlösmanagement spielt für Fluggesellschaften seit vielen Jahren eine wichtige Rolle, und natürlich lief früher alles einfacher. In den 70er-Jahren war der Wettbewerb noch nicht so scharf, Flugtarife unterlagen stärkerer Regulierung, und die Fluggesellschaften hatten in der Regel sowieso nur zwei Tarifklassen im Angebot: Business und Economy. Diese Klassen waren klar voneinander abgegrenzt, und die Airlines hatten als Priorität ausgegeben, so viele Reisende wie möglich an Bord zu locken und gleichzeitig die Überbuchungen zu managen. Erlösmanagement hatte seinen Platz, war aber eher rudimentär angelegt.

In den 80er-Jahren legte der Wettbewerb deutlich zu, neue Strecken wurden eröffnet und die Preise sanken – Fluggesellschaften mussten sich etwas einfallen lassen, um wirtschaftlich zu bleiben. Die Zahl der Tarifklassen wuchs, man denke nur an die vielen Buchungsklassen (Y, B, E und so weiter) in der Economy-Serviceklasse. Sie wurden durch Tarifregeln wie Vorausbuchungsfrist, Mindestaufenthalt, Flugbeschränkungen und andere Dinge voneinander abgegrenzt. Das erlaubte eine genauere Kundensegmentierung zur Maximierung der Umsätze. Die Technik war weit genug fortgeschritten, dass Fluggesellschaften anfangen konnten, für bestimmte Reisesegmente die Nachfrage vorherzusagen. Allerdings standen eher die Umsätze pro Segment im Mittelpunkt als die gesamte Reise.

Die Ära der grossen Veränderungen

In den 90er-Jahren kamen die grossen Veränderungen. Einige Vorreiter unter den Fluggesellschaften begannen, das Erlösmanagement auf Origin & Destination (O & D) auszurichten, also auf den Ausgangspunkt und das finale Ziel einer Reise. Ihnen ging es darum, das gesamte Streckennetz zu optimieren, nicht nur einzelne Strecken. Die wachsende Zahl der Verbindungen, Strecken und Codeshares zwischen Allianzpartnern brachten natürlich zusätzliche Komplexität in das Erlösmanagement.

Eine noch grössere Verschiebung brachte das Internet mit sich. Reisende begannen, ihre Flüge selbst zu buchen. Online-Reisebüros wurden zum wichtigen Vertriebskanal, verschärften einen sowieso schon starken Wettbewerb und ermöglichten den Reisenden mehr Transparenz und einfache Preisvergleiche. Als Nebeneffekt beschleunigte das Netz die Beliebtheit von Low Cost Carriern mit ihren vereinfachten Zahl-nur-was-du-brauchst-Produkten.

Anpassen oder verschwinden

Full-Service-Fluggesellschaften hatten nur die Wahl, sich anzupassen oder vom Markt zu verschwinden. Die meisten schafften die Anpassung, indem sie das effektive Marketing der Billigfluggesellschaften nachahmten – und die Reise in Einzelteile zerlegten. Auf diese Weise konnten sie den Umsatz pro Passagier steigern und gleichzeitig einen Abwärtsspiralen-Preiskrieg vermeiden.

Das «Entbündeln» aber hatte ein Wahrnehmungsproblem: Einige Kunden, die vollen Service gewöhnt waren, reagierten verärgert. Daher begannen die Airlines, über «Tarifmarken» (fare branding) den Mehrwert in den Mittelpunkt der Kundenwahrnehmung zu stellen – woraufhin sich Tariffamilien (fare families) durchsetzten, also Gruppen von Tarifen mit unterschiedlichen Vorteilen oder Einschränkungen. Eine Tariffamilie bietet den niedrigsten Preis, aber keine Erstattungen oder Umbuchungen, eine andere bietet Flexibilität für einen höheren Preis. Jede Tariffamilie kann in sich viele verschiedene Preise aufweisen.

Mit Tariffamilien konnten Fluggesellschaften darauf reagieren, dass sich Reisende einfacher zu buchende Produkte wünschten. Noch wichtiger: Sie waren eine Möglichkeit, um im Wettbewerb mit den Low Cost Carriern zu bestehen. Mit diesen Änderungen wurden die Tarifbedingungen einfacher und transparenter. Ausserdem erstreckte sich das Erlösmanagement nicht mehr nur auf das Flugticket selbst, sondern auch auf Mahlzeiten, Zusatzgepäck, Sitze mit mehr Beinfreiheit und andere Dinge.

Allgemein gesprochen wählen Kunden für das gleiche oder ein ähnliches Produkt immer den niedrigsten verfügbaren Tarif. Um also Kunden, die zu einem Aufschlag bereit wären, davon abzuhalten, niedrigere Preise zu buchen, errichteten die Fluggesellschaften in der Vergangenheit «Zäune» in der Form von Vorausbuchungsfristen, Mindestaufenthalten und anderen Regeln. Für die eingesetzten Erlösmanagement-Systeme waren diese «Tarif-Zäune» ein wesentliches Element. Aber die Einführung von Tariffamilien mit ihren vereinfachten Tarifstrukturen riss viele dieser «Zäune» ein. Ohne Gegensteuerung kann das zu einer Umsatz-Abwärtsspirale führen, wenn nämlich das System eine sinkende Nachfrage nach ertragsstarken Buchungsklassen falsch interpretiert und mehr Niedrigtarife freigibt, um die Buchungszahlen zu erhöhen – was die Nachfrage nach höheren Buchungsklassen weiter sinken lässt. Dies ist gegenwärtig der grösste Einzelgrund für Umsatzverluste von Netzwerk-Carriern.

Revolution!

Eine völlige Neugestaltung des Erlösmanagements wurde nötig, um mit diesen neuen Tarifstrukturen zurechtzukommen und die Zahlungsbereitschaft der Reisenden präziser zu berechnen. Gebraucht wurde ein hochmodernes System, das mit den neuen Such- und Kaufgewohnheiten der Kunden umgehen kann.

Diese Anforderungen bildeten die Grundlage für die Partnerschaft zwischen Amadeus und Scandinavian Airlines (SAS) im Jahr 2013. SAS gehört zu den Pionieren bei der Einführung neuer Erlösmanagement-Verfahren: Die Fluggesellschaft hat schon in den frühen Neunzigern ihr Erlösmanagement auf das Niveau von Origin & Destination gehoben.

Mit SAS wurde das Amadeus Altéa Network Revenue Management entworfen. Diese Lösung stellt die Kunden statt die Sitzplätze in den Mittelpunkt des Geschehens und zielt besonders darauf, gegen den Effekt der «Abwärtsspirale» zu steuern. Airlines erhalten die Möglichkeit, neue Vermarktungstechniken zu ihrem Wettbewerbsvorteil zu nutzen.

Amadeus Altéa Network Revenue Management schätzt automatisch die Zahlungsbereitschaft der Passagiere ein und berücksichtigt bei der Optimierung der Tariffamilien-Verfügbarkeiten die Preissensibilität. Die Lösung sammelt und bündelt Big Data auf der Grundlage des Kundenverhaltens, der Preise des Wettbewerbs und damit zusammenhängender Daten. Die vollständige Integration in das Passagierservice-System Amadeus Altéa bedeutet, dass die Informationen nicht verfälscht oder ungenau werden.

Und was kommt jetzt?

Schon haben die Fluggesellschaften die nächsten Herausforderungen im Blick: Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Airlines ihr Geschäftsmodell stärker als je zuvor hinterfragen, von der Kostenführerschaft zum digital angelegten Kundenfokus. Technologien erlauben heute eine Interaktion in «real time» mit allen relevanten Distributionskanälen, die die spezifischen Kundenanforderungen entlang der gesamten Reise-Wertschöpfungskette abbilden. Somit müssen Fluggesellschaften mehr tun, als nur die Zahlungsbereitschaft richtig einzuschätzen. Sie werden für jeden einzelnen Fluggast den optimalen Preispunkt und das optimale Produktangebot bestimmen und in Echtzeit präsentieren müssen und dafür Kundenprofile, Buchungshistorien, Gewohnheiten und individuelle Anforderungen sowie relevante externe Informationen semantisch miteinander verbinden. In den vergangenen zehn Jahren hat Amadeus zwei dominante Trends zu diesem Thema beobachtet:

  • Die Menge der Daten und Informationen ist exponentiell gestiegen, beispielsweise zu den Gewohnheiten von Reisenden, zu ihren Kaufentscheidungen, zu Wettergeschehnissen (Disruption) und vielem mehr.
  • Leistungsfähigkeit und Speicherkapazitäten werden zunehmend skalierbar. Das erlaubt es, komplexe und multiple Datenquellen zu assimilieren und zu verarbeiten.

Nach Auffassung von Amadeus werden diejenigen Flugesellschaften erfolgreich sein, die die Möglichkeiten der Digitalisierung zur Generierung neuer Umsätze annehmen. Sowie diejenigen, die damit einhergehend sicher stellen, dass die vorhandenen Systeme und Prozesse kurzfristig aus Rohdaten Informationen erzeugen – die ebenso kurzfristig zur Grundlage von Massnahmen werden können, um die gewonnenen Informationen zu kapitalisieren.

Der Schlüssel, die heute möglichen, neuen Umsatzpotenziale zu heben, liegt darin, «Quick wins» zu identifizieren und eine offene Einstellung zu dem, was von anderen Branchen zu lernen ist und was in der Zukunft alles möglich sein kann.