Reiseanbieter
Kommentar So schafft sich die Sharing Economy selbst ab
Oliver GraueFür die klassischen Reiseanbieter vom Taxi bis zum Hotel dürfte es ebenso eine Genugtuung sein wie für viele Städte, die unter knappem Wohnraum und steigenden Mieten leiden: Der Sharing Economy macht die Corona-Krise massiv zu schaffen.
Weil aus Sorge vor Ansteckung alles, was nach Teilen klingt, schlechte Karten hat, meiden die Menschen Angebote wie Airbnb oder Ridesharing. Denn geht es um die Gesundheit und um Hygiene, vertraut man doch lieber den Versprechen der traditionellen Supplier – beispielsweise der Hotelketten und der Mietwagenanbieter. In schwierigen Zeiten hat Verlässlichkeit oberste Priorität.
Natürlich schadet die Krise so gut wie allen Anbietern der Reisebranche, egal, ob sie traditionell oder disruptiv orientiert sind. Mit Blick auf die Sharing Economy offenbaren sich durch Corona darüber hinaus die strukturellen Probleme dieser von vielen als «hip» empfundenen Wirtschaftsform.
So stellt sich das, was Anbieter bislang als ihre grösste Stärke bezeichnet haben, nun als Schwäche heraus: Sie verfügen über keinerlei echte Werte, weder über eigene Immobilien noch über eigene Autos. Ihre immens hohe Bewertung basiert einzig auf einer riesigen Luftblase. Am Ende überlassen sie alles, was mit Risiken belastet ist, den anderen.
Sie selbst ziehen sich auf die bequeme Position als reine Plattformbetreiber zurück und beschränken sich darauf, von jedem Geschäft den profitablen Rahm abzuschöpfen. Manch Kritiker nimmt den wenig schmeichelhaften Begriff «Schmarotzer» in den Mund. Doch genau wegen dieser Risikoaversion lieben Investoren das Modell.
Fahrer und Vermieter sind den Plattformen ausgeliefert
Noch einen weiteren Unsicherheitsfaktor scheuen die Anbieter: denjenigen, der für die klassischen Reiseunternehmen oft den grössten Kostenblock ausmacht, nämlich die Festanstellung ihres Personals. Auch hier zeigen sich in der Krise die sozialen Folgekosten dieser Haltung. Fahrer von Ridesharing-Fahrzeugen und Vermieter von Airbnb-Wohnungen sind auf Gedeih und Verderb den Plattformen ausgeliefert.
Ohne Aufträge verdienen sie nichts, sie erhalten kein Kurzarbeitergeld, und im Zweifelsfall kommt die Gesellschaft für ihren Lebensunterhalt auf. Das ist zwar auch bei «normalen» Angestellten der Fall – diese und ihre Arbeitgeber haben in guten Zeiten hierfür jedoch Sozialabgaben und Steuern an den Staat abgeführt. Etliche Konzerne der Sharing-Branche drücken sich davor.
Zudem bringt Corona illegale Fälle von Airbnb-Vermietungen ans Licht, da die Vermieter, die oft selbst Mieter sind, plötzlich ihre eigenen Mieten nicht mehr zahlen können – weil ihnen die Einnahmen aus ihrer rechtlich nicht erlaubten Tätigkeit fehlen.
2014 sagte der US-Wirtschaftswissenschaftler Dean Baker, dass Unternehmen, die Menschen erlauben, Steuern und Vorschriften zu umgehen, keinen Nettogewinn für die Gesellschaft darstellen. Gerade jetzt in Krisenzeiten sollte sich die Politik daher nicht nur die Frage stellen, ob die Sharing Economy zu retten ist – sondern ob sie in ihrer derzeitigen Form überhaupt rettungswürdig ist.
Brauchen wir Unternehmen, die selbst nur überleben können, wenn sie sozial zweifelhafte Ziele verfolgen? Die vermutlich chancenlos wären, wenn sie in puncto Kapital und Arbeit dieselben Lasten auf sich nähmen wie die klassischen Anbieter – nämlich Eigentum und fest angestellte Mitarbeiter? Und die schliesslich durch ihr aggressives Vorgehen den Tod für immer mehr Traditionelle und Mittelständler bedeuten, die also nach dem Vorbild anderer übermächtiger US-Konzerne wie Amazon oder Google handeln?
Diese Art von Disruption braucht die Reisebranche nicht
Manch ein Branchenbeobachter empfiehlt den europäischen Regierungen, die finanzielle Förderung in Zeiten der Pandemie zu nutzen, um lokalen Sharing-Anbietern zu helfen. So soll ein Gegengewicht zu den multinationalen Giganten aufgebaut werden – etwas, was Europa bei Playern wie Google oder Facebook versäumt hat. Angesichts der bereits bestehenden Macht von Airbnb & Co kann ein solches Projekt aber wohl nur funktionieren, wenn es mit Protektionismus verbunden würde.
Das aber ist nur die zweitbeste Lösung. Die beste wäre, die Idee des Sharing wieder zu dem zu machen, was sie einst war: Menschen teilen sich etwas, um ökologisch nachhaltiger zu handeln. Mitfahrgemeinschaften oder Couchsurfing sind Beispiele.
Damit lässt sich zugegebenermassen kein Geld verdienen. Es zerstört aber auch keine gewachsenen, verlässlichen Wirtschaftsstrukturen, indem es sich das Mäntelchen «nachhaltig» umhängt, in Wirklichkeit aber das genaue Gegenteil bewirkt. Diese Art von Disruption braucht die Reisebranche nicht.