Karriere

«Das Problem ist nicht die Zeit. Alle haben gleich viel davon. Das Problem ist die Gier, immer mehr hineinpacken zu wollen oder zu müssen.» Cartoon: Silvio Erni

Zeit

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Für einmal handelt der Führungsbrief von einem Thema, das gar keines ist. Zeit ist kein Thema. Denn, wie den meisten von Ihnen bekannt ist, hat der Tag für alle – ausnahmsweise ganz demokratisch – gleich viele, nämlich 24 Stunden. Ausser man steht eine Stunde früher auf, dann hat er 25.

Selbstverständlich ist hingegen ein Thema, was wir in dieser Zeit tun. Wir können sehr unterschiedliche Dinge tun. Wir können die Dinge sehr unterschiedlich tun. Der Spielraum ist hier im Prinzip offen – zumindest bis an die Grenze der vorhandenen Zeit.

Wenn wir also von Zeit reden, reden wir immer über Mangel an Zeit, und was wir wirklich meinen, ist, dass die Zeit nicht reicht für das, was zu tun wäre. Das eigentliche Thema heisst daher: Wie kommt die Liste von all dem zustande, was Sie den ganzen Tag tun, plus dem, was Sie zusätzlich tun müssten oder wollten? Wie kommt das auf Ihren Schreibtisch, was Sie beschäftigt?

Die Blickwinkel

Nähern wir uns dem Thema aus ganz verschiedenen Blickwinkeln:

  • E-Mails. Der Berg an E-Mails, den man täglich zu beantworten hat, ist der Klagepunkt heutzutage. Dabei sollten uns die elektronischen Kommunikationsmedien die Arbeit erleichtern. Die Frage ist: Beherrschen Sie die E-Mails, oder beherrschen Ihre E-Mails Sie? Man muss lernen, selektiv genug mit seinen E-Mails (und mit dem Zeitpunkt ihrer Bearbeitung) umzugehen. Man muss auch nicht jede E-Mail beantworten (und nicht jede mit einer E-Mail – vielleicht ist was anderes besser). Wir müssen uns darüber Rechenschaft ablegen, ob und warum wir lieber das Nachdenken oder einen Kundenbesuch oder ein Mitarbeitergespräch bleiben lassen und dafür alle Mails abarbeiten als umgekehrt. Es ist unsere Wahl, was liegen bleibt.
  • Meetings. Viele Meetings sind überflüssig. Viele sind schlecht geführt. Prüfen Sie einmal, wie viel Zeit durch Selbstdarstellung, Nebenkriegsschauplätze oder Geplauder verloren geht. Häufig wurde die Auswahl der Teilnehmenden nicht sorgfältig genug bedacht. Hier kann viel verbessert werden. Wenn Sie selber weniger unter unfruchtbaren Meetings leiden wollen, müssen Sie sich jederzeit für gute Sitzungsführung stark machen und radikal prüfen, an welche Meetings Sie gehen. Dabei dürfen Sie sich nicht von der Angst terrorisieren lassen, etwas zu verpassen.
  • Kultur. Der Zeitgeist verlangt, dass man als Führungskraft «im Stress» ist. Sie haben also keinerlei Aussicht auf einen lockeren Job. Das Beste, was Sie überhaupt erreichen können, ist, dass der Anteil der Dinge, die Sie wirklich tun wollen, steigt – aber es wird ein Anteil von insgesamt vielen Stunden bleiben. Das freilich muss noch nicht Überlastung oder Stress heissen. Denn: Wir sind nicht im Stress, weil/wenn wir Zeitnot haben. Wir haben Zeitnot, weil/wenn wir im Stress sind!
  • Driving seat. Gestalten Sie Ihre Agenda? Oder wer oder was tut das? Bemühen Sie sich, hier selber am Steuer zu sitzen, oder sind Sie einfach Beifahrer/in und andere bestimmen Ihren Tagesablauf? Einfacher – aber sicher schlechter – ist es, reaktiv zu sein. Es ist erstaunlich, wie leicht man im Management einen Termin erhält – vorausgesetzt, der Manager hat zum gewünschten Termin zufällig noch nichts in der Agenda.
  • Zeitigkeit. Im Griechischen gibt es zwei Begriffe für unser Thema: «Chronos» und «Kairos». Chronos meint Zeit, die man in Stunden messen kann. Wie erwähnt, sind das für alle 24 Stunden täglich. Daran lässt sich nichts ändern. Kairos dagegen meint Zeitigkeit; also die Frage des richtigen Zeitpunkts. Daran müssen (und können) Sie arbeiten. Denn wer die Dinge zur falschen Zeit – oder zur Zeit die falschen Dinge! – tut, der käme auch mit einem 48-Stunden-Tag nicht aus!

Das Triple-AAA

Unter all diesen Blickwinkeln zeigt sich immer die gleiche Erkenntnis. Es sind drei Dinge, die Sie selber beeinflussen können. Ich nenne sie das Triple-AAA:

Auswahl: Sie haben immer die Wahl, was Sie tun und was Sie lassen wollen. Zeitfragen sind Entscheidungsfragen. Sie kommen nicht zu X, weil Sie sich für Y entschieden haben. Natürlich müssen Sie mit den Folgen Ihrer Entscheidung leben. Wenn Sie also etwas nicht tun, das «man» von Ihnen verlangt, werden Sie vermutlich Ärger kriegen. Das gebe ich zu. Aber sind Sie sicher, dass dieser Ärger wirklich schlimmer ist als die Probleme, die Sie heute haben, da Sie alles tun, was man von Ihnen will? Ich will es mir hier nicht zu einfach machen. Aber ich bin überzeugt, dass Sie mehr Wahlmöglichkeiten hätten, als Sie bislang nutzen. Sie müssen nur den Mut dafür aufbringen!

Aufmerksamkeit: Wofür immer Sie sich entschieden haben – tun Sie das, was Sie zu einem gegebenen Zeitpunkt tun, mit voller Aufmerksamkeit. Ohne sich vom E-Mail-Ankündigungsbimmeln terrorisieren zu lassen. Selbst im Grossraumbüro kann man mal ein Schild aufstellen: «Bitte bis 11 Uhr nicht stören.» Mit voller Aufmerksamkeit brauchen Sie weniger Zeit für eine Arbeit, Sie machen sie besser und Sie sind hinterher zufriedener mit sich selber. Wenn Sie also ein Gespräch führen, dann führen Sie dieses Gespräch. Wenn Sie Mails bearbeiten, dann bearbeiten Sie Mails. Wenn Sie Pause machen, dann machen Sie Pause. Das klingt simpel, geht aber nur, wenn Sie eine Planung respektive Arbeitstechnik haben, die Ihre Aufmerksamkeit auf jeweils einer Tätigkeit lässt – so dass Sie nicht währenddessen ständig darüber nachdenken müssen, was Sie denn sonst noch alles tun sollten und keinesfalls vergessen dürften.

Ausgleich: Sorgen Sie für einen abwechslungsreichen Mix in Ihrem Arbeitsalltag. Als Führungskraft haben Sie hier mehr Möglichkeiten, als wenn Sie am Fliessband oder an der Kasse stünden. Aber Sie müssen sie auch nutzen. Kein Mensch kann immer nur hochkonzentriert arbeiten. Auch endlose Sitzungen ohne methodische Vielfalt bringen nichts. Abends noch bis zum Schlafengehen fürs Geschäft arbeiten ist schlecht. Ausgleich wirkt entspannend und erhöht Ihre Gesamtleistungsfähigkeit. So werden Sie mehr aus Ihrer Zeit machen.

Mit der Stressfahne

All dies klappt aber nur, wenn Sie wirklich weniger unter Zeitnot leiden wollen. Wirklich weniger! Natürlich klappt es nicht immer und nicht ununterbrochen, denn ab und zu ist jede/r mal in Zeitnot. Aber es kann viel helfen: Wenn Sie es tatsächlich ernst meinen, probieren Sie das Triple-AAA aus. Sie können höchstens gewinnen dabei. Zu verlieren haben Sie dabei nichts ausser Ihrer Zeitnot.

Sollten Sie es aber nicht einmal versuchen, dann habe ich leider einen ganz gemeinen Verdacht: Dann glaube ich, dass es Ihnen wichtiger ist, die Stressfahne vor sich herzutragen und darüber zu klagen, als weniger zu leiden. Bitte schön: Vom süssen Gefühl des Selbstmitleids möchte ich Sie keineswegs abhalten.

Übrigens: Woher hatten Sie die Zeit, diesen Führungsbrief zu lesen?