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Bei der Jobsuche hat der Tourismus im Vergleich zu anderen Branchen an Anziehungskraft verloren. Bild: Adobe Stock

Hier würde ich am liebsten arbeiten

Gregor Waser

In der Datenbank des Karriereportals mycareergate.ch hat die Beliebtheit von Tourismusunternehmen in den letzten drei Jahren im Vergleich zu anderen Branchen deutlich gelitten. Travelnews liegen die Absteiger vor. Wir haben Portalmitgründer Jean-Philippe Spinas befragt, auf was Tourismusunternehmen jetzt schauen müssen, um aus der Personalkrise zu finden.

Das Prinzip von mycareergate.ch einfach erklärt: auf dem Karriereportal registrieren sich Talents,  also Arbeitnehmende, und nennen ihre Wunscharbeitgeber. Die jeweiligen Unternehmen haben dann die Möglichkeit, die Angaben einzusehen und das Talent zu einem digitalen oder persönlichen Coffeetalk einzuladen. Daraus kann sich bei gegenseitigem Interesse ein neuer Job oder eine Bekanntschaft für ein allfälliges späteres Zusammenarbeiten ergeben.

Jean-Philippe Spinas, in der Reisebranche bekannt als ehemaliger Swissair-, Kuoni- und STA-Manager, ist Co-Founder von mycareergate.ch, er sagt: «Heute gilt es für Arbeitnehmende, nicht mehr zuzuwarten, bis irgendwo eine Stelle frei wird, um sich dann zu bewerben.» Das gleich gelte für Firmen: «Sie sollten nicht erst am Tag X, wenn ein Mitarbeiter die Firma verlässt, die Stelle ausschreiben und mit dem Suchprozess beginnen. Sie müssen sich schon frühzeitig um mögliche Talente kümmern, die sie vielleicht dann erst in zwei, drei Jahren einstellen. Unser Portal bietet die Vernetzungsmöglichkeit dazu».

Mittlerweile haben sich gegen 10'000 Schweizer Arbeitstalente auf mycareergate.ch registriert und nennen dabei bloss einige wenige oder bis maximal 150 Lieblingsfirmen, für die sie eines Tages gerne arbeiten würden.

Tourismus verliert an Anziehungskraft

Der Blick auf diese Daten verdeutlicht, dass der Tourismus im Vergleich zu anderen Branchen an Anziehungskraft verloren hat. Vor drei Jahren publizierte Travelnews das Ranking der beliebtesten Unternehmen aus dem Bereich «Tourismus, Verkehr und Gastronomie», heute liegen uns die aktuellen Daten aus dem Jahr 2022 vor:

Die Verschiebungen innerhalb der Kategorie «Tourismus, Verkehr und Gastronomie» halten sich also in Grenzen. Swiss, SBB und Flughafen Zürich stehen weiterhin zuoberst auf der Wunschliste von Jobsuchenden.

Die Wunschfirmen

Nimmt man nun aber alle Schweizer Berufsbranchen hinzu, fällt deutlich auf, dass die Beliebtheit von Tourismusunternehmen im Gesamtranking deutlich gelitten hat. Kunststück: in der Pandemie kam das Reisen vielerorts zum Stillstand, das Arbeiten bei Tourismusfirmen war bei einem ständigen Stop-and-Go und mühsamen Einreisebestimmungen stressig, viele verloren ihre Jobs, salärmässig wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Die Karriereaussichten in unserer Branche verschlechterten sich.

Beim Blick auf das Gesamtranking aller Schweizer Firmen figurieren nur die Swiss, SBB und Flughafen Zürich in den Top 20:

  1. ABB
  2. Roche
  3. Adidas
  4. Swisscom
  5. Google
  6. Novartis
  7. 3M
  8. BMW
  9. Siemens
  10. Migros
  11. Bayer
  12. Swiss (2019: Rang 7)
  13. AMAG
  14. Bosch
  15. SBB (2019: Rang 21)
  16. Johnson & Johnson
  17. Schindler
  18. Flughafen Zürich (2019: Rang 13)
  19. Nestlé
  20. Microsoft

Durchs Band mussten Tourismusunternehmen, mit der SBB als einzige Ausnahme, in den letzten drei Jahren in der Gunst von Jobsuchenden Federn lassen. Total umfasst die Datenbank von mycareergate.ch 1900 Schweizer Firmen, die von Jobsuchenden als Wunschfirma angegeben wurden. Wie nennen die einzelnen Rangierungen im Jahr 2022 (im Vgl. zum Rang im Jahr 2019), angefangen mit jenen Firmen, die am meisten Rangpunkte verloren haben:

  • Twerenbold Reisen 1264. Rang (369. Rang / 2019)
  • Interhome 982 (338)
  • Hotelplan 488 (253)
  • Hertz 560 (282)
  • Avis, 450 (273)
  • TUI 478 (259)
  • Globetrotter Travel Service 407 (227)
  • Helvetic Airways 335 (219)
  • Zürich Tourismus  338 (190)
  • Kuoni 298 (182)
  • Gate Gourmet 261 (164)
  • Mövenpick 190 (135)
  • ZVV 225 (131)
  • Edelweiss 94 (78)
  • Swissport 71 (33)
  • Schweiz Tourismus 213 (199)
  • Swiss 12 (7)
  • Flughafen Zürich 18 (13)
  • SBB 15 (21)

Die Nennung von Tourismusunternehmen als künftige Wunscharbeitgeber nimmt ab. Dabei haben weder Twerenbold Reisen noch Interhome, Globetrotter, TUI oder Kuoni in den letzten drei Jahren viel falsch gemacht. Der Tourismus hat aber gesamthaft im Vergleich zu anderen Branchen merklich gelitten. Jobtalente schauen sich eben immer öfters in anderen Branchen um.

«Die 28- bis 35-Jährigen suchen heutzutage eine Stelle ganz anders.»

Was heisst das nun für Tourismusunternehmen? Wir haben den langjährigen Touristiker Jean-Philippe Spinas, der seinen Blick in den letzten 12 Jahren über alle Berufsbranchen hinweg geschärft hat, befragt.

Herr Spinas, wir stufen Sie die Attraktivität der Tourismusbranche im Arbeitsmarkt ein?

Die zwei Jahre Covid und die Unsicherheit in der Branche haben alle mitgekriegt. Jene Leute, die die Branche verlassen haben, haben andere Branchen und Firmen entdeckt – Branchen, die boomen, die mehr Sicherheit bieten, etwa mehr Mittel für Projekte oder Marketing haben. Und jene Leute, die den Tourismusjob nicht verloren oder diesen nicht aufgegeben haben, müssen nun sehr viel leisten und äussern sich nicht nur positiv über das stressige Arbeitsumfeld. Das spricht sich herum.

Auf was müssten Tourismusfirmen besonders achten?

Jean-Philippe Spinas

Die Branche ist insbesondere bei jüngeren Mitarbeitenden beliebt. Was ich bei den 28- bis 35-Jährigen beobachte: die suchen heutzutage eine Stelle ganz anders. Die schauen sich nicht die offenen Stellen durch und fragen sich, passt das Unternehmen zu mir. Die tauschen sich im Freundes- und Bekanntenkreis aus, fragen, wie es dort ist zu arbeiten. Die kommen über Werte zu einer Firma, «Purpose» wird immer wichtiger, also «sinnstiftende» Arbeit, die Kontur einer Firma, ein glaubwürdiges Image, zufriedene Mitarbeitende, eine gute Kununu-Bewertung, die ganze Infrastruktur. Ob die Leute dort glücklich sind und wie die Stimmung ist, wird immer wichtiger. Erst wenn hier ein Häkchen gesetzt wird, schaut die neue Generation, ob es auch einen Job für sie dort gibt.

Auf was noch?

Es geht um mehr als bloss ein Goodie wie Freiflüge oder 10 Prozent Rabatt auf der Krankenkasse, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Diese Zeiten sind vorbei. Wichtig sind neben dem Salär, Entwicklungsmöglichkeiten, Homeoffice, welche Art von Reisen, was mache ich als Unternehmen für die Umwelt. Dann gilt es Mitarbeitende mit einem Marketing-Sales-Ansatz als Zielsegment anzuschauen: wie spreche ich diese an und was kann ich bieten, gilt es sich zu überlegen. Hier sprechen wir von Employer Branding.

Sehen Sie weitere Ansätze, solche, die Sie in anderen Branchen verfolgen?

Neuerdings werden da und dort Antrittspackages geschnürt. Eine Firma stellt einem Bewerber etwa ein Guthaben von 5000 Franken in Aussicht, das er wahlweise für Weiterbildung, Sprachkurse oder unbezahlte Ferien einsetzen kann, wenn er unterschreibt und mindestens zwei Jahre in der Firma bleibt. Einen hartnäckigen Ansatz verfolgt zum Beispiel Google. Bis 10 Jahre lange behält Google mögliche Talente im Auge und gratuliert etwa zum Geburtstag oder zu einem Abschluss. Mein Buchtipp hierzu: «Work Rules! Wie Google die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten, verändert.»

Welche weitere Entwicklung verfolgen Sie generell im Schweizer Arbeitsmarkt?

Was man jetzt spürt ist der demografische Wandel über alle Branchen hinweg. In den nächsten drei Jahren erleben wir ein Wendejahr: mehr Leute gehen in Pension, als auf den Arbeitsmarkt kommen. Die Schweiz verliert Arbeitskräfte. Mit dieser Netto-Abnahme verschärft sich das Problem. Als Firma zu wachsen, wird damit schwierig. Wenn dann zusätzlich eine Branche nicht sonderlich beliebt ist, dann heisst das unter dem Strich, dass die Kräfte, die auf dem Markt sind, in andere Branchen abwandern. Doch für die Tourismusbranche sehe ich nicht nur schwarz, schliesslich ist das Thema und Produkt weiterhin sehr attraktiv. Doch es gehören für ein erfolgreiches Arbeitsumfeld heute viele zusätzliche Aspekte dazu.