Here & There

Mail aus... Rio de Janeiro — zwischen Caipirinha, Cristo und Copacabana

Matthias Wipf

Als letzte Station seiner 80-tägigen Reise um die Welt macht unser Autor halt in Rio de Janeiro — und geniesst die sanfte Meeresbrise, feine Caiprinhas, exquisite Fleischspiesse in den Churrascarias und ganz allgemein die Lebenslust der Brasilianer.

Schon die Fluglinie, die uns von den Iguazù-Fällen an der Grenze zu Argentinien weiter nach Norden, an unsern Bestimmungsort Rio de Janeiro, bringt, heisst Gol — passender könnte es nicht sein. Die Brasilianer lieben das «Jogo bonito», das schöne Spiel, auf dem Fussballfeld und im Leben insgesamt. Und Rio de Janeiro ist eine traumhafte Stadt, «cidade maravilhosa», wie sie auch genannt wird, sanft eingebettet zwischen dem Meer und von üppiger Vegetation bedeckten Hügellandschaften, den Ausläufern des Gebirgszuges Serra do Mar. Und über allem wachen der Pão de Açúcar (Zuckerhut) und Cristo Redentor, die beiden Wahrzeichen von Rio de Janeiro, die jeder Tourist als erstes besucht und die bei schönem Wetter eine unvergleichliche Aussicht bieten.

‹Cariocas› nennen sich die Bewohner Rio de Janeiros selbst, was eine Wortschöpfung der indigenen Urbevölkerung ist und «Haus des weissen Mannes» heisst. Momentan befinden sich die Cariocas im Banne der Olympischen Spiele, die sie — nur zwei Jahre nach den Fussball-Weltmeisterschaften — im nächsten Sommer ausrichten werden. Vieles wird renoviert, ausgebaut oder neu errichtet, vieles wird versprochen, auch «nachhaltig» seien die Bauten und «zum Nutzen der ganzen Bevölkerung», beispielsweise bei der Verkehrsinfrastruktur. Allein: den allermeisten Cariocas, die wir getroffen haben, fehlt der Glaube — auch wenn sie diesmal vielleicht nicht, wie vor zwei Jahren, offen auf der Strasse protestieren. «Ich bin die vielen Versprechungen satt», ärgert sich Felipe, der Kioskbesitzer bei uns um die Ecke im Künstlerviertel Santa Teresa. Und auch für unsere Stadtführerin Isabell, eine gebürtige Deutsche, mit der wir eine Tour durch eine der zahlreichen Favelas machen, ist klar, dass die Stadt momentan «tief in der Krise» stecke und Optimismus fehl am Platze sei.

Tanz, Fussball und Churrascarias

«Progresso» (Fortschritt) steht in grossen Lettern auf einer Wand in der Favela Cantagalo, unweit der Traumstrände von Copacabana und Ipanema — und diesen wünscht man sich für das ganze Land, das momentan mit zahlreichen sozialen und Umweltproblemen kämpft, dessen Staatspräsidentin Dilma vor einem Impeachment steht und das gleichzeitig den Slogan «Gott ist Brasilianer», wie ihn ein bekannter Film geprägt hat, allgegenwärtig auf den Lippen führt. Eine Metapher dafür könnte etwa der 85 Meter hohe Weihnachtsbaum mitten in der Stadt sein, der weltweit grösste, der dieser Tage von einem Sturm umgeknickt wurde und jetzt wieder neu aufgerichtet werden muss.

Rio de Janeiro, das ist unbestritten, bietet wunderschöne Ecken. Wir geniessen es, etwa in den Ausgehvierteln Lapa und Santa Teresa oder an der neu gestalteten Praça Maua, bei einem feinen Caipirinha zu sitzen und den Cariocas zuzusehen, wie sie spontan zu trommeln loslegen und einen flotten Samba auf die Strasse zaubern oder sich im Capoeira, dem typischen Kampftanz, miteinander messen. Wir lassen uns verzaubern von der Atmosphäre im weltbekannten Maracana-Stadion, wo wir einem Heimspiel des Traditionsvereins Fluminense beiwohnen.

Und auch für Liebhaber guten Fleisches ist es, wie schon in Argentinien, ein Traum, wenn die Kellner in den Churrascarias Fleischspiesse vom Holzgrill auffahren, bis man einfach nicht mehr kann. Da ist dann tags darauf Jogging entlang der feinen Strände von Copacabana und Ipanema angesagt — wo man hier und dort auch einer «Garota de Ipanema», der viel besungenen, legendären Strandschönheit mit wiegendem Schritt, begegnet. «Jogo bonito», wie gesagt. Oder auch «Viva sua Paixâo» (Lebe Deine Leidenschaft), wie das offizielle Motto von Olympia 2016 heisst.

«Wir Cariocas tragen das Herz auf der Zunge, und unser Herz ist gross», schmunzelt die junge Kunststudentin Emilia, die uns durchs Stadtzentrum begleitet, doppeldeutig. Und in der Tat kommt man schnell ins Gespräch, sei’s in der Metro, im Restaurant oder beim Coiffeur, und auch wenn Englisch und noch nicht mal Spanisch richtig weiterhelfen — man versteht sich trotzdem. Und verspricht, bald wieder zu kommen, etwa im Februar, zum Carnival — até logo, Brasil!

Die bisherigen Stationen:

In 80 Tagen um die Welt — Jules Verne reloaded
Singapur — der Duft der Grossstadt
Hanoi — im mystischen Reich von «Onkel Ho»
Tokio — zwischen Meiji- und Manga-Zeitalter
Auckland — zwischen «All Blacks» und «Flat White»
New Orleans — Jazz und Jambalya im «Big Easy»
Santiago de Chile — von wunderschöner Natur und «Kaffee mit Beinen»
Buenos Aires — von Fleisch, Tanz und Lebenslust

Und seit gestern ist unser Autor Matthias Wipf zusammen mit seiner Lebenspartnerin Prisca Huguenin wieder zurück in der Schweiz. Welcome back, danke für die spannenden Beiträge — und den Beweis, dass die Erde rund ist!