Ferienland Schweiz

Haben gestern in Zürich den «Kompass Schnee» vorgestellt, von links: Martin Nydegger (Direktor Schweiz Tourismus), Klimatologe Christoph Marty (Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF), Klimaforscher Reto Knutti (ETH Zürich) und Berno Stoffel (Direktor Seilbahnen Schweiz). Bild: TN

Der «Kompass Schnee» verhilft Skigebieten, ihre Zukunft neu auszurichten

Wie schneesicher ist ein Skigebiet? Lohnt es sich mit Blick auf die steigenden Temperaturen, in das Wintersportgeschäft zu investieren? Zur Beantwortung solcher Fragen unterstützen künftig von Tourismusorganisationen und Wissenschaft lancierte Datenmodelle die Schweizer Wintersportorte.

Der Klimawandel trifft die Schweizer Wintersportorte mit voller Wucht. Die Nullgradgrenze steigt, die Winter werden kürzer, Niederschlag fällt häufiger als Regen statt als Schnee – besonders in tieferen Lagen. Was bisher vielfach als Erfahrungswissen galt, ist nun erstmals wissenschaftlich präzise dokumentiert: Mit dem neu lancierten «Kompass Schnee» erhalten Destinationen ein datenbasiertes Instrument, das zeigt, wie viel Schnee bis 2050 realistisch zu erwarten ist – und welche strategischen Anpassungen nötig werden.

Die Rückmeldungen aus den Skigebieten sind laut Berno Stoffel, Direktor von Seilbahnen Schweiz, «sehr positiv». Die Modelle des Projekts «Kompass Schnee», entwickelt vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) mit Daten von MeteoSchweiz und Unterstützung der ETH Zürich, dienen als objektive Grundlage für Investitionen und Bewilligungsverfahren. «Für die Leistungsträger sind sie eine Bestätigung und helfen, Entscheidungen datengestützt zu treffen», sagt Stoffel.

Klimawandel mit spürbaren Konsequenzen

Dass die Veränderungen massiv sind, bestätigt ETH-Klimaforscher Reto Knutti beim gestrigen, vom neuen Schweiz-Tourismus-Kommunikationschef Jean-Claude Raemy moderierten Mediengespräch in Zürich. Die Schneefallgrenze sei in den letzten 40 Jahren bereits um rund 100 Meter gestiegen – und dieser Trend setze sich fort. In tieferen Lagen unter 1500 Metern werde die natürliche Schneedecke bis 2050 weiter stark abnehmen. In Höhen über 2000 Metern bleibe die Lage stabiler, doch auch dort würden Schwankungen zunehmen.

Besonders kritisch sind die Prognosen für mittlere Höhenlagen. In den St. Galler und Appenzeller Alpen etwa ist eine natürliche Schneedecke von 30 Zentimetern – dem Minimum für wirtschaftlich rentable Pisten – erst ab rund 1100 Metern wahrscheinlich, und auch nur bei einer globalen Erwärmung unter 3 Grad. Bei einer Erwärmung von 2 Grad könnten auf dieser Höhe 2050 im Schnitt noch 24 Skitage möglich sein.

Drei Strategien für die Zukunft

Der «Kompass Schnee» ordnet die Schweizer Bergregionen in 23 Gebiete und zehn Höhenstufen ein – und empfiehlt nicht eine einzige Lösung, sondern drei mögliche Entwicklungswege

Strategie A – Weiter mit Schneesport: Geeignet für höher gelegene und relativ schneesichere Regionen. Beispiel: Davos, wo die Optimierung der Pistenpräparation im Fokus steht.

Strategie B: Leben mit unsicheren Schneeverhältnissen: Destinationen, die auch künftig Wintersport anbieten wollen, aber verstärkt auf ergänzende Angebote setzen müssen Beispiel: Atzmännig, mit vermehrten Aktivitäten bei wenig Schnee.

Strategie C – Übrige Saisons als Kompensation: Für Gebiete, in denen Schneesport langfristig kaum mehr wirtschaftlich realisierbar ist. Beispiel: Sattel-Hochstuckli, mit der Positionierung als ganzjährig geöffnete Familiendestination.

Gerade diese Flexibilität mache das Tool wertvoll. «Mit dem Kompass Schnee kommen wir von einer meinungs- und hoffnungsbasierten zu einer datenbasierten Herangehensweise», sagt Martin Nydegger, Direktor von Schweiz Tourismus.

Investitionen mit offenen Fragen

Die Herausforderungen bleiben dennoch gross. Viele Bergbahnen erreichen in den nächsten Jahren das Ende ihres Lebenszyklus. Erneuerungen kosten: Stoffel schätzt ein jährliches Investitionsvolumen von 350 Millionen Franken allein für Infrastruktur; 60 Millionen Franken kommen für Beschneiungsanlagen hinzu – Tendenz steigend.

Gleichzeitig zeigt der Blick auf konkrete Beispiele, wie unterschiedlich die Regionen reagieren müssen. Atzmännig bei Zürich hat sich mit seinen 824 Metern über Meer längst vom klassischen Winterbetrieb verabschiedet und investiert in Sommerangebote und Ganzjahresattraktionen. Doch selbst hier – etwa beim beliebten Panoramaschlitteln – bleibt Schnee eine Basisvoraussetzung. Prognosen zeigen: Selbst bei nur 1 Grad globaler Erwärmung werden bis 2050 kaum mehr natürliche 30 Zentimeter Schnee erreicht.

Trotz allem: Die Nachfrage nach Schneesport bleibt hoch. «Die Gebiete werden so lange wie möglich alles daran setzen, den Schneesport zu ermöglichen», betont Stoffel. Auch die Wertschöpfung des Wintersports bleibt bedeutend.

Gleichzeitig bereitet sich die Branche auf einen Wandel vor. Schweiz Tourismus will künftig die Kampagnen für Frühling und Herbst verstärken – jene Saisons, die klimatisch stabiler und wirtschaftlich berechenbarer werden.

Ein Kompass für eine ungewisse Zukunft

Der «Kompass Schnee» ist weniger eine Antwort als ein Wegweiser. Er zeigt, wie unterschiedlich die Ausgangslagen sind – und wie individuell die Strategien sein müssen. Er zwingt Destinationen, sich mit Szenarien auseinanderzusetzen, statt auf Hoffnung oder Tradition zu vertrauen. Eines steht fest: Der Wintertourismus der Schweiz wird bleiben. Aber er wird anders aussehen. Und er wird datenbasiert geplant werden müssen – vielleicht mehr denn je.

Eine nicht ausgesprochene Hoffnung für Skigebiete über 1800 Metern ist zudem: karge Winter setzen auch niedriger gelegenen Skigebieten im Ausland zu. Höher gelegene Skigegebiete – und davon gibt es in der Schweiz mehrere Dutzend – dürften von diesem Aspekt profitieren. Angesprochen auf ein solches Szenario, sagt Reto Knutti zu Travelnews: «Dieser Effekt dürfte künftig eine Rolle spielen. Doch es wird sich verstärkt auch die grundsätzliche Frage stellen, ob Skisport bei einer breiten Bevölkerung überhaupt noch gut nachgefragt sein wird.»

(GWA)