Business Travel

Ludger Bals auf Besuch bei travelnews.ch im Supertanker in Zürich. Bild: GW

«Airlines sind sich nicht bewusst, wie komplex Business Travel ist»

Gregor Waser

Branchenkenner Ludger Bals erklärt im Interview mit travelnews.ch das explosive Umfeld, in dem sich derzeit Geschäftsreise-Anbieter und Airlines bewegen.

Herr Bals, wo sehen Sie derzeit die grösste Herausforderung in der Geschäftsreise-Welt?

Ludger Bals*: Die Digitalisierung und technische Entwicklung sind so weit vorangeschritten, dass einzelne Prozesse miteinander kommunizieren können. Das ging früher nicht. Was früher ein Silo Buchen, ein Silo Planen, ein Silo Abrechnen war, soll jetzt zusammenhängend ablaufen. Die Komplexität und Dynamik nimmt deutlich zu. Jetzt braucht es im Markt Leute und Rollen, die es vorher nicht gab. Technikaffine Macher die etwas bewegen wollen sind gefragt. Diese Branche ist Technologie-getrieben und wir haben in der Geschäftsreise- oder Mobilitätsbranche viele Player mit unterschiedlichen Zielen, das führt zu einer deutlichen Verschiebung. Die Anbieter können und versuchen mit den Reisenden direkt Kontakt aufzubauen, früher brauchte es einen Intermediär, einen Mittler, und im Unternehmen waren etliche Leute, die wollten mitreden, kanalisieren und steuern. Früher war der Endreisende weitgehend abgeschottet. Die zentrale Herausforderung lautet für mich: „Wie ehemals gut strukturierte und einmal etablierte Marktplätze gänzlich neu verteilt werden“. Es tauchen neue aggressive Mitspieler auf und die Frage lautet: „Wem gehört der Kunde, die Daten und wo liegen diese geografisch?“

Wir beurteilen Sie die Position der Airlines?

Die meisten Airlines haben hohe Umsätze und müssen sich aber mit einem Nettoprofit von knapp einem Prozent begnügen, vorbehältlich des Streikausgangs, wie das aktuell formuliert wird. Wenn eine Airline nun sieht, dass ein Technologieunternehmen wie ein GDS um 15 Prozent Profit schreibt, macht sie das natürlich nachdenklich. Gleichzeitig  entwickeln Airlines technische Plattformen, um den Endkunden direkt zu erreichen. Klar kommt dann die Frage auf, wieso brauchen wir noch ein GDS als Vertriebssystem. Airlines suchen über neue Kanäle den Weg zum Endreisenden. Das ist im Geschäftsreisesektor gefährlich, denn was der eigentlich zahlende Kunde „die Firma“ dazu sagt, wird nicht mehr gefragt. Der Mittler, das Reisebüro steht nun stark auf dem Prüfstand. Die Mitte muss sich neue Gedanken machen. Aus meiner Sicht sollten sich auch Airlines fragen, warum sie sich denn getrennt haben von diesen GDS, wenn sie angeblich so profitabel sind. Und ist der Aufbau von technischen Vertriebssystemen auf Dauer die Kernkompetenz von Airlines? Im Mittleren Osten haben einige Airlines knapp 2000 Mitarbeiter in der eigenen IT-Abteilung.

«Sie brauchen einen Kümmerer, Moderator, Projektleiter, Prozessversteher.»

Werden Travel Management Companies wegbrechen?

Reisebüros müssen sich umstellen, wollen sie überleben. Heute brauchen Sie eigentlich kein tradtitionelles Reisebüro mehr, Sie brauchen einen Kümmerer, Moderator, Projektleiter, Prozessversteher. Mit diesem Rollenwandel tun sich einige Reisebüros schwer. Erst mussten sie zehn Jahre lang Tickets bringen, nun heisst es: Können Sie uns Mobilität, Meetingräume oder Prozesse organisieren? Einige Reisebüros werden Nein sagen, das ist nicht meine Aufgabe. Wenn da keine Flexibilisierung einsetzt... Die alte Dienstleistung Reisemittelbeschaffung wird es nicht mehr geben. Reisebüros, die neue Kompetenzen anbieten und ein attraktives Preismodell haben, werden eine Nische besetzen und vom Kunden Aufträge bekommen.

Wie schätzen Sie den heutigen Geschäftsreisenden ein?

Diese „young urban professionals“ oder „road warriors“ finden die neuen, direkten Abläufe gut. Sie erhalten Angebote auf ihr mobile Device, das zu ihnen passt. Diese Generation Y will frei sein und „Maverick buying“ ist in. Sie will zeigen, dass sie sich organisieren kann, individuell ist und will das auch im Angebot und einer persönlichen Ansprache spüren. Nun sprechen wir hier über Geschäftsreisen und  die Firma hat in der Regel weitere Prozesse und Verpflichtungen, die sich mit dieser Individualisierung nicht verträgt. Themen wie eine einheitliche Abrechnung, Kostentransparenz und unternehmerische Sorgfaltspflicht passen nicht zu dazu. Für viele Reisende sind diese Abhängigkeiten nicht transparent. Nun stellen Sie sich die Frage, Sie sind CEO und suchen nach intelligenten, kreativen Mitarbeitern: Wie verträgt sich das mit strengen Regeln? Schlecht. Die Herausforderung ist es, Plattformen zu finden, die diese Individualisierung zulassen und diesen jungen, smarten Leute einen passenden Service bieten und die Unternehmensregeln beachten. Wer das schafft, kann eine Horde von Wildpferden in einer Koppel halten. Früher waren es eben Dressurpferde, alle liefen in eine Richtung, und einer sagte, wo's lang geht. Die, die diese Idee nicht mitgehen, spielen in Zukunft keine Rolle mehr.

«Für den Geschäftsreisemarkt ist die Situation fatal, denn ein funktionierender Markt bricht auseinander.»

Was sagen Sie zur GDS-Gebühr?

Die Airlines sind sich offensichtlich nicht bewusst, wie komplex Business Travel ist oder sie möchten den Markt provozieren. Es geht nicht nur darum, einem Menschen einen Sitzplatz oder ein Bett zu vermitteln. Dahinter stecken automatisierte Bezahlvorgänge, weitere Sekundärprozesse, unternehmerische Sorgfaltspflicht und die Idee, einen transparenten Marktplatz zu unterstützen. Wenn eine Airline Firmen all diese Prozesse und Informationen zur Verfügung stellen möchte, muss sie sehr viel in Technologie investieren, und das wird am Ende um ein Mehrfaches die aktuellen 16 Euro pro Buchung übersteigen. Für den Geschäftsreisemarkt ist die Situation fatal, denn ein funktionierender Markt bricht auseinander. Nennen wir ein plastisches Beispiel: Früher gab es „One stop shopping“ beim GDS, in Zukunft müssen nun alle einzeln zu verschienden Metzgern, Gemüsehändlern, Obsthändler gehen, aber Sie bekommen  das alles nicht mehr auf einem gemeinsamen Marktplatz. Ein Globales Distributions System (GDS) sollte  den Anspruch eines Marktplatzes erfüllen können und einem Geschäftsreisenden  möglichst alle Komponenten einer Dienstreise aus einer Hand zu vermitteln und die Waren attraktiv anbieten. Das wird im Moment von den Firmen massiv artikuliert und gefordert und Airlines sehen hier Handlungsbedarf, da sie ihre Produkte nicht differenziert dargestellt sehen.

Was führen die Airlines im Schild?

Es gibt einen Megatrend und der lautet „Individualisierung“. Das bedeutet, dass im Airlinesektor nicht mehr über den Preis, sondern über andere Wege differenziert wird. Was bei der aktuellen Nettorendite auch überlebenswichtig und zwingend ist. Airlines wie auch Hotels wollen ihre Leistung differenziert anbieten, die Vorteile hervorheben; Unique Selling Points direkt beim Kunden transparent machen. Ich denke, dass Airlines Bedenken haben, dass Vertriebspartner diese Differenzierung im Verkaufsprozess nicht darstellen können und wollen. Das ist die offizielle Argumentation.

Und was steckt wirklich dahinter?

Aus meiner Sicht geht es in Wahrheit vor allem darum, dass die Technik es ermöglicht, zu finanziell attraktiven Konditionen eine direkte Beziehung zum Endkunden aufzubauen. Diese Entwicklung wird stark getrieben durch den B2C-Privatreisemarkt. Hier wird viel investiert und Airlines versuchen durch Gewinnung und Verarbeitung von Mengendaten Informationen rund um den Kunden zu sammeln. Das ist dann „data mining“ und wie der Name schon sagt ist das etwas Wertvolles und wird genutzt, um Kunden individuell anzusprechen und zu binden. Gepaart mit einem passenden Loyaltyprogramm entsteht da eine hohe Kundenbindung und ein besserer Ertrag.

Was heisst das für den Geschäftsreisemarkt?

Hier sollten etwas andere Regeln herrschen, da nicht der Endnutzer und Reisende der Kunde ist, sondern das Unternehmen, welches bezahlt und den Mitarbeiter auf Reisen schickt. Viele Unternehmen haben hinter dem Bestellprozess weitere Prozesse wie Reisekostenabrechnung, Management Information Systeme und People Tracking. Diese Anforderungen und Komplexität wird aktuell von Airlines vernachlässigt und ignoriert. Fluggesellschaften machen quasi nach dem Ticketing Schluss. Wenn jede Airline jetzt diesen Weg geht,  erzeugt das massive Unruhe und bei den Verantwortlichen in den Unternehmen enormen Mehraufwand und Intransparenz. Aber vielleicht ist das auch die hidden Agenda der Airlines, den transparenten Markt zu irritieren.

 

* Ludger Bals ist Senior Director Business Development beim deutschen Beratungsunternehmen NP4 - Beyond Business Travel. Bals ist seit 23 Jahren im Geschäftsreisemanagement engagiert. Der diplomierte Kommunikations- und Geowissenschaftler war beim IT-Beratungshaus CSC-Ploenzke tätig, bei Carlson Wagonlit Travel und i:FAO. Zudem lenkte er die Collaboration-Plattform GetThere in Europa und die Online-Plattform der Deutschen Bahn OBT. Seit 2013 leitet er die Vertriebsaktivitäten und Kundenbetreuung bei NP4 in Darmstadt.