Here & There

Zwar reisen insbesondere viele Asiaten auf die Philippinen, doch von Massentourismus kann hier noch keine Rede sein. Bilder: AKV

Reisbauern, Kopfjäger und Traumstrände

Artur K. Vogel

Die Philippinen sind gross, vielfältig und attraktiv, zeigt ein Besuch. Und Tourasia-Chef Stephan Roemer sagt, was den Reiz des Inselreiches ausmacht.

Wir sind mit Cathay Pacific von Zürich via Hongkong nach Manila geflogen, dann einen Tag lang mit einem Auto quer durch die philippinische Hauptinsel Luzon gefahren. Jetzt stehen wir mit offenem Mund da, staunend, überwältigt von der Aussicht, die sich darbietet.

Wir befinden uns im Norden Luzons, in der Provinz Ifugao.

Mit einem Jeepney hoch hinauf – zum Ausblick auf die Reisterrassen.

Ein Jeepney, ein altmodischer, traditioneller Kleinbus, hat uns vom wenig attraktiven Städtchen Banaue zur Stelle gefahren, wo die Strasse abrupt endet. Dann sind wir lange gelaufen, um schliesslich in Batad anzukommen, einem winzigen Nest mit ein paar einfachen Touristenunterkünften auf einer Krete.

Da stehen wir nun und blicken auf das Weltwunder hinab, das halb in tief sitzende Wolkenfetzten gehüllt ist: Reisterrassen so weit das Auge reicht, Stufe um Stufe die Bergflanken hoch ­- Landschaft und Geometrie in vollendeter Harmonie.

Die Reisterrassen von Batad bei Banaue sind imposant.

Die Reisterrassen wurden vor mehr als zwei Jahrtausenden als waagrechte Flächen zu einem prosaischen Zweck in die Berge gekerbt: um darauf Reis anzubauen und die Menschen zu ernähren. Dieser schlichte Daseinszweck, zusammen mit ihrem Alter und ihrer Schönheit, lässt die Terrassen so erhaben erscheinen.

Die Philippinen sind nicht nur geografisch ein Flickenteppich mit Tausenden verstreuten Inseln; sie bestehen auch aus Dutzenden von Ethnien. Hier, in Nord-Luzon, leben die Ifugao, eine Untergruppe des indigenen Volkes der Igorot. Sie waren einst nicht nur Reisbauern, sondern Kopfjäger, die Besiegten den Kopf abschlugen und als Trophäen aufspiessten. Als die Spanier die Philippinen ab Mitte des 16. Jahrhunderts kolonisierten, mieden sie dieses bergige Gebiet. Erst amerikanische Missionare wagten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts vor. Deshalb findet man hier viele Angehörige evangelischer und anglikanischer Gemeinschaften in einem Land, das sonst überwiegend katholisch ist.

Gefährdetes Kulturerbe

Wir steigen hinab über steile, ausgetretene Steintreppen, um die Terrassen von nahem zu erleben. Und werden jetzt gewahr, dass ihre Existenz gefährdet ist, obwohl sie seit 1995 im Unesco-Verzeichnis des Weltkulturerbes stehen. Für ein Kilo Reis braucht es acht Quadratmeter Anbaufläche, die ausschliesslich von Hand bearbeitet werden. Und der Reis wirft nichts ab. Obwohl es sich um ein biologisch erzeugtes Qualitätsprodukt handelt, hat er gegen die vor allem aus Thailand importierte Massenware auf dem Markt keine Chance.  

Als Busfahrer oder Kellner in Manila, als Kindermädchen, Hausangestellte oder Arbeiter in Hongkong, Singapur oder den arabischen Staaten oder als Besatzungsmitglied auf einem Kreuzfahrt- oder Containerschiff verdient man viel mehr als hier im Reisanbau. Deshalb wandern Junge ab. Immer mehr Flächen bleiben unbearbeitet; Unkraut wuchert; Mäuerchen zerfallen. Eine andere Entwicklung ist von weitem sichtbar: Einst lebten die Leute in strohgedeckten Pfahlbauten. Heute werden Häuser mit leuchtend rotem oder knallgrünem Wellblech gedeckt.

Golf spielen im Militärcamp

Auf dem Weg Richtung Süden machen wir Halt in Baguio City, einer Stadt mit rund 350‘000 Einwohnern, von den Amerikanern Anfang des 20. Jahrhunderts angelegt. Hier, in einer Höhe von 1500 Metern über Meer, ist es kühler als in Manila; deshalb war Baguio von 1910 bis 1975 offizielle Sommerhauptstadt. Im Restaurant des Manor at Camp John Hay speisen wir gediegen Diner mit Ramon Cabrera, dem Direktor. Aufgetischt wird das lukullische Mahl von William „Billie“ King persönlich, dem irischen Küchenchef. Anderswo würde er mit Gault-Millau-Punkten überhäuft; hier muss er sich mit unserem Lob begnügen. Das fällt umso überschwänglicher aus, als gutes Essen auf den Philippinen, anders als etwa in Thailand, nicht alltäglich ist. Die Amerikanisierung hat leider auch die philippinische Küche erfasst.

Das Luxushotel steht auf einem geschichtsträchtigen Platz: Hier befanden sich einst die Kasernen und Freizeitanlagen der US-Besatzungsarmee. Auf dem 18-Loch-Golfplatz, vom legendären Jack Nicklaus entworfen, findet gerade ein Turnier statt; das Hotel ist voll mit Golfern. John Hay, nach dem das Camp benannt ist, war US-Aussenminister und spielte eine wichtige Rolle bei der Beendigung des Spanisch-Amerikanischen Kriegs von 1898. An dessen Ende gerieten die Philippinen, die jahrzehntelang für die Unabhängigkeit von Spanien gekämpft hatten, unter die Kontrolle der USA. Das hat bis heute den Vorteil, dass Englisch als zweite Landessprache schon in der Primarschule unterrichtet wird. Durch die Philippinen zu reisen wird somit kaum durch Sprachbarrieren behindert. 

Wenn Baguio City nicht wirklich einladend ist, so ist es der Zentralmarkt umso mehr. 

Einen Besuch wert: der Markt von Baguio.

Er ist erstaunlich sauber. Auf grossen Ständen sind riesige Mengen von Früchten und Gemüsen sorgfältig gestapelt; Reis gibt es in Dutzenden Varietäten; an einem Stand werden frittierte Eintags-Küken verkauft. Fisch- und Fleischmarkt quellen über, und neben den Fressalien werden auch Silberschmuck, wollene Pullover, traditionelle Trachten und Madonnen in allen Grössen angeboten.

Mega-Moloch Manila

Doch am nächsten Tag müssen wir zurück nach Manila, diesen vom Verkehr verstopften Mega-Moloch. 16 zusammengebaute Städte mit zusammen 13 Millionen umfasst die Hauptstadtregion. Um Manila, so hört man, sollten Touristen einen weiten Bogen schlagen. Laut sei die Stadt, hässlich, heiss und gefährlich.

Blick auf das Rathaus mitten in Manila.

Dass sie heiss ist, stimmt. Dass sie hässlich ist, ebenfalls. Im Zweiten Weltkrieg wurde, abgesehen von Dresden, keine andere Stadt der Welt so stark zerstört. Und im Gegensatz zu Dresden hat man, ausser in der kleinen Altstadt Intramuros, auch kaum alte Quartiere restauriert. Stefan Roemer hat Manila trotzdem auf eine Liste seiner asiatischen Geheimtipps gesetzt. Das begründet der Inhaber des Reiseanbieters Tourasia AG damit, dass Manila „erstens eine sehr lebendige Stadt ist. Es läuft immer etwas. Zweitens gibt es hier die attraktivsten Shopping-Möglichkeiten. Und drittens ist die grosse Dichte an sensationellen Restaurants wirklich beachtlich.“

Am Abend bestätigt sich im Restaurant Blackbird Roemers Aussage über das Essen: Hier befand sich einst der internationale Flughafen. Das Restaurant hat sich im Tower aus den 1930er-Jahren einquartiert und etwas von der glorreichen, inzwischen vergangenen fliegerischen Epoche bewahrt. Dazu hat das Blackbird einen grossen, überdeckten Garten. Das Essen ist von hoher Qualität.

Doch dann wechselt man vom gepflegten Stadtteil Makati mit seinen edlen Lokalen, Banken, Einkaufszentren, Hotels und Apartmentblöcken hinüber nach Malate mit seinen Kneipen, Massagesalons und Karaoke-Bars: ein lautes, schmuddeliges Rotlichtquartier. Der Reisende ist gewarnt worden: vor aufdringlichen Prostituierten, vor Dieben, Räubern, Drogendealern. Tatsächlich wird er an jeder Ecke angequatscht: von Frauen, von bettelnden Kindern, von Händlern, die irgendetwas verkaufen wollen. Doch niemand ist aggressiv; es wird viel gelacht.

Abgeschieden von der Welt

Wenn der Unterschied zwischen den bukolischen Regionen im Norden und dem Gewusel der Megastadt schon gross war, wird er nun immens: Wir fliegen von Manila nach El Nido, einem Fischer- und Ferienort auf der schmalen, aber 450 Kilometer langen Insel Palawan. Mit seinen unzähligen vorgelagerten Inselchen ist Palawan eine Gegend, für die einem nur der abgegriffene Ausdruck „paradiesisch“ in den Sinn kommt. Von El Nido sind wir mit einem Katamaran auf die Miniloc-Insel gefahren. Hier steht – auf Stelzen und mit Stroh gedeckt wie die traditionellen Behausungen – ein kleines, edles Resort, völlig abgeschieden von der Welt. Das Wasser ist klar. Man ordert einen Gin Tonic und bestaunt den wunderbar kitschigen Sonnenuntergang.  

Abgeschieden auf Palawan im El Nido Resort.

Von Miniloc aus kann man mit dem Boot oder dem Kajak kleine Inseln mit Palmenstränden ansteuern, die man mehr oder weniger für sich allein hat. Es geht auf den Philippinen auch anders, wie das völlig überlaufene, verschandelte, momentan für Touristen gesperrte Boracay beweist. Hier jedoch, im nördlichen Teil von Palawan, sind die Touristenmassen (noch) nicht angekommen.

Am nächsten Tag fahren wir hinaus zum Schnorcheln. Alle bestaunen durch ihre Schwimmbrillen eine bunte Unterwasserwelt aus Fischen, Schildkröten und Korallen. Als ein paar junge Haie auftauchen, herrscht einen Moment lang Aufregung. Aber der Bootsführer beruhigt: Die haben mehr Angst vor uns als wir vor ihnen.

Man möchte hier bleiben, für immer und noch etwas länger. Aber bald muss wieder gepackt werden: zurück nach Manila, im selben Land, aber in einer anderen Welt.


«Keine Möglichkeit für Massentourismus»

Stephan Roemer, Inhaber des spezialisierten Reiseanbieters Tourasia AG in Wallisellen ZH, sieht die Philippinen als attraktive Destination für Individualtouristen, wie er im Interview sagt.

Tourasia-Chef Stephan Roemer.

Herr Roemer, liegen die Philippinen im Trend? Nimmt die Nachfrage zu?

Stephan Roemer: Es gibt keinen Philippinen-Boom. Die Nachfrage hat in den letzten Jahren auf eher tiefem Niveau stagniert.

In den offiziellen Statistiken werden für 2016 32,5 Millionen Ankünfte in Thailand verzeichnet und sechs Millionen, also knapp ein Fünftel, auf den Philippinen.

Verhält es sich bei Ihren Kunden ebenso?

Nein, wir verzeichnen zwanzigmal mehr Buchungen für Thailand als für die Philippinen.

Dabei gäbe es wunderbare, touristisch noch wenig erschlossene Gegenden, zum Beispiel auf der Insel Palawan mit Hunderte kleinen, vorgelagerten Inselchen. Droht hier langfristig eine Thailandisierung?

Ich sehe dort keine Möglichkeit für Massentourismus, sondern nur für Individualtouristen. Viele  Inseln sind zu klein für den Tourismus, es mangelt an Wasser, und ganz allgemein fehlt die Infrastruktur.

Trotzdem hat die Schliessung der Ferieninsel Boracay ein Schlaglicht auf die Philippinen geworfen. Weshalb hat Präsident Duterte die populäre Insel zugesperrt?

Boracay war eine Cashcow mit sehr viel ausländischem Investment, zum Beispiel aus Korea und China. Dabei wurden gesetzliche Vorschriften missachtet: Es wurde zu dicht und zu nahe an der Uferlinie gebaut; Abwässer flossen direkt ins Meer, weil es keine anständige Abwasserreinigung gab, und so weiter. Präsident Duterte wollte in Boracay offensichtlich ein Exempel statuieren.

In westlichen Medien wurde Rodrigo Duterte nach seiner Wahl im Juni 2016 als Diktator und Menschenrechtsverletzer gebrandmarkt. Hat die Kampagne gegen Duterte dem Land geschadet?

Nein, überhaupt nicht. Präsident Duterte hat inzwischen bewiesen, dass er bei Gesetzesverstössen hart durchgreift. Laut Umfragen befürworten rund 80 Prozent der Filipinos Dutertes Politik. Kein anderer asiatischer Leader hat bei der eigenen Bevölkerung eine ähnlich grosse Zustimmung.