Trips & Travellers

Danielle Gyurech und Julian Schilling sind die Pioniere der Reisemedizin in der Schweiz. Bild: TN

Heilen, helfen, entdecken – das Lebenswerk zweier Weltenbummler

Reto Suter

Seit drei Jahrzehnten beraten Danielle Gyurech und Julian Schilling Schweizer Reisende in allen Gesundheitsfragen. Mit der Travel Clinic haben sie 1995 eine Pionierpraxis gegründet. Im Interview mit Travelnews sprechen sie über den Wandel des Reisens und warum Leidenschaft auch nach 30 Jahren ihr wichtigster Antrieb ist.

Es ist später Freitagnachmittag. In der Praxis an der Zürcher Forchstrasse herrscht ruhige Betriebsamkeit. Danielle Gyurech und Julian Schilling sitzen entspannt an ihren Schreibtischen, ein paar letzte Mails werden beantwortet, Rechnungen kontrolliert. Draussen senkt sich die Herbstsonne über den Hegibachplatz. Bald ist Feierabend.

Früher, erinnern sich die beiden, sei es durchaus üblich gewesen, auch am Samstag und Sonntag Patientinnen und Patienten zu empfangen, sagt Gyurech. Heute gilt: Wochenende ist Wochenende. Nur in absoluten Ausnahmefällen wird noch gearbeitet – mit Ausnahme administrativer Aufgaben.

Die Arbeitstage sind dennoch straff organisiert. Punkt 9 Uhr öffnet Danielle Gyurech die Praxis. Ohne Mittagspause arbeitet sie durch – bis maximal 15 Uhr. Dann der fliegende Wechsel: Julian Schilling übernimmt. «Er ist ein Morgenmuffel», sagt Gyurech lachend.

Schilling selbst nimmt es sportlich: «Ich arbeite am liebsten, wenn es richtig rund läuft – Leerlauf liegt mir nicht.» In der Regel bis 19 Uhr empfängt er Reisende aus der ganzen Schweiz. Beide erledigen zudem viel im Homeoffice – ein Modell, das sie längst verinnerlicht haben.

Eine Idee, geboren am Strand

Die Geschichte der Travel Clinic beginnt 1994, nicht in Zürich, sondern auf Barbados. «Wir sassen am Strand und dachten: Reisen und Medizin – das muss sich doch verbinden lassen!», erinnert sich Gyurech. Die beiden hatten sich an der Uni im ersten Studienjahr 1983 kennengelernt. Schon früh wusste sie, dass sie Ärztin werden wollte – ihre Mutter war ebenfalls Medizinerin. «Es war irgendwie meine Berufung.»

Sie und ihr Partner Julian Schilling, dessen Vater Architekt war («Ich dachte: Lass mich mal ein Medizinstudium probieren»), sammelten zunächst wertvolle Erfahrungen in Praxisvertretungen.

Anschliessend nahmen sie sich ein Jahr Zeit zur Vorbereitung und reisten zu verschiedenen reisemedizinischen Einrichtungen im Ausland – unter anderem nach San Francisco, in die Niederlande und nach Grossbritannien. «Dort gab es solche Praxen bereits seit Langem, oft mit Wurzeln in der Kolonialzeit», erzählt Gyurech. «Für uns war klar: Das wollen wir auch – aber mit Schweizer Präzision, persönlicher Beratung und eigener Handschrift.»

Am 15. Dezember 1995 eröffneten sie an der Forchstrasse ihre eigene Praxis, mit einer grossen Party. «Zuerst kamen nur wenige Kunden», erzählt Gyurech. «Aber wir hatten Geduld.» Die beiden schrieben Briefe an Reisebüros und verschickten Broschüren. «Zu Beginn freuten wir uns über jeden Tag, an dem die Einnahmen die Kosten deckten», sagt Schilling.

Danielle Gyurech und Julian Schilling am Sommerfest der Swiss Travel Association (STAR) im Zürcher Kongresshaus. Bild: TN

Nach zwei Jahren war die Travel Clinic etabliert. «Bald wussten die Leute: Wer eine Fernreise plant, lässt sich in Zürich beraten», so Schilling. Er selbst stieg erst 2004 voll ein – parallel arbeitete er unter anderem mehrere Jahre an der Universität Zürich.

In 30 Jahren Praxisbetrieb gab es viele Höhepunkte – und nur wenige Tiefs. «Schwierigkeiten hatten wir manchmal beim Personal», sagt Gyurech. «Geeignete Mitarbeitende zu finden, war nicht immer einfach.» Das wahre Horrorszenario aber kam 2020: Corona. Die Folge: Entlassungen. «Eine Ärztin, alle medizinischen Praxis-Assistentinnen, die zum Teil seit 20 Jahren bei uns waren, und auch unsere Putzfrau: Alle mussten gehen.»

Doch die beiden liessen sich nicht entmutigen. «Wir nutzten die Zeit, um unsere Administration zu optimieren – das Reservations- und Rechnungssystem. Heute sparen wir dadurch sehr viel Zeit», erzählt Gyurech. Schilling ergänzt: «Und wir machten tolle Reisen – Sansibar, Namibia, Marokko. Es war wunderbar, wieder unterwegs zu sein.»

Wandel der Reisemedizin

Die Reisemedizin selbst hat sich über die Jahre durchaus verändert. «Parasiten wie Lamblien sehen wir kaum noch», sagt Gyurech. «Dafür tauchen neue Infektionen auf.» Geblieben sei, dass viele Reisende erst in letzter Minute zur Beratung erscheinen. «Das war früher schon so – und hat sich nicht gebessert.»

Schilling nickt: «Viele wissen gar nicht genau, wohin sie reisen. ‹Ich fliege nach Afrika› – ja, aber wohin genau?» Gleichzeitig habe die Spontanität zugenommen, ebenso die Erwartungshaltung. «Manche rufen an und sagen: Ich habe am Mittwochnachmittag um 15 Uhr Zeit – kann ich dann kurz vorbeikommen? Das ist schon fast dreist», so Gyurech.

Impfen ist für die beiden nur ein Teil der Reise-Vorbereitung. «Wir beraten auch zu Höhenmedizin, Tauchtauglichkeit oder Mückenschutz und behandeln erkrankte Reiserückkehrer», sagt Schilling. «Je abgelegener das Ziel, desto wichtiger die Vorbereitung. Und durch den Klimawandel haben sich Regen- und Hurrikan-Saisons verschoben – das gehört heute dazu.»

Laut Schilling sollte eine Reiseapotheke unbedingt Antibiotikum, Juckreizsalbe, Ohrentropfen, Nasenspray und Schmerzmittel wie Paracetamol enthalten. «Ein Moskitonetz ist in Risikogebieten Pflicht», ergänzt Gyurech. «Viele unterschätzen das – ebenso wie Unfallrisiken oder psychische Probleme auf Reisen. Depressionen oder Drogenexzesse sind häufiger, als man denkt.»

Selbst erwischt hat es sie selten. «Auf unserer ersten Indien-Reise lag ich flach», erinnert sich Gyurech. «Magen-Darm-Probleme, wahrscheinlich Lamblien. Seither reisen wir nie ohne eigene, gut gefüllte Apotheke.»

Leidenschaft als Motor

Auch privat sind Gyurech und Schilling weiter viel unterwegs. «Wir lieben Rundreisen, zuletzt durch Ungarn und Rumänien», erzählt Gyurech. Auf der Bucketlist stehen China, Palau, Chile und Island. «Reisen ist für uns nie Flucht, sondern Ausdruck von Neugier.» Die Kinder nahmen sie von klein auf mit. «Das prägt», sagt Schilling. «Offenheit und Spontaneität lernt man nicht im Schulzimmer.»

Und die Zukunft? «So lange wir Freude an Menschen, Medizin und Reisen haben, machen wir weiter», so Gyurech. «Vielleicht etwas egoistischer – mit mehr Freiheiten. Wir sind weniger tolerant geworden gegenüber Leuten, die drei Tage vor Abreise noch schnell einen Termin wollen.» Schilling lächelt: «Reisen ist unsere Berufung – und unsere Medizin.»

Und dann packen sie die letzten Unterlagen in die Tasche, löschen das Licht in der Praxis an der Forchstrasse – und starten ins Wochenende. Nach 30 Jahren voller Energie. Und ungebrochener Reiselust.