Trips & Travellers

Auch das kann es geben: kaum je dagewesene Überschwemmungen zum Ferienstart. Bild: Adobe Stock

«Bei der Mietwagenstation standen wir knietief im Wasser»

Die Arbeit in der Tourismusbranche bringt überwiegend positive Erlebnisse mit sich. Es kann aber auch schwierige, herausfordernde Momente geben: Wir haben langjährige Touristikerinnen und Touristiker nach unvergesslichen Episoden gefragt.

Reisen löst positive Emotionen aus – das haben schon mehrere Studien bestätigt. Kein Wunder: Wer die schönsten Flecken der Erde erkunden und auf der ganzen Welt neue Bekanntschaften schliessen kann, muss vom Glück beseelt sein.

Das gilt ganz besonders für die Mitarbeitenden und führenden Köpfe aus der Tourismusbranche. Bei ihnen ist Reisen und das Kennenlernen neuer Kulturen Teil des Jobs. Es gibt bei den Touristikerinnen und Touristikern aber auch die andere Seite der Medaille: Herausfordernde, teilweise auch schlimme Situationen, die einem für immer in Erinnerung bleiben – sei es als Veranstalter, Hotelière oder selbst als Touristin.

Das sind die unvergesslichen Episoden von Deniz Ugur, Marie Forestier, Stephan Roemer, Andrea Beffa und Ahmed Amin:

Deniz Ugur, Chef von Bentour Reisen:

«Während meines Studiums organisierte ich bereits Reisen für eine Auto-Firma im Stuttgarter Raum. Es handelte sich um Eventreisen zur Belohnung von Vertriebspartnern der Unternehmung. Alles war immer akribisch vorbereitet. Einmal lief die Situation aber aus dem Ruder. Am Tag vor der Ankunft einer Gruppe forderten fast alle Reiseleiter, die für die Betreuung vorgesehen waren, dass die bereits vereinbarten Löhne neu zu verhandeln seien. Es drohte ein Desaster.

Nach einer sehr unruhigen Nacht hatte ich dann die Wahl, entweder eine Gruppe von 250 Menschen allein zu betreuen oder einen Weg aus der Situation zu finden. In einem klärenden Gespräch und auch, indem ich von meinen ursprünglichen Vorstellungen abgekommen war, konnte ich die Organisation der Reise doch noch mit vollem Personal durchführen.

Es war für mich eine von vielen Lehren in meiner Berufskarriere. Wer kurzfristig bereits getroffene Abmachungen neu aushandeln will, bringt sich in eine sehr ungünstige Verhandlungsposition, die einen meist teuer zu stehen kommt.

Unabhängigkeit und langfristige Partnerschaften basierend auf klaren Werten und Abmachungen sind sowohl zufriedenstellender als auch kommerziell deutlich sinnvoller.»

Marie Forestier, Direktorin des Hotels Bon Rivage am Genfersee:

«Ein Ehepaar war bei uns auf der Durchreise auf dem Weg nach Südfrankreich. Es wollte eine Nacht in unserem Hotel verbringen und am nächsten Morgen in aller Früh weiterreisen. Das Paar stellte sein Gepäck während des Check-ins am frühen Nachmittag vorübergehend in der Lobby ab und füllte an der Rezeption die notwendigen Dokumente aus.

Zur gleichen Zeit verliess eine Familie mit vier Kindern und einem Reiseleiter unser Hotel. Sie hatten ihr Gepäck in einer anderen Ecke der Lobby aufgetürmt. Während die Familie für den Transfer ins Auto stieg, lud deren Chauffeur das Gepäck ein. Leider nicht nur die Koffer der Familie, sondern auch noch diejenigen des Ehepaars. Mit dem Gepäck machte sich der Fahrer auf den Weg zum Flughafen.

Das Zimmer des Ehepaars war zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertig. Die beiden dachten, ihr Gepäck sei von einem Hotelmitarbeiter abgeholt worden und werde danach direkt aufs Zimmer gebracht. Als das Paar im Lauf des Nachmittags das Zimmer bezog, stellte es mit Schrecken fest, dass sein Gepäck fehlte. Niemand im ganzen Hotel wusste, was damit passiert war.

Wir beschlossen, die Bilder der Überwachungskameras anzusehen und stellten fest, dass der Fahrer der Familie die Koffer des Ehepaars mitgenommen hatte. Nach 20-minütigen Abklärungen gelangten wir an die Nummer des Chauffeurs. Dieser erzählt am Telefon, dass er am Flughafen gerade das Gepäck einchecke. Er habe einen nächsten Auftrag und könne die Koffer des Ehepaars unmöglich zurück ins Hotel bringen.

Uns blieb keine andere Wahl: Wir schickten unseren Rezeptionisten mit dem Zug zum Flughafen, um das fälschlicherweise abtransportierte Gepäck zurückzuholen. Um 21 Uhr dann das grosse Aufatmen: Das Gepäck des Ehepaars war zurück und damit alles geklärt.

Als Hotelière kann ich nur raten, das Gepäck immer bei sich zu haben: Lassen Sie es nie in einer Ecke stehen, sondern übergeben Sie es persönlich den Mitarbeitenden!»

Stephan Roemer, CEO von Tourasia und Diethelm Travel:

«Frühmorgens am Sonntag des 26. Dezembers – ich lag noch im Bett – klingelte mein Telefon im Wohnraum unaufhörlich. Ich wollte mich eigentlich nicht von einem Sonntaganrufer stören lassen und drehte mich nochmals im Bett. Als dann aber das Telefon kurz darauf zum zweiten und dritten Mal klingelte, wusste ich, dass es etwas Dringendes war: Unsere Resident Managerin in Phuket rief mich aus dem Auto an und sagte, dass es in Südthailand ein furchtbares Erdbeben gegeben habe. Es sei alles überflutet. Die Autos lägen überall herum wie Kartonschachteln, und sie sei blockiert auf der Strasse.

Das war alles, was übers Telefon kam, nachher waren die Verbindungen unterbrochen. Ich realisierte umgehend, dass da etwas Schlimmes vorgefallen sein musste und alarmierte vorsorglich die Notfallzentrale unseres Versicherers, der auch noch nichts davon wusste und sich sofort um Abklärungen kümmerte. Anstatt die bereitgelegten Skikleider anzuziehen, nahm ich eine kurze Dusche und machte mich bereit – für den Fall, dass ich ins Büro fahren musste.

Kaum geduscht, rief mich mein Arbeitskollege, der das Notfall-Telefon betreute, an und meldete, dass es offensichtlich verletzte und möglicherweise Tote bei einem Erdbeben in Südthailand gegeben habe. Ein Kunde benachrichtigte uns übers Notfall-Telefon und berichtete über ein verwüstetes Hotel, wo zahlreiche Tourasia-Gäste logierten. Mein Kollege war auf der Fahrt ins Büro, und ich begab mich sofort auf die Reise vom Bündnerland ins Büro.

Die Fahrt wurde zum Horror, das Telefon läutete permanent, und zwischenzeitlich berichtete auch unserer Versicherer von einer möglichen Katastrophe. Zwei Stunden später, als ich das Büro erreichte, waren schon drei Mitglieder unsers Piketts im Einsatz und versuchten, Kunden zu lokalisieren. Wir hätten nie gedacht, dass wir von diesem Moment an vier Tage ununterbrochen, ohne Schlaf, im Büro verbringen würden. Das Fazit am Schluss war tragisch: 13 verstorbene Gäste, unzählige Verletzte und rund 300 Rückführungen in die Schweiz.

Nach vier Tagen übernahmen unsere Kollegen, die aus den Weihnachtsferien zurückgekehrt waren, die Weiterverarbeitung. Unser Pikett-Team benötigte mindestens einen kompletten Tag Schlaf.»

Andrea Beffa, Geschäftsführerin des Schweizer Reise-Verbands:

«Ich hatte auf meinen Reisen bisher viel Glück. Meine einschneidendsten Reiseerlebnisse, bei denen tatsächlich auch etwas Angst dabei war, hatten in der Regel mit Naturgewalten zu tun. Einmal kam unser Flug nach Miami etwa zeitgleich an wie ein Hurrikan. Wir sassen im letzten Flugzeug, das überhaupt noch landen konnte. Die Erleichterung, dass wir es nach turbulenter Landung auf den Boden geschafft hatten, hielt allerdings nicht lange an.

Es regnete ins Terminal-Gebäude, und an der Mietwagenstation standen wir knietief im Wasser. Nach der Fahrt ins Hotel durch ebenso hohes Wasser waren wir heilfroh, als wir in unserer Unterkunft ankamen. Für Gedanken an allfällige Schäden am Auto, die nicht gedeckt sein könnten, war schlicht kein Platz.

Im Anschluss hatten wir eine wunderbare Reise mit gutem Wetter und konnten im Nachhinein auch über den wortwörtlich ins Wasser gefallenen Ferienstart schmunzeln.»

Ahmed Amin, Gründer von Amin Travel:

«In den 90er-Jahren habe ich eine Schweizer Reisegruppe bestehend aus rund 50 Gästen nach Ägypten begleitet, um ihnen meine schöne Heimat zu zeigen. Eine spannende Reise stand vor uns mit zahlreichen Höhepunkten in Kairo, Assuan, Luxor, am Roten Meer und auf einer Nilkreuzfahrt.

Die Stimmung in der Gruppe war super, und wir genossen einen schönen Aufenthalt in Kairo. Dann erfuhr ich, dass unser Inlandflug am nächsten Morgen alternativlos storniert wurde. Die Katastrophe war perfekt: Ich sitze in Kairo fest mit einer grossen Gruppe, und die Airline bietet keine Lösung an. Eine andere Fluggesellschaft, die Inlandstrecken bedient, gab es nicht, und das ganze Programm mit der Nilkreuzfahrt drohte zu scheitern.

Ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt und im ganzen Land herumtelefoniert, aber eine Chartermaschine innert wenigen Stunden zu finden, war in Ägypten damals unmöglich. Dann bin ich auf die ägyptische Armee gestossen, die für ihre Truppen über militärische Transportflugzeuge verfügte. Nach weiteren Telefonaten und einigen Diskussionen habe ich es tatsächlich fertiggebracht, eine solche Maschine zu mieten.

Am folgenden Morgen habe ich die noch ahnungslose Gruppe darüber informiert, dass eine Überraschung am Flughafen von Kairo auf sie warte. Nach dem Check-in stiegen wir in einen Bus, der uns zur Militärmaschine brachte. Und da habe ich meine Gäste gefragt, ob schon mal jemand von ihnen mit einer Militärmaschine geflogen sei. Was natürlich alle verneinten.

Dann liess ich die Überraschung platzen. Die Gäste waren zwar sehr erstaunt, freuten sich aber über den speziellen Flug. Für mich hatte es leider keinen Sitzplatz mehr. Deshalb sass ich am Boden des Flugzeugs. Weil ich keinen Sicherheitsgurt hatte, hielt ich mich an einem Seil fest, das am Boden des Fliegers befestigt war.

Trotz anfänglichem Schock über die annullierte Maschine und die potenziell gescheiterte Reise kamen alle wohlbehalten in Oberägypten an und konnten die Reise wie geplant fortsetzen.»

Morgen berichten: Sebastian Kickmaier über eine Panne in der weiten Wildnis Botswanas, Andreas Züllig über seinen Horrorstart als Präsident von Hotelleriesuisse, Sarah Weidmann über ihr Missgeschick bei der Buchung für ein Mädelswochenende und Cornel Küng über eine Reise, die bereits am Flughafen wieder endete.

(RSU)