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Auf kulinarischer Wanderung im Tirol. Bilder: AKV

Der Stüva-Pilgerweg für Gourmets

Artur K. Vogel

Im Paznaun, einem Tiroler Seitental, findet diesen Sommer schon zum 13. Mal der sogenannte Kulinarische Jakobsweg statt: ein Gourmet-Festival in den Alphütten zur Freude von Bergwanderern und Bikern.

Küchenchef Martin Sieberer (52), der in der Paznauner Stube im 5-Sterne-superior-Hotel Trofana Royal in Ischgl seit 25 Jahren eine aufsehenerregende regionale Saisonküche zelebriert, wird von Gault&Millau mit 18 Punkten bewertet. 2000 war er «Koch des Jahres». Für traditionelle österreichische Köstlichkeiten erhält Sieberer im zweiten Trofana-Restaurant, der Heimatbühne, gleich nochmals 15 G&M-Punkte. Und er hat selbst für gastronomischen Nachwuchs gesorgt: Seine zwei Söhne sind inzwischen ebenfalls in der Trofana-Küche tätig.

An diesem Samstag hat Sieberer die Kochschürze gegen eine kurze, reich bestickte hirschlederne Trachtenhose und ein rot-weiss kariertes Hemd eingetauscht. Mit der Diasbahn sind wir vom Dorf Kappl unten im Tal hinaufgefahren auf 1800 Meter. Die letzten 200 Höhenmeter aber erklimmen wir keuchend über steile Wiesen, vorbei an munter sprudelnden Bächen und ausgedehnte Flecken blühender Alpenrosen. Entschädigt werden wir oben mit den munteren Klängen eines Stimmungsorchesters namens «Läts Fetz», von der umtriebigen Almwirtin Heike Mayerhofer und ihren Serviererinnen, alle im Dirndl, und von Martin Sieberer und seinen Söhnen, er inzwischen wieder in einer weissen Kochjacke, sie in schwarzen.

Sorgt seit 25 Jahren für kulinarisches Aufsehen: Martin Sieberer, Küchenchef in der in der Paznauner Stube im 5-Sterne-superior-Hotel Trofana Royal in Ischgl.

Aufgetragen wird ein schön mit getrockneten Alpenblumen dekorierter Teller mit Röstzwiebelbraten und Erdäpfelriebler (eine Speise aus zerstampften Kartoffeln mit Butter, Ei und Gewürzen) sowie knackigem Gemüse. Später gibt es ein aufsehenerregendes Dessert: Glacestängel, serviert auf einem Rost, aus welchem mit Champagner angesetzter Eisnebel quillt.

Kulinarisch hochstehendes Bergtal

Das Tiroler Paznaun mit den Orten See, Kappl, Ischgl und Galtür erstreckt sich von Landeck, wo der ÖBB-Railjet aus Zürich hält, bis hinauf zum Silvretta-Massiv. Mit seiner Silvretta-Arena – betrieben zusammen mit Samnaun im Unterengadin – ist Paznaun mit Ischgl im Mittelpunkt eines der wichtigsten österreichischen Wintersportgebiete. Doch das Tal hat auch kulinarisch viel zu bieten: Im Gastroführer Gault&Millau 2021 ist es mit zehn Lokalen vertreten.

«Nur in Wien gibt es mehr Haubenlokale als bei uns», bemerkt Andreas Steibl stolz. Er ist mit uns hochgestiegen aufs Almstüberl (wohin man auch mit dem Auto oder mit einer Sesselbahn gelangt, wenn man nicht so gut zu Fuss ist). «Aber Wien hat zwei Millionen Einwohner, Ischgl 1600. Und nirgendwo ist die Dichte von 4- und 5-Sterne-Hotels grösser als bei uns.» Der charmante Andy Steibl mit der langen, blonden Mähne ist Geschäftsführer des Tourismusverbandes Paznaun-Ischgl – und gebürtiger Wiener.

Mit Ischgls Tourismusdirektor Andreas Steibl auf Gourmet-Tour.

2008 schon wollte man im Paznaun die Kulinarik stärker in den Vordergrund rücken. In Zusammenarbeit mit dem österreichischen, in Deutschland berühmt gewordenen Koch Eckart Witzigmann wurde der Kulinarische Jakobsweg ins Leben gerufen, der die Qualität des Essensangebots in den Hütten verbessern sollte. Die Bezeichnung «Jakobsweg» ist ein bisschen weiter hergeholt. Effektiv verläuft der Pilgerweg Richtung Santiago de Compostela von Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei, über Wien und Innsbruck nach Feldkirch, wo er sich in der Schweiz fortsetzt. Ins Paznaun zu pilgern, wäre ein Umweg. Und während die richtige Pilgerroute von Leiden und Entbehrung gekennzeichnet ist, geht es auf dem Kulinarischen Jakobsweg um Freuden und Lust.

Auf sechs Alphütten, die von den Gästen erwandert oder mit dem Mountain- oder dem E-Bike erklommen werden können, sind Köche aus dem Tal mit ihrer Kunst präsent. Sie sollen den Alpwirtschaften neuen kulinarischen Schwung verleihen; dafür haben sie spezielle Gerichte kreiert, welche den ganzen Sommer hindurch auf den Hütten serviert werden. Jeder dieser Küchenchefs begleitet zudem eine öffentliche Wanderung auf «seine» Alp.

Hochdekorierte Küchenchefs

Benjamin Parth, der jüngste dieser hochdekorierten Küchenchefs, ist diesen Sommer für ein Menü auf der Friedrichshafener Hütte auf 2138 Metern oberhalb von Ischgl zuständig. Am 24. Juli nimmt er an der Wanderung hinauf zur Hütte teil. Der 32-Jährige kocht im Restaurant Stüva im familieneigenen 4-Sterne-Hotel Yscla. (Yscla ist rätoromanisch für Ischgl; der Ort wurde vor rund 1000 Jahren von Engadinern gegründet.) Beim höchstdotierten Küchenchef Heinz Winkler machte er die Kochlehre; im Stüva wurde er mit erst 19 Jahren Küchenchef. Mit 18.5 Gault&Millau-Punkten gilt das Stüva als bestes Lokal in Tirol. 2019 wurde Parth zu Österreichs «Koch des Jahres» gewählt, 2020 in die exklusive Vereinigung «Les Grandes Tables du Monde» aufgenommen.

Am 31. Juli begleitet der extravertierte Patrick Raass die Wanderer auf die Heidelberger Hütte am Ende des sanft ansteigenden Fimbatals oberhalb von Ischgl auf 2264 Metern. Raass ist der neue Chef in der Schlossherrenstube des 5-Sterne-superior-Schlosshotels Ischgl mit bisher 18 Punkten Gault&Millau. Raass hat in berühmten deutschen Lokalen gearbeitet, in München etwa im Tantris und bei Alfons Schubeck.

Ein kleiner Leckerbissen zwischendurch.

Im 4-Sterne-superior-Haus Fliana wird man in der heimeligen Atmosphäre des Restaurants Fliana Gourmet vom Küchenchef und Käsesommelier Andreas Spitzer verköstigt. Auch er ist erst 34 Jahre alt und schon seit einem Jahrzehnt Chef der Fliana-Küche. Bewertung von Gault&Millau: 15.5 Punkte. Spitzer hat diesen Sommer ein Menü für die Aschernhütte in der Gemeinde See auf 2256 Metern beigesteuert; am 21. August nimmt er an der Wanderung teil.

Koch und Hotelier ist Hermann Huber im Huber-Hotel Almhof in Galtür, und zwar seit 40 Jahren. Die Familie betreibt nicht nur sechs 4-Sterne-Hotels, sondern auch die grösste Landwirtschaft der Region. Unter anderem stellt Huber seinen eigenen Käse her. Viele Produkte, die im soeben renovierten Restaurant des Almhofs serviert werden, stammen aus den eigenen Betrieben. Für den Kulinarischen Jakobsweg hat Hermann Huber für die familieneigene Faulbrunn Alm auf 2000 Metern oberhalb von Galtür ein spezielles Menü kreiert. Am 18. September nimmt er an der Wanderung hinauf zur Alp teil.

Die Gourmet-Tour wartet auch mit top Aussichten auf.

Mekka statt Ibiza

Die jungen Paznauner Nachwuchsköche schliesslich können sich auf der Jamtalhütte verwirklichen. Die «Jam» liegt südlich von Galtür auf 2165 Metern. Sie wird seit vier Generationen von der Familie Lorenz geführt. Zudem fungiert sie als alpines Ausbildungszentrum des Deutschen Alpenvereins, dem die Hütte gehört – die eigentlich eher ein alpines Hotel mit 180 Schlafplätzen ist. Die YoungChefsPaznaun, die für die Hütte ein deftiges Pastagericht kreiert haben, wandern am 4. September mit.

Die hochgelobten Paznauner Restaurants und die Kochevents wie der Sternecup der Köche im Winter und der Kulinarische Jakobsweg im Sommer sind Trümpfe im Wettbewerb um Touristen, welche Paznaun gern ausspielt. Bis es von der Corona-Pandemie arg gebeutelt wurde, hatte man Ischgl auch «Ibiza der Alpen» genannt oder böswilliger «Ballermann der Alpen». Tourismusdirektor Steibl hingegen möchte jetzt lieber von einem «kulinarischen Mekka» reden, vor allem auch für Schweizer, die nach Deutschen und Holländern die drittwichtigste Gästegruppe ausmachen.

Mehr über den kulinarischen Jakobsweg unter: www.paznaun-ischgl.com/kjw