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«Eigentlich muss man die norwegische Küstenroute mindestens zweimal machen»
Reto SuterHerr Illes, die berühmte norwegische Küsten- beziehungsweise Postschiffroute ist vor allem durch die über 130 Jahre alte Traditionsreederei Hurtigruten bekannt. Ist Havila Voyages eine Kopie davon oder etwas eigenständig Neues?
Thomas P. Illes: Havila Voyages – beziehungsweise Havila Kystruten, wie sich die Reederei auf norwegisch nennt – bringt mit ihren vier neuen Schiffen in vielerlei Hinsicht willkommenen frischen und modernen Wind in das bisher durch Hurtigruten monopolartig betriebene Angebot. Als der norwegische Staat einen Teil der Fahrten neu ausschrieb, um Wettbewerb und Modernisierung in der Infrastruktur zu fördern, war jedoch klar, dass die Fahrpläne, Routen und Hafenanläufe nahezu identisch bleiben mussten, um im Wechsel mit Hurtigruten zu funktionieren. Denn das Angebot ist nicht nur für Touristen gedacht, sondern stellt auch eine zuverlässige Fracht- und Verkehrsanbindung für die Lokalbevölkerung an teilweise sehr abgelegenen Orten sicher. Das allein macht diese Reise schon einzigartig – von den landschaftlichen Schönheiten ganz zu schweigen.

Wenn ich richtig informiert bin, sprechen wir von sage und schreibe 34 Häfen pro nordwärts und 33 Häfen pro südwärts gehende Teilstrecke zwischen Bergen und Kirkenes – also von insgesamt fast 70 Hafenanläufen während einer 12-tägigen Rundreise...
In der Tat – Norwegen ist grösser, als man sich hierzulande meistens vorstellt und hat eine Küstenlinie inklusive Festlandsküste mit Fjorden sowie Inseln und Schären von über 100‘000 Kilometern. Wobei zu sagen ist, dass die Hafenaufenthalte oftmals nur wenige Minuten dauern und teilweise auch mitten in der Nacht stattfinden. Anders wäre die 5000 Kilometer lange Strecke für die gesamte Rundreise gar nicht zu schaffen.
Als Havila den Bewerbungsprozess gewann, erhielt sie ein Drittel der Liniendienste. Heisst das, dass man diese Reise entweder mit Hurtigruten oder Havila unternehmen kann?
Richtig, als Kunde hat man auf dieser Strecke die Wahl, welcher Reederei man den Vorzug geben möchte.
Dann ist die nächste Frage unausweichlich: Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen Havila und Hurtigruten?
Hurtigruten ist natürlich, wie Sie in Ihrer Eingangsfrage bereits feststellten, der Klassiker, gilt mit ihrer langen Tradition als Synonym für die norwegische Postschiffroute und ist eine absolut empfehlenswerte Reederei. Havila Voyages verfolgt aber in etlichen Bereichen einen anderen Ansatz und setzt die Prioritäten etwas anders.
Nämlich?
Da wäre zunächst einmal das Schiffsdesign. Dieses kommt bei den vier zwischen 2021 und 2023 in Dienst gestellten Neubauten Havila Capella, Havila Castor, Havila Polaris und Havila Pollux moderner, heller und im zeitgenössisch-nordischen Einrichtungsstil daher – in einer für Skandinavien typischen Kombination aus ruhigem Understatement und dennoch gemütlich-hochwertiger Atmosphäre. Besonders auffallend: die vielen grosszügigen Fensterflächen, die stets einen freien Blick auf die vorbeiziehende spektakuläre und abwechslungsreiche Natur und Landschaft erlauben. Hinzu kommt ein generell grosszügigeres Raumgefühl.

Aber sowohl bei Havila als auch bei Hurtigruten handelt es sich doch eher um kleine Schiffe?
Korrekt. Aber obwohl die Havila-Schiffe mit 123 Metern Länge und einer maximalen Kapazität von 640 Passagieren nach heutigen Standards ebenfalls eher klein sind, kommt dank eines raffinierten Raumkonzepts und cleveren Designelementen nie ein Gefühl der Enge auf. Auch rein rechnerisch steht den Gästen mehr Platz pro Passagier zur Verfügung – und das spürt man. Designmässig ist der Reederei damit zweifellos ein grosser Wurf gelungen. So findet sich in der Schiffsmitte sogar ein mehrstöckiges Atrium, etwas, was man bei dieser Schiffsgrösse nicht erwarten würde.

Wie steht es mit den Kabinen?
Auch diese sind räumlicher und setzen in Bezug auf die Inneneinrichtung in den teuersten Suiten-Kategorien Massstäbe in nordisch-edler Designkunst, wie man es auf dieser Route noch nicht gesehen hat. Selbst die Standardkabinen sind, wenn auch zweckmässiger, dennoch sehr wohnlich und mit genügend Platz eingerichtet.

Schön auch die vielen Aussendecksflächen – inklusive freien Zugang zum Bug. Das ist heute auf vielen modernen Schiffsentwürfen leider überhaupt nicht mehr selbstverständlich, glücklicherweise aber auch bei Hurtigruten Teil des Erlebnisses. Mehr frei zugängliche Aussendecks mit unverbauten Aussichtspunkten wären meiner Meinung nach sowieso auf allen Passagierschiffen wünschenswert, um die Begeisterung für Seereisen breiteren Zielgruppen zugänglich zu machen. Auf dieser Route, in der sich in nie abreissender Folge ein landschaftlicher Höhepunkt an den anderen reiht, ist es allerdings geradezu Pflicht!
Was zeichnet Havila sonst noch aus?
Ganz klar die Kulinarik! Und zwar sowohl punkto Qualität als auch in der Nachhaltigkeit. Letztere soll, ganz im Einklang mit der norwegischen Mentalität, nicht nur ein trendiges Werbeversprechen sein, sondern handfeste messbare Resultate liefern.
Können Sie das etwas näher ausführen?
Bezüglich Nachhaltigkeit hat sich Havila ernsthaft vorgenommen, neue Bestmarken aufzustellen und damit neue Industriestandards zu setzen. Neben innovativen alternativen Antriebskonzepten gehört dazu auch, den Food Waste möglichst wirkungsvoll zu reduzieren, ohne das Gäste-Erlebnis einzuschränken. So wird, ausser in Teilen beim Frühstück und anders als bei Hurtigruten, vollends auf ein Selbstbedienungsbuffet verzichtet. Stattdessen legt Havilas Foodkonzept, bekannt als «Havila Food Stories», den Fokus auf die Präsentation der Aromen und des kulinarischen Erbes der norwegischen Küstenregionen. Es wird Wert auf frisch zubereitete, kleine Portionen gelegt, die im Rahmen eines Á-la-carte-Services zum Teilen und Probieren einladen.
Aber viele Leute mögen Buffets – vermissen die Gäste das nicht?
Einige können und wollen tatsächlich nicht ohne. Havilas Ausrichtung zielt jedoch mehr in Richtung eines ruhigeren und gediegeneren Bordambientes. Ein solches verträgt sich auch nach Meinung von Hotel-Managerin Else Kristine Tjessem schlecht mit einem Buffet, wo die Gäste, wie sie mir an Bord erläuterte, ständig und unabhängig voneinander zum nächsten Gang rennen und gar keine Zeit finden, sich in Ruhe am Tisch miteinander zu unterhalten und die sie umgebende Landschaft wahrzunehmen. Wie etliche ihrer Besatzungskollegen arbeitete auch Else vor ihrer Zeit bei Havila jahrelang bei Hurtigruten und bestätigte, dass das Fehlen jeglicher Hektik mit einem gepflegten Service am Tisch einen eklatanten Unterschied in der von Havila angestrebten niveauvolleren Bordatmosphäre macht. Dazu gehört zum Beispiel auch das Fehlen jeglicher Hintergrundmusik in den Restaurants.
Kleine Portionen und kein Buffet: Kriegt man denn bei Havila genug zu essen?
Auf jeden Fall! Aber man isst tendenziell tatsächlich weniger – ohne jedoch je unangenehme Hungergefühle zu entwickeln. Und man isst ausnehmend gut auf Havila – die Qualität der Speisen mit hochwertigen, lokalen Ingredienzen und ihrer naturbelassenen Kreativität ist schlicht herausragend und braucht den Vergleich mit etablierten Kreuzfahrtschiffen der Luxusklasse nicht zu scheuen. Auch überraschen die Gerichte mit einer geschmacklichen Vielfalt und Güte, die wohl die wenigsten mit Norwegen in Verbindung gebracht hätten. Das gilt gleichermassen für Fisch-, Fleisch- und vegane Gerichte.
In Kombination mit der bereits erwähnten Zeit und Ruhe sowie den servierten, äußerst ansprechend präsentierten Tapas-ähnlichen Köstlichkeiten kommt, anders als bei einem Buffet, viel weniger der Wunsch auf, bereits zum nächsten Gang zu stürmen, bevor sich überhaupt ein Sättigungsgefühl einstellen konnte. Gleichzeitig macht einen das Essen angesichts der gebotenen Qualität trotzdem zufrieden, satt und glücklich!
Was fehlt, ist die breitere Auswahl an verschiedenen Spezialitätenrestaurants, die man in der Regel auf herkömmlichen Luxusschiffen findet.

Also gibt es nur ein Restaurant an Bord?
Ausser dem Hautrestaurant, einem zweiten kleinen Fine-Dining-Restaurant, das aufpreispflichtig ein norwegisches Feinschmeckermenu mit besonders exklusiven Gerichten anbietet, sowie einem Café, das, ebenfalls kostenpflichtig, den ganzen Tag über warme und kalte Speisen im Angebot hat, finden sich auf den Havila-Schiffen keine weiteren Restaurants. Das vermisst aber kein Mensch. Wer hier unterwegs ist, braucht kein französisches oder japanisches Edelrestaurant, sondern will die einheimische Kultur auch kulinarisch authentisch kennenlernen. Das gelingt absolut überzeugend. Und es produziert tatsächlich und messbar auch weniger Food Waste. Damit würde ich Havilas Gastronomiekonzept als etwas vom Cleversten bezeichnen, was ich je auf einem Passagierschiff oder Hotel an Land erleben durfte.
Gibt es zu diesen Einsparungen Zahlen?
Havila gibt diese mit 58 bis 70 Gramm pro Gast und Nacht an, was pro Jahr eine Gesamteinsparung von etwa 60 Tonnen ergibt. Bei nur vier kleineren Schiffen ist das eine beeindruckende Grössenordnung, insbesondere gegenüber Buffet-Standards. Zahlreiche internationale Auszeichnungen unterstreichen, dass das Modell in der Branche hohe Anerkennung findet.
Welche weiteren Unterscheidungsmerkmale haben Sie bei Havila Voyages ausgemacht?
Mir fielen da zunächst einmal die ausgeprägte Laufruhe und hervorragenden Seegangseigenschaften dieser Schiffe bei auch winterlich-stürmischem Wetter auf. Insbesondere die Offiziere auf der Brücke äusserten sich begeistert, wie viel besser sich diese Schiffe bei schwerer See und hohen Wellen verhalten und manövrieren lassen. Und Hotel-Managerin Else meinte gar, dass sie unter normalen Wetterbedingungen bei Büroarbeiten zuweilen gar nicht merke, ob das Schiff fährt oder im Hafen liege. Bei diesen Schiffen wird also deutlich spürbar, wie neuzeitliche Fortschritte und Innovationen im Schiffbau und Schiffsdesign eingeflossen sind.

Sie sprechen von schwerer See und hohen Wellen – aber die Route führt doch vor allem durch Fjorde und Küstengewässer...
Das stimmt. Zwar fährt man oft innerhalb geschützter Passagen zwischen Inseln oder in Fjorden, aber mehrmals pro Reise muss das Schiff exponierte Seeabschnitte queren, die wie gesagt besonders im Winter bei Durchzug atlantischer Tiefs stürmisch werden können. Dies meist nur für wenige Stunden, aber wiederholt innerhalb einer 12-tägigen Rundreise. Und es kann bisweilen dazu führen, dass es Umstellungen im Fahrplan gibt.
Lohnt sich Ihrer Erfahrung nach die ganze Rundreise – oder reicht auch eine Teilstrecke nordwärts beziehungsweise südwärts?
Wenn es Zeit und Budget erlauben: unbedingt die ganze Rundreise machen! Zwar läuft man in der Regel bei beiden Teilstrecken die gleichen Häfen an, aber zu unterschiedlichen Tageszeiten, mit kürzeren oder längeren Liegezeiten und variierenden Wetterverhältnissen. Das heisst, dass man Landschaften und Orte, die man auf der der einen Teilstrecke verpasste, auf der anderen erleben kann – und umgekehrt. Auch ich war erstaunt, wie unterschiedlich sich Eindrücke und Atmosphären bei beiden Teilstrecken präsentierten! Das gilt vor allem auch für den Winter, wo der Tages-/Nachtrhythmus ausgeprägter ist.
Das heisst wohl, dass man sich Norwegen im Winter beziehungsweise Sommer extrem unterschiedlich vorzustellen hat. Was gefiel Ihnen besser?
Norwegen ist mit Sicherheit eines der weltweit schönsten und eindrücklichsten Länder, die man sich überhaupt vorstellen kann. Egal, zu welcher Jahreszeit. Angesichts den charakteristisch-ausgeprägten saisonalen Unterschieden dieser Region fällt mein Verdikt jedoch klar aus: Eigentlich muss man die norwegische Küstenroute mindestens zweimal machen! Man erhält grundverschiedene, aber gleichermassen faszinierende Eindrücke. Sowohl im Winter als auch Sommer kommt man mit zuverlässiger Regelmässigkeit aus dem Staunen nicht heraus und wird mit einer Fülle an spektakulären und landschaftlichen Höhepunkten und Stimmungen beschenkt, wie man es nicht oft und in dieser Form wohl nur von Bord eines Schiffs zu erleben vermag. Es ist daher sicher nicht übertrieben zu sagen, dass die norwegische Küstenroute eine der absoluten Reise-Highlights auf dieser Welt ist. Und zwar unabhängig von der Reisezeit.
Aber ist es im Winter nicht eher grau und dunkel?
Klar, Sonnenschein ist eher Mangelware beziehungsweise jenseits des Polarkreises zum Teil überhaupt nicht existent. Dunkel, wie bei uns, ist es aber nur in den seltensten Fällen. Schon allein die zauberhaften und zum Teil surreal wirkenden Schneelandschaften hellen die Umgebung kontrastreich auf und sorgen regelmässig für mystische und magische Momente. In Kombination mit den zahlreichen und facettenreichen Blau- und Pastelltönen inklusive dem oft zu beobachtenden Polarlicht entfalten sich Panoramen, Stimmungen und Impressionen von entrückender Schönheit, die ihresgleichen suchen.

Und wie präsentiert sich die Landschaft im Sommer?
Naturgemäss viel heller. Da geht die Sonne zum Teil überhaupt nicht mehr unter und taucht die Landschaften 24 Stunden in ein intensives, warmes Licht mit satten Farben und permanent wechselnden Szenerien. Und ich muss schon sagen, dass es ein besonderes Erlebnis ist, irgendwo hoch im Norden um Mitternacht bei Sonnenschein am golden leuchtenden Meeresufer entlang eine Jogging- und Entdeckerrunde zu drehen.

Eine Garantie für Sonnenschein und Wärme hat man aber nicht, oder?
Selbst wenn das wechselhafte norwegische Wetter auch im Sommer zuweilen für bewölkten Himmel, Regenschauer oder kühlere Temperaturen sorgen kann und die Berggipfel im Norden schneebedeckt bleiben, zieht die nordische Sommeratmosphäre die staunenden Passagiere so sehr in den Bann, dass sie sich zum Teil ungläubig die Augen reiben und ihre Kameras und Smartphones viel mehr einsetzen, als sie sich das vermutlich träumen liessen. Natur- und Fotoenthusiasten kommen in allen Jahreszeiten voll auf ihre Kosten. Entsprechend viele Gäste sieht man sowohl im Winter als auch im Sommer mit «grobem Geschütz» – sprich: Spiegelreflexkameras mit dicken Teleobjektiven – ziemlich rastlos, aber mit hochzufriedenem Gesichtsausdruck herumrennen. Wobei sich das mit dem «Herumrennen» im Winter etwas relativiert...
Zu kalt?
Eher zu glatt... Norweger befreien ihre Strassen nicht so oft und sauber von Schnee und Eis, wie wir das bei uns in der Schweiz gewohnt sind. Die kämen angesichts der strengen Winter nirgends hin damit. Man muss also schon verdammt aufpassen, nicht ins Rutschen zu geraten, mit einem beängstigendem «Affenzahn» in eine Richtung zu schlittern, wo man definitiv nicht hinwollte oder sich krachend auf dem vereisten Boden wiederzufinden. Und jetzt kommt das Verrückte: Das gilt auch für die Aussendecks auf dem Schiff – die werden zum Teil ebenfalls über längere Zeitabschnitte weder von Eis noch Schnee gesäubert! Es empfiehlt sich also sehr, sich ein Paar Spikesets, die man auch an Bord kaufen kann, um die Schuhe zu schnallen. Trotzdem versank ich bei meinen Streifzügen in den verschiedenen Häfen bisweilen bis zu den Oberschenkeln im Schnee – da helfen auch keine Spikes. Im Sommer passierte mir das natürlich nicht (lacht). Ja, der norwegische Winter kann es in sich haben...
Schauen Sie sich nur mal die Winterbilder an: einen Schneemann an Bord eines Schiffs bauen? Auf Havila geht das. Das wäre auf einem herkömmlichen, erst recht US-Kreuzfahrtschiff völlig undenkbar – schon rein aus rechtlichen Versicherungsgründen. Auch das heisst authentisches Reisen à la Havila! Und mir sowie den übrigen Gästen, vor allem auch der indischen Reisegruppe aus Mumbai, hat es grossen Spass bereitet.

Wenn Sie gerade Kreuzfahrten ansprechen: unterscheidet sich eine Reise mit Havila Voyages auch in anderen Bereichen von einem klassischen Kreuzfahrterlebnis?
Erlauben Sie mir zuerst den Einwand, dass es «die Kreuzfahrt» als einheitliche Kategorie nicht gibt – da sind die verschiedenen existierenden Schiffskonzepte und Qualitätsklassen und damit auch Zielgruppen mittlerweile viel zu unterschiedlich. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber darin, dass Havila, wie eingangs erwähnt, auch einen Transport- und Frachtbeförderungsauftrag und entsprechend einen regelmässigen Anteil an wechselnden Tagesgästen hat. Unter Einhaltung gewisser Voranmeldefristen können Sie also in fast jedem angelaufenen Hafen eine mehrstündige bis mehrtägige Teilstrecke mit Havila starten. Wenn Sie möchten, auch ohne Verpflegungspaket – dann nehmen Sie, mit gewissen Einschränkungen, zum Beispiel in Bezug auf Alkohol, einfach Ihr eigenes Essen mit. So wie zum Beispiel bei uns auf dem Vierwaldstättersee. Oder verpflegen sich im besagten Café. Bis zu einer Reisedauer von 24 Stunden brauchen Sie auch nicht unbedingt eine eigene Kabine zu buchen, sondern können Schlafsessel nutzen.

Und dann wären da wie gesagt die vielen Häfen, zum Teil mehrere pro Tag und Nacht. Das ist schon eine recht betriebsame Angelegenheit – aber hochinteressant, und die Gäste schätzen es sehr, bei diesen Anläufen so viele hautnahe Einblicke in Land und Leuten zu erhalten. Bei einigen Orten hat man mehrstündige Aufenthalte, bei anderen dauern sie nur wenige Minuten. Was aber oft gemacht und auch im Rahmen von Landausflugsoptionen angeboten wird: Man steigt in einem Hafen aus, unternimmt eine Tour über Land und steigt dann später in einem anderen Hafen wieder zu. Das funktioniert auch für Individualreisende. Da kann eine Unterbrechung sogar mehrere Tage dauern, bevor man sich entweder wieder aufs Gleiche oder ein anderes Schiff begibt, um die Seereise fortzusetzen. Diese Art der Flexibilität bietet ein Kreuzfahrtschiff nicht.
Wie sieht es mit der Bordunterhaltung aus – gibt es so etwas überhaupt?
Ein Entertainment oder gar Shows, wie man sie an Bord grosser Kreuzfahrtschiffe gewohnt ist, finden sich auf Havila nicht. Das Haupt-Entertainment ist, ähnlich wie auf Expeditionskreuzfahrtschiffen, die grossartige Landschaft und Natur, ergänzt durch informative Vorträge und Präsentationen des Bordlektors. Selbst Musik läuft nur sehr selten, allenfalls ab Band in der Observation Lounge.

Auf der Sommerreise hatten wir jedoch das Glück, mit Sæmund Helde, einem jungen Kellner und talentierten Musiker, wunderschön interpretierte poetische norwegische Volkslieder vorgetragen zu kriegen. Ein Mann, eine Gitarre, eine berührende, ausdrucksstarke Stimme – und die einmal mehr beeindruckende vorbeiziehende Landschaft: Das reichte, um die Gäste verzaubern und andächtig zuhören zu lassen. Das Erlebnis war schon fast meditativ. Erlauben Sie mir aber, punkto Musik einen Kritikpunkt anzubringen.
Bitte!
Die Musikauswahl ist zum Teil grottenschlecht und passt überhaupt nicht ins von Havila angestrebte authentische Norwegen-Feeling. Das ist aber eine Unterlassung, die bei vielen Retail- und Hospitality-Anbietern zu beobachten ist: Man investiert Millionen in Design, Möbel, Lichtkonzepte, Kunst, Gastronomie, etc. – und vergisst die punkto Stimmung und Ambiente keinesfalls zu unterschätzende Akustikuntermalung als wirkungsvolles Branding-Tool.
Was wäre denn Ihr Rat – Sie haben unter anderem Musik studiert und beraten Firmen auch im Bereich Music Branding...
Norwegen hat eine unglaublich vielfältige Musikszene auf Weltklasseniveau – da würden sich genug hochwertige Playlists mit zur Landschaft passenden Klängen lokaler Künstler zusammenstellen lassen. Also eine Art «Havila Playlist», die man auch im Bordshop verkaufen und die erlebten Stimmungen und Emotionen als inspirierende Ferienerinnerung zu Hause wieder aufleben lassen könnte.
Dann sind wir mal gespannt, wer alles bei Havila dieses Interview liest und ob Ihr Vorschlag Gehör finden wird!
Ich werde berichten (lacht).

Weil Sie gerade den singenden Kellner erwähnt haben – wie ist der Service generell bei Havila?
Von wenigen Ausnahmen abgesehen – solche Ausreisser gibt es immer und überall – hervorragend. Dass das rein technische Serviceniveau nicht immer perfekt war, störte mich nicht. In Sachen Gastfreundschaft und Aufmerksamkeit fühlte ich mich jedoch ausserordentlich wohl an Bord. Besonders gefallen hat mir, dass die Service-Crew aufgrund den im Vergleich zu Kreuzfahrtschiffen besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen überwiegend ebenfalls aus Norwegen oder anderen skandinavischen Ländern stammt – so war stets auch in dieser Hinsicht ein lokaler Bezug zur bereisten Region spürbar. Auch das ist bei Kreuzfahrtschiffen oft anders.
Auffallend und positiv bei beiden Reisen war für mich die Begegnung mit individuellen Persönlichkeiten und Charakteren, die den Gästen natürlich und spontan, auf Augenhöhe und ohne künstlich auferlegten, oft unnatürlich wirkenden Servicedrill begegnen. Dafür mischte sich regelmässig eine Prise erfrischend-verschmitzter Humor darunter. Diese besondere Art einer authentisch-freundlichen Offenheit und Entspanntheit erlebt man in Norwegen oft – vorausgesetzt, man selbst bringt ebenso Offenheit und Empathie mit. Auf den Havila-Schiffen herrscht somit durchweg eine ausgeprägte Wohlfühlatmosphäre. Und sie strafte das verbreitete Klischee vom «kühlen Nordländer» Lügen – dieses trifft in den allermeisten Fällen schlicht nicht zu.
Ist aufgrund den von Ihnen angesprochenen besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen eine Reise mit Havila generell teurer?
Ein Billigangebot ist die Küstenroute, sowohl mit Havila als auch Hurtigruten, nicht. Aber meiner Meinung nach jeden Franken wert. Der höhere Preis ist überdies nicht nur auf höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zurückzuführen, sondern das Resultat eines überzeugenden Gesamtpakets. Namentlich auch im bereits angesprochenen Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit.
Rücken umweltfreundliche Kreuzfahrten demnach tatsächlich in Griffweite?
Bei grossen Schiffen und weltweiten Routen sind noch eine Reihe von technischen, politischen und logistischen Herausforderungen zu meistern, bis man wirklich von «umweltfreundlich» sprechen kann. Aber die Branche, wie die gesamte, also auch die Frachtschifffahrt, bewegt sich mittlerweile tatsächlich immer mehr Richtung einer besseren Umweltverträglichkeit. Havila verfolgt diesen Weg seit Anbeginn noch um einiges konsequenter.
Inwiefern?
Die Reederei will baldmöglichst mindestens klimaneutral und letztlich emissionsfrei werden.
Das scheint ein hohes Ziel – wie soll das konkret funktionieren?
Zunächst einmal sind Havilas Schiffe als moderne Plug-in-Hybridschiffe konzipiert. Als Energiequellen dienen verflüssigtes Erdgas (LNG), das im Betrieb verdampft und gasförmig als Treibstoff genutzt wird, sowie grosse Batteriespeicher. Bei meinem Besuch im Maschinenraum der Havila Capella letzten Winter erläuterte mir Chief Engineer Björn Jones, dass diese Batterien über eine Kapazität von 600 Teslas verfügen und damit in sensiblen Gebieten wie den Unesco-geschützten Fjorden bis zu vier Stunden emissions- und geräuschfreien Betrieb ermöglichen.

Geladen werden die Batterien mit norwegischem Wasserkraftstrom, das Schiffsdesign ist auf hohe Energieeffizienz ausgelegt. Zudem ist davon die Rede, als nächsten Schritt fossiles LNG vollständig durch Biogas zu ersetzen und möglicherweise alternative emissionsfreie Kraftstoffe wie grünen Wasserstoff oder Ammoniak zu nutzen. So kündigte Bent Martini, CEO von Havila Voyages, unlängst an, bereits diesen Herbst die Möglichkeit zu prüfen, mit Biogas und der Kombination mit den Batteriepaketen die über 5000 Kilometer lange gesamte Küstenroute Bergen-Kirkenes-Bergen klimaneutral zu befahren. Gleichzeitig bekräftigte er Wachstumspläne und das klare Ziel des Unternehmens, die Präsenz auf der Küstenroute in der nächsten Vertragsperiode mit neuen Schiffen auszubauen. Diese sollen die Umweltanforderungen der Zukunft erfüllen und somit ein «Leuchtturm für den grünen Wandel in der Schifffahrt sein und Synergien für andere Teile der Branche schaffen können».
Das klingt bemerkenswert und dürfte das Image von Kreuzfahrten sicher nachhaltig positiv verändern. Denken Sie, diese ehrgeizigen Pläne sind tatsächlich umzusetzen?
Völlige Emissionsfreiheit ist ein sehr ambitiöses Ziel. So wie ich allerdings Havila und generell die norwegische Innovationskraft im maritimen Sektor kenne, traue ich dem Unternehmen zu, auf dem Weg dahin wichtige Entwicklungsschritte zu realisieren. Als Teil der Jury der Kreuzfahrt Guide Awards des «Hamburger Abendblatts» war es mir deshalb eine grosse Freude, zusammen mit meinen Jurykollegen Havila Voyages den renommierten Kreuzfahrt Guide Award 2024 in der Kategorie Nachhaltigkeit zuzusprechen.
Und dann darf man vor allem eines nicht vergessen: Havila Voyages mag auf der Küstenroute ein Newcomer sein. In der Schifffahrt und maritimen Branche ist das Unternehmen aber bestens etabliert und verfügt über jahrzehntelange Expertise aus Fischerei, Offshore- und Schifffahrtsaktivitäten. Zusätzlich profitiert das Unternehmen durch Beteiligungen an maritimen Technologie- und Werftunternehmen von direktem Zugang zu norwegischer Spitzentechnologie für emissionsarme Schiffe. Havila ist also durchaus eine grosse Nummer im norwegischen Schifffahrtsgeschäft!
Machen sich die von Ihnen genannten Unterschiede zu klassischen Kreuzfahrtprodukten auch beim Publikum an Bord bemerkbar – ist das anders als bei «normalen» Kreuzfahrten?
Obwohl Schiffsreisen mittlerweile alle Alters- und Einkommensklassen begeistern: Auf der Küstenroute sieht man tendenziell mehr ältere Menschen mit spürbarem Interesse an Natur, Ruhe, Kultur und Nachhaltigkeit, von denen ein nicht unerheblicher Teil von sich behaupten würde, keine klassische Kreuzfahrt, schon gar nicht auf grösseren Schiffen unternehmen zu wollen. Vereinzelt finden sich auch junge Pärchen und Rucksacktouristen an Bord, die eine Tages- oder Teilstrecke absolvieren. Allen gemeinsam ist, dass sie die greifbare und hautnahe Erfahrung einer Seereise, wie man sie immer seltener zu erleben vermag, sichtlich fesselt und sie zum Beispiel die An- und Ablegemanöver sowie Frachtbeladungsvorgänge fasziniert von den Aussendecks verfolgen. Zu jungen Schiffsreisenden hätte ich generell noch eine Bemerkung...
Bitte!
Mir fällt auf, gerade bei Bildungsseminaren mit Studierenden in ihren Zwanzigern und Dreissigern, dass auch in dieser Altersklasse keineswegs nur Party und Rund-um-die-Uhr-Bespassung im Fokus stehen, sondern zunehmend ebenfalls das Interesse an inspirierenden Naturerlebnissen an Bord von kleineren Schiffen. Mit spürbarer Dankbarkeit für die Erfahrung, wie intensiv diese auf dem Meer erlebt werden können. Die Nachfrage nach kleineren, individuellen Schiffen ist aber ohnehin ein Trend im Schweizer Kreuzfahrtmarkt. Bei jungen Menschen stellen allerdings das erwähnte höhere Preisniveau und die noch wenig ausgeprägte Markenbekanntheit die grössten Hemmschuhe für grössere Popularität dar.
Das, was Sie vorhin sagten, hört man oft: «eine Kreuzfahrt würden ich nie machen, eine Reise mit Hurtigruten – oder nun eben mit Havila – aber schon».
Das werte ich an sich tatsächlich als eine spannende Aussage. Zum einen kann man sich natürlich fragen, was denn diese Leute unter einer Kreuzfahrt verstehen, was sie an diesem Begriff so abschreckt und wo in deren Augen die Unterschiede zu einer Reise mit Havila bestehen sollen. Die es aber, wie wir ja jetzt auch eben diskutierten, durchaus gibt. Nicht umsonst lancierte Hurtigruten seinerzeit den Slogan «die schönste Seereise der Welt» und vermied es tunlichst, das Wort Kreuzfahrt nur ansatzweise in den werbemässigen Mund zu nehmen. Auch Havila verwendet diesen Begriff sehr zurückhaltend.

Nachdem nun Havila Voyages so erfolgreich gestartet ist und sogar weiter wachsen will: Besteht die Herausforderung, sich gegenüber des allmächtigen und berühmten Hurtigruten-Brands zu behaupten weiterhin? Oder hat sich die Marke mittlerweile etabliert?
Anfänglich war das bestimmt kein einfacher Weg – gerade auch in den deutschsprachigen Ländern. Wie mir Pia Kuusisto, Head of Sales DACH, EMEA, AS & SA allerdings bestätigt, ändert sich das mittlerweile. Das war auch bei meinen Reisen zu spüren – viele Gäste und Reisegruppen stammten aus dem deutschsprachigen Raum. Darunter auch etliche aus der Schweiz, bei denen das Produkt auf sehr positives Echo stösst. Aber selbstverständlich dürfen die Marketing- und Promotionsanstrengungen nicht nachlassen, um der Markenbekanntheit auch weiterhin Auftrieb zu verleihen.

Im Gegensatz dazu sei, wie mir Chief Marketing Officer Mette Øyen in einem ausführlichen Gespräch an Bord darlegte, die Ausgangslage in stark wachsenden Überseemärkten wie USA oder Australien eine andere. Dort sei Hurtigruten kein so prominenter Begriff – und man konnte quasi «from stretch» mit entsprechend beeindruckenden Wachstumsraten, die bis heute anhalten, starten. Zum Beispiel mittels einer auffälligen Werbekampagne am New Yorker Times Square.
Die fehlende Bekanntheit von Europas Norden bringe dafür andere Herausforderungen mit sich. So hätten die Leute zum Teil keine Ahnung, worauf sie sich auf einer Reise entlang der norwegischen Küste bis ins arktische Nordnorwegen einliessen und kämen zum Teil mit völlig falschen Vorstellungen. Manche zeigen sich zum Beispiel erstaunt, dass im Winter die Sonne so selten zu sehen sei und es ziemlich kalt werden oder es aber im Sommer 24 Stunden hell bleiben könne. Da müsse noch einiges an Aufklärungsarbeit geleistet werden.