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Horacio Díaz del Barco im Zürcher Büro des Spanischen Fremdenverkehrsamts: «Wir sind davon überzeugt, dass Touristen nach Corona nachhaltiger und bewusster reisen wollen.» Bild: HO

«Wir rechnen 2021 mit 1,5 Millionen Besuchern aus der Schweiz»

Jean-Claude Raemy

Horacio Diaz del Barco, der neue Direktor des Spanischen Fremdenverkehrsamts in der Schweiz, äussert sich im Interview zu den bisherigen Auswirkungen von Corona auf die Nachfrage, seine Erwartungen für 2021 und wie der spanische Staat das zukünftige Tourismusgeschäft nun zu gestalten versucht.

Seit fast zwei Monaten ist Horacio Dìaz del Barco als neuer Direktor des Spanischen Fremdenverkehrsamts in der Schweiz tätig. Zunächst musste er - wie so viele andere - in eine zahntägige Quarantäne, inzwischen hat er sich eingelebt, eine Wohnung gefunden und seine Arbeit Vollgas aufgenommen. Im Interview mit Travelnews spricht er - in perfektem Deutsch übrigens - über seine bevorstehende Arbeit und die Aussichten im spanischen Tourismus.


Herr Dìaz, der globale Tourismus durchlebt schwierige Zeiten. Spanien war lange Zeit für Schweizer Reisende einer Quarantänepflicht unterlegt. Können Sie uns sagen, was das in Bezug auf die Schweizer Zahlen für Spanien bislang bedeutet?

Nach einem sehr positiven Anfang in den Monaten Januar und Februar hat sich das touristische Jahr schnell verschlimmert. An dieser Stelle will ich kurz die Zahlen von 2019 wiederholen: Im letzten Jahr verzeichnete Spanien 1,83 Millionen Besucher aus der Schweiz. Davon kamen 1,43 Millionen alleine in den ersten drei Quartalen. Zum Vergleich: In den ersten drei Quartalen 2020 kamen gerade mal 334'000 Besucher aus der Schweiz. Das ist ein Rückgang von 77 Prozent. Bei den Ausgaben beträgt der Rückgang gar 80 Prozent.

Wie lauten denn nun die Erwartungen für 2021?

Wir bleiben optimistisch. Wir rechnen mit 1,5 Millionen Besuchern aus der Schweiz. Dies, weil die klar meisten Ankünfte zwischen Juni und Oktober registriert werden und wir hoffen, dass bis dahin die Situation wieder besser ist. Inzwischen ist die Quarantänepflicht für Spanien ja aufgehoben, das ist sehr erfreulich.

Das wäre erfreulich, doch die Gesamtlage bleibt angespannt. Man hört, dass der spanische Staat für den Tourismus Finanzhilfe bereitstellen will. Was wurde bisher für die einheimische Tourismusbranche gemacht, was steht noch bevor?

Die spanische Regierung hat im Juni ein Programm gestartet, um der Wirtschaft zu helfen. Der darin vorgesehene  Gesamtbetrag lag bei rund 4,3 Milliarden Euro. Wenn man aber andere Hilfslinien für Klein- und Mittelbetriebe mit einbezieht, umfasst dieser Betrag bis 19,5 Milliarden Euro. Die Hilfs-Strategie umfasst derweil fünf Hauptziele:

  1. Spanien als sicheres Reiseziel zu bestärken
  2. Unterstützungsmassnahmen für touristische Unternehmen
  3. Besserung der Konkurrenzfähigkeit des Sektors
  4. Investitionen in touristische Informationen/Marktforschung
  5. Förderung inländischer und ausländischer Quellmärkte

Der grösste Teil des so genannten «touristischen Betrags» (2,5 Milliarden Euro) steht touristischen Unternehmen zur Verfügung, damit diese keine oder zumindest abgefederte Liquiditäts- bzw. Finanzierungsprobleme haben. Es handelt sich dabei um Staatsgarantien. Weitere 300 Millionen Euro stehen zur Verfügung für Ausbildungsaktivitäten. Damit sollen das Know-how der Angestellten und die Innovationskraft der Unternehmen im touristischen Sektor auf Vordermann gehalten werden. Weitere 40 Millionen sind für Marketing und touristische Informationssammlung vorgesehen und nochmals 25 Millionen Euro sind eine Hilfe für Fluggesellschaften, hier in Form einer Flughafengebühren-Befreiung.

Nicht zuletzt wird den touristischen Unternehmen ein Jahr Aufschub bei den Mietzinszahlungen gewährt.

«Es geht darum, bereit zu sein für das, was wir ‹New Travel› nennen.»

Bleiben wir mal kurz bei den Marketingbemühungen. Wie sieht es mit der internationalen Promotion aus?

Das vorhin erwähnte Programm umfasst eine Investition von mehr als 3,3 Millionen Euro für die Wiederbelebung der europäischen Haupt-Quellmärkte. Turespaña ist dabei, eine Marketingkampagne für diese Märkte zu entwickeln. Diese neue Kampagne wird mit den gegenwärtigen Kampagnen «Back to Spain» und «Spain is part of you» koexistieren.

Was werden dabei 2021 die Schwerpunkte bzw. «Key Messages» sein?

Hauptziel dieser Kampagne wird sein, über die Bedingungen für die Durchführung sicherer Reisen zu informieren. Nebenziele sind, die Reisenden zu inspirieren und dahingehend zu beeinflussen, dass sie eben «sichere Reisen» konsumieren. Es ist wichtig, dass die Reisenden wissen, dass eine Reise nach Spanien sicher ist: Sicher im hygienischen Sinn, sicher bei der Planung und Durchführung. Es geht um Vertrauensbildung, was nach den Ereignissen von 2020 nötig ist. Es geht darum, bereit zu sein für das, was wir «New Travel» nennen.

Was ist denn mit diesem Begriff «New Travel» genau gemeint?

«New Travel» heisst eben, sicher, nachhaltig und klug zu reisen. Diesem Bedürfnis muss sich das ganze touristische Angebot Spaniens anpassen. Es geht darum, klar zu definieren und zu kommunizieren, wie man zum Beispiel Städtereisen sicher durchführen kann oder wie sich die Sonne-und-Strand-Destinationen für Corona gewappnet haben.

Die Arbeit des spanischen Fremdenverkehrsamtes in der Schweiz wird sich selbstverständlich diesen Kommunikationsrichtlinien anpassen.

Spanien kann auf viele Segmente setzen: Badeferien, Geschäftsreisen, Sportferien etc. Wie sollen die einzelnen Segmente denn angesprochen werden?

Wir werden alle einzelnen Segmente ansprechen, welche das gesamte touristische Angebot Spaniens mitgestalten, wie gesagt im Rahmen des Begriffs des «New Travel» - sicher, nachhaltig und klug.

«Der Massentourismus wird abnehmen.»

Aber welche «Trends» erwarten Sie denn im «Post-Corona-Tourismus»?

Wir gehen davon aus, dass das Tourismusgeschäft nach Corona ganz anders sein wird als in Vorepidemie-Zeiten, selbst wenn mittelfristig ein Impfstoff vorhanden sein sollte. Nachhaltigkeit wird viel stärker gesucht werden. Das war schon vor Corona ein Trend, aber die Situation, in der wir uns befinden, wird diesen beschleunigen.

Das heisst, die Menge und Intensität der Flugreisen wird abnehmen. Klar, gerade auf die spanischen Inseln kommt man weiterhin mit dem Flugzeug. Aber es werden auch vermehrt andere Mobilitätsmöglichkeiten gesucht. Nehmen wir etwa den Zug: Spanien hat das zweitgrösste Hochgeschwindigkeits-Bahnnetz der Welt, hinter China. Dies stellt eine hervorragende Gelegenheit dar, sich klug und nachhaltig zu bewegen. Die 620 Kilometer von Madrid nach Barcelona lassen sich in 2 Stunden 30 Minuten bewältigen, die rund 550 Kilometer von Madrid nach Sevilla oder Málaga innert 2 Stunden 20 Minuten, von Madrid nach Valencia, das sind 375 Kilometer, benötigt man lediglich 1 Stunde 30 Minuten. Das eröffnet viele Möglichkeiten.

Unseres Wissens gibt es in Sachen Nachhaltigkeit gar eine «Strategie 2030». Was beinhaltet diese?

Spanien ist seit mehr als 40 Jahren eine führende Referenz im globalen Tourismus. Die Strategien, welche man verfolgt hat, haben sich in diesem Zeitraum vom reinen Badeurlaub bis hin zur Betonung der Produktqualität weiterentwickelt. Es ist klar: Spanien kann auch künftig nicht ausserhalb der Nachhaltigkeitsdebatte bleiben und muss seinen Beitrag leisten.

Die spanische Regierung hat die «Strategie 2030 für einen nachhaltigen Tourismus» in Zusammenarbeit mit der Reiseindustrie und den Regionen entwickelt und daraus eine nationale Tourismusagenda geschaffen, welche drei Säulen der Nachhaltigkeit festhalten, nämlich sozioökonomische-, Umwelt- und Territorial-Nachhaltigkeit. Die Strategie schlägt ein Wachstumsmodell vor, welches auf verschiedenen Prinzipen gründet: Qualität, Digitaltransformation, Schutz von Kultur- und Naturerbe, Verfahren zur Einbeziehung von Stakeholdern, ständige Anpassung an neue Herausforderungen wie z.B. Landflucht, und noch vieles mehr.

Wie fliesst denn all dies in Ihre Arbeit in der Schweiz ein?

Diese Strategie erleichtert unsere Arbeit in der Schweiz sogar, da es sich bei der Schweiz um ein sehr umweltbewusstes Land handelt, das eine spezielle Affinität für Nachhaltigkeitsthemen hat.

Ändert dieser Trend zur Nachhaltigkeit denn auch etwas im Badeferiengeschäft?

Wir sehen diesen Trend bei allen Segmenten des spanischen Tourismus, einschliesslich bei denjenigen, welche die grösste Nachfrage in der Schweiz haben: Badeferien, Gastronomie & Wein, Städtereisen, Kultur und Natur.

«Spanien wird in Kürze über ein national geltendes Gesundheitsverfahren bei der Einreise informieren.»

Gibt es allenfalls aktuell noch zu wenig berücksichtigte Touristensegmente, die Sie stärker bearbeiten wollen?

Wir würden lieber weniger über Touristensegmente und viel mehr über Destinationspräferenzen innerhalb Spaniens sprechen. Nebst den Inseln und der Küste bleibt ein grosser Teil des Landes für unsere Besucher leider völlig unentdeckt. Ich denke da an die Regionen an der Atlantikküste, das sogenannte «Grüne Spanien», also die Regionen Galizien, Asturien, Kantabrien und das Baskenland. Diese Regionen bieten prächtige Natur, vielfältige Gastronomie und durchaus auch schöne Bademöglichkeiten. Oder auch die beiden Regionen Kastilien & Leon und Kastilien/La Mancha, nördlich und südlich der Hauptstadt Madrid, bieten ein hervorragendes Kulturangebot, Sportmöglichkeiten und viel spannende Gastronomie. Hier finden Sie einige der besten Weine Europas, darunter etwa die «Ribera del Duero»-Weine.

Wir werden selbstverständlich die beliebtesten Reiseziele unserer schweizerischen Besucher nicht vernachlässigen, also Mallorca, die Kanaren, die Küste bei usw. Wir werden aber weiterhin versuchen, die Aufmerksamkeit der Touristen auf das «andere Spanien» zu lenken.

Das ist auch nötig, weil Spanien und der Begriff «Overtourism» in den letzten Jahren oft in einem Atemzug genannt wurden. Nun bietet sich doch im Prinzip die Chance, dass Spanien dieses Phänomen besser in den Griff bekommen kann. Aber wie?

Zunächst einmal wurde nicht nur in Spanien, sondern auch in vielen anderen touristischen Reisezielen wie Frankreich oder Italien in den letzten Jahren dieses Phänomen festgestellt und analysiert. Die Corona-Krise wird sicherlich mitwirken, dass man daraus gezogene Schlüsse schneller in konkrete Massnahmen umwandeln kann, also diese Tourismus-Art etwas «mildert». Der Massentourismus wird abnehmen. Ich glaube zudem, dass nur sehr Wenige sich in Spanien dafür aussprechen werden, dass einfach alles wieder beim Alten sein soll. Spanien hat 2019 fast 84 Millionen Besucher aus der ganzen Welt verzeichnet, das ist praktisch das Doppelte der spanischen Bevölkerung - rund 47 Millionen-, und der grösste Teil dieser Besucher kam im Laufe der Hauptsaison Juni bis September und konzentrierte sich an den Küsten.

Man muss zugeben, es gab Auswüchse im Massentourismus und das ermöglicht nicht die Nachhaltigkeit, die wir eigentlich suchen. Das ist genauso der Fall für Frankreich, wo Tausende Besucher täglich Stunden im Louvre Schlange stehen, um für 15 Sekunden einen Blick auf die Mona Lisa zu erhaschen und ein Selfie aufnehmen, oder für Italien, wo vor Corona ungezügelte Menschenmassen die Strassen Venedigs oder Roms überfüllten. Daran wird sich etwas ändern müssen.

Das will bestimmt keiner. Aber wie lässt sich eine Rückkehr dazu wirklich verhindern?

Zum einen sind wir, wie bereits dargestellt, davon überzeugt, dass Touristen nach Corona nachhaltiger und bewusster reisen wollen. Der Markt muss dies akzeptieren und folglich auch handeln. Die Arbeitslinien der Strategie 2030 der spanischen Regierung sind schon präsentiert worden und auch die Schwerpunkte unserer Marketing-Strategie, um nicht so bekannte Regionen zu promoten, sowie auch andere touristische Produkte, wie Kultur, Städtereisen, Gastronomie, usw., die ausser der Hauptsaison konsumiert werden können. Dies wird alles dazu beitragen, unsere Touristen sowohl geografisch als auch zeitlich besser zu verteilen.

Es gibt in all dem aber auch noch einen weiteren Faktor, welcher Besucher abschrecken könnte. Erschwerte Einreisebedingungen. Jetzt, wo die Infektionszahlen in der Schweiz hoch sind, fürchten sich viele Schweizer Reisende vor strengen und vor allem auch komplizierten Regeln. Bald gilt für die Kanaren etwa eine Testpflicht. Was gibt es hierzu zu sagen?

Aktuell arbeitet der spanische Staat an einem Verfahren zur Gesundheitskontrolle, welche bereits an den Grenzen erfolgt. Wir sprechen hier von einem Verfahren, welches dann für ganz Spanien Gültigkeit haben soll, womit Einzelinitiativen wie jetzt bei den Kanaren nicht mehr nötig sind. Aktuell kann ich Ihnen zum neuen Verfahren noch nicht viel mehr sagen, dieses ist in Ausarbeitung. Ich gehe aber davon aus, dass wir schon bald - vor Ende November - hierzu informieren können.