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Eine Wandergruppe geniesst auf der Insel Saryangdo die Aussicht auf die umliegende Inselwelt. Bilder: Susanne Strässle

Einwurf Koreanischer Höhenrausch

Christian Berzins

Die Südkoreaner sind ein bestens ausgerüstetes Wandervolk. Doch anders als in der Schweiz, ist Wandern ein kollektives Fest.

Sie steigen aus Bussen, Privatautos und Taxis – und allesamt schauen gebannt dem Einlaufen der Fähre entgegen. Das Schweizer Wanderherz pocht, denn da steht tatsächlich eine Hundertschaft koreanischer Wanderer im Hafen. Am Wochenende sollen es zehn Mal so viele sein. Alle sind bestens ausgerüstet, jeder scheint seine enge Hose, bunte Jacke und den Sonnenhut erst gestern gekauft zu haben.

Der Schweizer, der zur eher weiten Wanderhose auch noch ein normales langärmeliges Herrenhemd trägt, ist auf einem südkoreanischen Wanderweg fast schon peinlich underdressed. Kommt belastend hinzu, dass der Anblick zum Schluss der Wanderung, wenn das hellblaue Hemd dunkel verschwitzt ist, für einen Koreaner ein Graus sein muss. Koreaner tragen auch bei 30 Grad im Schatten eine synthetische Funktionswindjacke, da sie anders als unsereins wegen fehlender apokriner Schweissdrüsen vor Schweissgerüchen verschont sind.

Kaum sind die Taue los, werden auf dem Oberdeck links und rechts die Rucksäcke ausgepackt: Tupperware-Töpfchen mit Kimchi, gebratenem und getrocknetem Fisch, Tomaten, Muscheln und Gimbap. Rasch machen auch Bier, der Reis-Schnaps Soju (20%) und der Weizen-Reis-Wein Makgeolli (7%) die Runde. Und eine Sekunde zu lang darüber gestaunt, werden wir flugs aufgefordert, vom Tintenfisch an scharfer roter Sauce zu probieren und dazu einen Schluck Soju zu wagen. Sowohl für das eine wie das andere ist es uns zu früh, wir müssen passen. Grosses Gelächter.

Mitleidig schielt man auf unseren Mini-Proviant.

Bald wird klar: Der koreanische Wandertag ist ein Freudentag. Da öffnet sich der mit 2163 Stunden im Jahr hart arbeitende Koreaner. Die Berührung mit der Natur geniesst jeder. Doch das Denken, dass sich hinter der nächsten Kurve bald die sieben Berge eines Märchenlandes erheben, wo man noch ewig einsam ins Nichts wandern könnte, ist wohl europäische Romantik. Verlorenheit im Berg kann man sich hier nicht wünschen, zu viele haben dasselbe Ziel. Ein Koreaner würde auch nie in einem anderen Wanderer einen kleinen Störenfried sehen, die Berge sind für alle da.

Stärkung am Hafen, Zwischenverpflegung auf der Fähre, gewiss, aber nichts geht über das ausladende Picknick auf dem Gipfel, den Höhepunkt des Tages. Mitleidig schielt man auf unseren Mini-Proviant aus dem Supermarkt.

Von weitem schon hört man beim Abstieg Picknickgesellschaften, die es sich links und rechts unter den Bäumen bequem gemacht haben oder in Gruppen auf den grosszügig angelegten hölzernen Plattformen sitzen. Wer es bloss bis in die halbe Höhe schaffte, scheint demnach nicht unglücklicher – im Gegenteil. Wandern wird zum Volksfest.

Wieder auf der Fähre, zieht es die meisten auf das Mitteldeck, einen riesigen Raum mit Holzboden. Als wäre es das Natürlichste der Welt, befreien sich 80 koreanische Wanderer nach einem heissen Tag am Berg von ihrem Schuhwerk und legen sich auf den schönen Boden. Man liegt Kopf an Fuss, wie die Katzen im Heu, erholt sich schlafend oder dösend von der Wanderung. Oder vom Rausch.