Reiseanbieter
Ein Reisebüro als Konglomerat von «Klein-Unternehmerinnen»
Jean-Claude RaemyVor vier Jahren gründete Nathalie Sassine-Hauptmann das Online-Reisebüro webook.ch. Die langjährige Reiseexpertin mit Stationen bei Vögele Reisen oder Rotunda Tours hatte sich nach einem Abstecher in die Journalismus-Welt nochmals vom Reisevirus packen lassen. Die Idee: Online oder telefonisch beraten, Herzblut und «Yes we can»-Attitüde einbringen und auf Beratungsgebühren verzichten. Anfangs wurde die One-Woman-Show von langgedienten Branchenvertretern noch belächelt. Inzwischen nicht mehr, denn ihr Reisebüro hat sich bestens etabliert. Die Gründerin und ihre Stellvertreterin äussern sich gegenüber travelnews.ch zum Erfolgsmodell.
Frau Sassine, Sie haben webook.ch 2014 praktisch «aus dem Stand», allein und ohne Businessplan eröffnet, als One-Woman-Show. Wo steht webook.ch heute?
Nathalie Sassine: Für einen Businessplan hatte ich nie Zeit, ich musste schliesslich Reisen verkaufen! Und das hat funktioniert: webook.ch hat sich innerhalb von vier Jahren von einer One-Woman-Show zu einer Ten-Woman-Show entwickelt. Insgesamt sind wir heute bei rund 400 Stellenprozenten im Verkauf. Der Umsatz wächst jährlich: 2017 waren wir bei 3 Millionen Franken, mit rund 320 Stellenprozent. Selber bin ich nicht mehr aktiv im Verkauf.
Womit verdient webook.ch eigentlich Geld?
Claudia Sprecher: Grundsätzlich nur mit Kommissionen. Bei aufwändigen Anfragen und Reiseberatungen haben wir ein Aufwandshonorar, aber das kommt vielleicht bei maximal 15 Prozent der Buchungen vor.
Und wie viel macht der Online-Shop mit Reiseartikeln aus, den Sie letztes Jahr lanciert haben?
Nathalie Sassine: Unser Online-Shop ist noch nicht mal ein Jahr alt, das Sortiment ist also noch relativ klein. Er dient mehr als weiterer Service am Kunden, damit dieser seine Reiseartikel ebenfalls von uns beziehen kann. Interessanterweise bestellen aber auch viele Nicht-Kunden im «weshop.ch», die so wiederum auf unser Reisebüro aufmerksam werden. Cross-Marketing also. Funktionieren tut der weshop.ch als ganz normaler Online-Shop, wobei webook.ch-Kunden nach jeder Buchung einen Rabatt erhalten.
Modernes, flexibles Arbeitsmodell für alle
Ihre Mitarbeitenden sind allesamt frei in Bezug auf Arbeitsort und Arbeitszeiten und arbeiten auf Provision. Wie hoch ist diese und was erhalten die Mitarbeitenden infrastrukturell?
Claudia Sprecher: Je nach dem, ob sie Kunden selber mitbringen, oder über webook.ch beziehen, erhalten unsere Mitarbeiterinnen - dies sind zur Zeit ausschliesslich Mütter - mehr oder weniger Kommission. Die Telefon- und Systemkosten übernehmen wir, wie auch den Arbeitgeberanteil an Sozialleistungen. Einzig einen PC und ein Handy müssen Mitarbeitende schon haben, wenn sie bei uns anfangen. Und natürlich viel Erfahrung in der Reisebranche.
Nun haben «Freelancer» gerade in der Reisebranche nicht den besten Ruf...
Nathalie Sassine: webookerinnen sind eigentlich keine richtigen Freelancerinnen, sondern Teilzeitangestellte mit freier Arbeitseinteilung und erfolgsabhängigem Lohn. Im Gegensatz zu vielen Freelancern sind sie aber bei uns angestellt und nicht in dem Sinne selbständig. Ausserdem verlangen wir keinen Mindestumsatz oder gar einen eigenen Kundenstamm. Was sie alle mitbringen: Ein enormes Engagement, wie ich es in meiner beruflichen Karriere noch selten erlebt habe. Sie lieben ihre Arbeit und gehen dafür auch die «Extra-Meile» für unsere Kunden. Eine webookerin berät mit Leidenschaft. Einerseits, weil sie darauf angewiesen ist, dass der Kunde wieder bei ihr bucht. Aber auch, weil alle unsere Mitarbeiterinnen Reiseberaterinnen mit Herzblut sind. Und sie schätzen - gerade als Mütter - die Flexibilität und Transparenz, die bei webook.ch gross geschrieben wird.
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre freischaffenden Mitarbeitenden «à jour» bleiben hinsichtlich der News und Entwicklungen in der Branche?
Claudia Sprecher: Das brauchen wir nicht sonderlich sicherzustellen, die Mitarbeiterinnen wollen das selber. Sie wissen, wie wichtig es ist, up-to-date zu bleiben. Das ist eben der Vorteil dieser «Klein-Unternehmerinnen»: Sie wissen selber, was gut ist für das Geschäft. Und über webook.ch können sie sich zu allen möglichen Workshops und Studienreisen anmelden, was auch rege genutzt wird.
Ein Remote-Team zu haben bietet Vorteile bei der Flexibilität und verursacht nur tiefe Büro-Fixkosten. Es hat aber auch Tücken, etwa der aufwändige interne Austausch. Was sind Ihre Erfahrungen damit?
Nathalie Sassine: Die Kommunikation ist tatsächlich sehr wichtig. Aber unter Frauen auch nicht so ein Ding, schliesslich reden wir alle gerne… Im Ernst: Wir haben mit jeder einzelnen webookerin ein wöchentliches On-to-One und etwa alle zwei Monate treffen wir uns zum allgemeinen Get-together. Hinzu kommen Branchen-Events, an die wir ebenfalls wenn möglich gemeinsam gehen. Online-Tools wie Task-Manager, Chats, Dossierbearbeitung in der Cloud und mehr sind natürlich sehr wichtig für uns, die Mailflut einzudämmen ist unser grösster Challenge. Daran arbeiten wir noch. Die Erfahrungen sind aber vorwiegend positiv. Besonders erfreulich sind die Hilfsbereitschaft und der Teamgeist, die bei uns herrschen. Kommt die eine nicht weiter, sind die anderen zur Stelle mit Tipps und Erfahrungen. Es gibt kein Konkurrenzdenken, schliesslich hat jede ihre eigenen Kunden.
Ein Ladenlokal braucht es nicht
Die Beratung erfolgt rein telefonisch oder online – gibt es keine persönlichen Treffen? Oder anders gefragt: Können Kunden auch in Ihren Co-Working-Space kommen für eine Beratung?
Claudia Sprecher: Doch, es gibt auf Wunsch persönliche Treffen. Entweder bei uns im Coworking oder aber auch bei Kunden zu Hause, im Kaffee oder wo immer es gerade passt. Aber das Bedürfnis der Kunden, uns persönlich zu treffen, ist nicht sehr gross. Offenbar fühlen sie sich durch unsere prompten Antwortzeiten und die Erreichbarkeit nach Vereinbarung auch abends und am Wochenende - als Kunde hat man immer dieselbe webookerin, die einen kennt und berät - so gut betreut, dass es nicht mehr braucht. Ausserdem haben die meisten Kunden schlicht keine Zeit, in ein Ladengeschäft zu kommen.
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Zu Beginn verzichteten Sie absichtlich auf eine Kundengeldabsicherung; danach waren Sie bei Fair Reisegarant abgedeckt. Woher der Sinneswandel?
Nathalie Sassine: Wir haben nicht «absichtlich darauf verzichtet», sondern mussten alle Lösungen erst prüfen. Angesichts unserer Grösse sind wir überdies mittlerweile von Fair Reisegarant zur TPA gewechselt.
Sie rekrutieren Ihre Kundschaft vorwiegend im Internet – auf welche Weise? Wie würden Sie Ihre Kundschaft charakterisieren?
Nathalie Sassine: Wir haben ein sehr gutes SEO [Search Engine Optimization, Anm.d.Red.], wir sind in Sozialen Medien unterwegs und rekrutieren natürlich auch viel im Bekanntenkreis. Das prozentuale Verhältnis dieser Kundenakquisitions-Kanäle ist ungefähr 33/33/33.
Wie würden Sie Ihre Kundschaft charakterisieren?
Nathalie Sassine: Unsere Kundschaft besteht vorwiegend aus Familien. Als Familienfrauen ziehen wir das wohl an, auch in den Sozialen Medien. Anfragen kommen da von den Müttern. Paare, Alleinreisende und 50plus zählen wir auch zu unserer Kundschaft.
Was sind, nach inzwischen vier erfolgreichen Jahren Existenz, Ihre wichtigsten Empfehlungen an Personen, welche sich möglicherweise einen ähnlichen Sprung in die Selbständigkeit vorstellen könnten?
Nathalie Sassine: Folgende vier Erkenntnisse kann ich weitergeben:
- Wenn du Zeit für einen Businessplan hast, hast du offenbar keine Kunden.
- Stelle Menschen ein, die das besser können, worin du nicht so gut bist. Konzentriere dich auf deine Stärken.
- Versuche, ein authentisches Geschäft zu betreiben, sonst nehmen die Kunden - und die Mitarbeiter - dir das nicht ab.
- Basics: Gib nicht mehr aus, als reinkommt! Das klingt vielleicht logisch, ist aber oft das Problem in der Selbständigkeit.