On The Move

Zoff um Passagierrechte: Das müssen Flugreisende jetzt wissen
Stundenlanges Warten am Gate: Der Ferienstart futsch, das Business-Meeting gelaufen – für Passagiere gibt es kaum etwas Frustrierenderes als massive Flugverspätungen. Gut, dass klare Regeln gelten, ab wann Entschädigungen fällig werden. Doch genau diese Vorgaben stehen nun einmal mehr auf dem Prüfstand.
Denn: Die Europäische Union diskutiert über eine Reform der Fluggastrechte, was auch Schweizer Reisende und Airlines betreffen würde. Während Passagiere auf mehr Klarheit und Fairness hoffen, kämpfen die Fluggesellschaften gegen hohe Zusatzkosten aufgrund von Entschädigungen. Travelnews beantwortet die fünf wichtigsten Fragen rund um die aktuellen Diskussionen.
Welche Änderungen stehen konkret im Raum?
Nach geltender Fluggastrechte-Verordnung haben Passagiere ab einer Verspätung von drei Stunden bei der Ankunft Anspruch auf eine pauschale Entschädigung – je nach Flugdistanz in Höhe von 250, 400 oder 600 Euro. Die EU-Kommission plant nun, diese Schwelle deutlich anzuheben. Künftig sollen Entschädigungen erst bei längeren Verspätungen fällig werden: Ab fünf Stunden bei Kurzstreckenflügen (bis 3500 Kilometer), ab neun Stunden bei Mittelstrecken (bis 6000 Kilometer) und erst ab zwölf Stunden bei Langstreckenflügen (über 6000 Kilometer), wie das Branchenportal «FVW» (Abo) berichtet. Nach Erhebungen von Flugdaten-Analysten würde im Falle der Reform, wie sie die Kommission vorschlägt, der Grossteil der betroffenen Passagiere nicht mehr entschädigt werden, Konsumentenschützer sprechen von an die 85 Prozent.
Was steckt hinter den Plänen der EU?
Der Ursprung der geplanten Reform reicht mehr als ein Jahrzehnt zurück: Bereits 2013 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Überarbeitung der Fluggastrechteverordnung (EG 261) aus dem Jahr 2004 vor. Im Zentrum standen Anpassungen der Entschädigungsregelungen bei Flugverspätungen. Ein Jahr später reagierte das Europäische Parlament mit einem eigenen Bericht – doch eine Einigung zwischen den EU-Institutionen blieb aus. Dann lag das Dossier lange auf Eis. Nun aber kommt wieder Bewegung in die Sache: Die Reform wird aktuell erneut unter den EU-Mitgliedstaaten verhandelt. Das Thema steht vermutlich bei einem Treffen der EU-Verkehrsminister in zwei Wochen auf der Tagesordnung. Zudem muss auch das EU-Parlament zustimmen.
Wie argumentieren die Befürworter einer Anpassung?
Vorkämpfer für eine neue Regelung sind die Airlines. Paradoxerweise führe die aktuelle Ausgestaltung oft dazu, dass Airlines einen Flug lieber komplett streichen, als ihn mit Verspätung durchzuführen – um so weitere Auswirkungen auf den Tagesflugplan zu vermeiden, schreibt die Lobbyorganisation «Airlines for Europe» (A4E) in einer Stellungnahme. Eine Verlängerung der Fristen würde den Fluggesellschaften mehr Flexibilität geben, um Personal und Flugzeuge bei unvorhergesehenen Ereignissen besser umzuverteilen – und so geplante Verbindungen doch noch durchführen zu können. «Wir brauchen realistische Zeitrahmen, die es ermöglichen, dass Millionen mehr Menschen ihr Bett zu Hause, wichtige Termine oder die langersehnten Ferien erreichen», sagt Ourania Georgoutsakou, Geschäftsführerin von Airlines for Europe.
Was sind die Argumente der Gegner?
Zu den lautesten Kritikern der geplanten Neuregelung zählen Konsumentenschützer sowie spezialisierte Dienstleister wie Airhelp oder Flightright, die das Einfordern von Entschädigungszahlungen zu ihrem Geschäftsmodell gemacht. Die Entschädigungspflicht sei ein zentraler Anreiz für Fluggesellschaften, planmässig und pünktlich zu operieren, sagt Tomasz Pawliszyn, CEO von Airhelp. «Wird die geplante Änderung umgesetzt, dürften deutlich häufigere und erheblich längere Verspätungen zum neuen Normalfall im europäischen Luftverkehr werden.» Jan-Frederik Arnold, Chef von Flightright, erklärte in der «Wirtschaftswoche»: Derzeit würden Fluggesellschaften Rekordgewinne verbuchen. Es dürfe nicht sein, dass gleichzeitig die Fluggastrechte abgebaut würden.
Inwiefern sind Schweizer Passagiere von den EU-Vorgaben betroffen?
Auch für Schweizer Passagiere sind die EU-Fluggastrechte nach Verordnung 261/2004 in vielen Fällen relevant – obwohl die Schweiz kein EU-Mitglied ist. Entscheidend ist dabei nicht die Nationalität der Reisenden, sondern der Abflugort und die Fluggesellschaft. Wer von einem Flughafen in der Schweiz, der EU oder den EWR-Staaten (Norwegen, Island) startet, profitiert in jedem Fall vom Schutz der Verordnung – unabhängig davon, ob es sich um eine europäische oder nicht-europäische Airline handelt. Fliegt man hingegen aus einem Drittstaat wie den USA zurück in die Schweiz oder die EU, gilt die Verordnung nur, wenn die ausführende Airline ihren Sitz in einem EU- oder EWR-Staat oder in der Schweiz hat. So ist etwa ein Flug von New York nach Zürich mit der Swiss gedeckt – mit United Airlines hingegen nicht.