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Touristikerin und Visionärin Bettina Plattner hat klare Vorstellungen, wie sich das Engadin auch in Zukunft touristisch erfolgreich etablieren kann. Bild: TN

Mit dem Blick auf die touristische Zukunft des Engadins

Gregor Waser

Eine der treibenden Kräfte in der Tourismusszene des Oberengadins ist Bettina Plattner. Die glühende Touristikerin verfolgt zahlreiche spannende Projekte und hat eine klare Vorstellung, was der Reisegast von morgen benötigen wird.

Wir treffen uns an der von Pipilotti Rist designten Roten Bar im Hotel Castell in Zuoz – ob es die inspirierende Bar ist oder die Gesprächspartnerin: ein Treffen mit Bettina Plattner wird zu einem Feuerwerk der touristischen Ideen und Lösungsansätze.

Schon lange steht die heute 54-jährige mitten im Tourismus. Die Zürcherin, die seit 23 Jahren im Engadin lebt, absolvierte einst eine klassische Hotelfachausbildung, lernte ihren Gatten noch vor der Matura am Hochalpinen Institut in Ftan kennen, er ursprünglich Koch, ihre beiden 18 und 21 Jahre alten Kinder sprechen auch rätoromanisch. Zusammen verbrachten Bettina und Richard Plattner einige Jahre in den USA und der dortigen Hotellerie, um nach ihrer Rückkehr in die Schweiz, die hiesige Hotellerie aufzumischen.

«Ja, wir brachten wohl schon einen gewissen US-Spirit zurück», sagt sie zu ihrem Engagement im Hotel Saratz in Pontresina in den Jahren 1996 bis 2002. «Die damaligen US-Standards und Qualitätsvorstellungen und die kompromisslose Gäste-Mitarbeiter-Orientierung haben uns beflügelt und wir konnten im Saratz einiges bewegen.» Das Hotel Saratz erhielt damals als erstes Schweizer Hotel den angesehenen Qualitätspreis «Esprix». Dass die US-Hotellerie mittlerweile bei der Servicequalität deutlich nachgelassen hat, musste sie mittlerweile aber auch feststellen.

2002 erhielten die Plattners die Chance, das Castell Zuoz zu übernehmen, das damals wie heute dem Kunstmäzen Ruedi Bechtler gehört. «Das Hotel war in die Jahre gekommen. Wir konnten den ganzen Umbau betreuen und das von Kunst geprägte Konzept gestalten.» In wenigen Jahren brachten die Plattners das Castell auf Vordermann. Heute verblüfft das Haus mit einer stylishen, relaxten Atmosphäre und vielen Werken von namhaften Künstlern.

Auch ohne die einzelnen Werke zwingend verstehen zu müssen: die Kunst verleiht dem Castell Zuoz eine ganz eigene Aura – und ist dazu ein gutes Marketingvehikel, etwa in der Kommunikation oder mit der Abhaltung regelmässiger Kunstevents. «Wegen der Kunst alleine kommen aber nur sehr wenige Gäste», sagt Bettina Plattner beim Rundgang durchs Haus relativierend. Der Mix macht es hier aus.

Mit dem Gespür, was Engadin-Gäste suchen, hat sich das Ehepaar Plattner, das heute die gemeinsame Tourismusunternehmung Plattner & Plattner führt, nun einen finalen Traum verwirklicht, der einiges verspricht. Die Plattners haben in Pontresina 19 Appartements im modernen alpinen Design gebaut, verteilt auf drei Häuser. «Alpine Lodging» nennt sich das Label. Es ist eine neue Art von Ferienwohnung.

«Auf der Suche nach einer guten Geschäftsidee kam mein Mann eines Nachts auf die Idee, einen neuen Brand für Ferienwohnungen zu schaffen», erzählt sie. «Bei Alpine Lodging taucht der Gast in eine eigens für ihn geschaffene Erlebniswelt ein – und nicht in diejenige des Eigentümers oder Vorgängers. Kurz: Wohnungen in Hotelzimmer-Qualität. Die Wohnungen sind rund ums Jahr buchbar. Jedes Haus hat eine Wellness-Einrichtung und viele Dienstleistungen sind zusätzlich buchbar – ob Baby- oder Hundesitting, tägliche Reinigung, saisonale Dekoration, Brunchbutler oder Personaltrainer.»

Die Hotellerie neu denken

Gleichzeitig hat Bettina Plattner, die seit 2016 im Verwaltungsrat von Engadin St. Moritz ist, den Traum vom eigenen Hotel nicht aufgegeben. Denn jüngst konnten die Plattners das in die Jahre gekommene Hotel Post in Pontresina übernehmen. Dieses wird nun bis 2022 komplett neu gebaut, dazu kommen weitere sieben Wohnungen. So sieht das künftige Konzept vor, dass die Gäste der dereinst 26 Ferienwohnungen auch die Infrastruktur und die Dienstleistungen des Hotels Post mitbenutzen können. Und das Hotel Post, das eigentlich mit 35 Zimmern betriebswirtschaftlich zu klein ist, wird von den Synergien mit Alpine Lodging profitieren.

Im Gespräch mit Bettina Plattner wird klar, dass sie sich mit den Alpine Lodges und dem Hotel Post nicht den grossen Reibach verspricht, sondern primär von der Idee beflügelt ist, im Engadin ein zukunftsträchtiges und betriebswirtschaftlich funktionierendes Beherbergungskonzept auf die Beine zu stellen, das den Gast von morgen anspricht.

Wie sehe sie denn die Zukunft des Tourismus im Engadin? Jetzt kommt Bettina Plattner richtig in Fahrt: «Wir müssen die Hotellerie neu denken und aufhören, an herkömmlichen Modellen zu schaffen.» Im Engadin, mit einer starken Winter- und Sommersaison, aber vielen geschlossenen Betrieben im Mai und November, sei es schwierig, wenn man sich nur auf den traditionellen Feriengast konzentriere. Und sie bringt die Gigatrends Digitalisierung und neue Arbeitsmodelle ins Spiel und den Begriff «third Place». Was sie damit meint: «Der erste Platz ist das herkömmliche Leben und Wohnen. Der zweite Platz ist das herkömmliche Arbeiten, nämlich im Büro. Der dritte Platz ist nun eben jener Platz, an dem man konzentriert arbeiten aber gleichzeitig auch Ferien machen kann, Ballast abwirft, auf neue Gedanken kommt, durchlüftet. So, dass zum Beispiel Familien Ferien machen können und der arbeitende Teil der Familie, der keine Ferien hat, mobil am Arbeiten ist.»

Und sie spricht dabei auch vom «Arbeitstourist» und verweist auf das eben in La Punt gutgeheissene Projekt «InnHub». Auf 7000 Quadratmetern entsteht ein Innovationscampus mit Arbeits-, Seminar-, Bildungs-, Einkaufs- und Sportmöglichkeiten. Gleichzeitig glaubt sie, neben dem herkömmlichen Gast diesen künftigen «Arbeitstouristen» im ganzen Engadin und so auch in den Alpine Lodges begrüssen zu können. Von dieser Entwicklung werde das ganze Engadin profitieren, ist sie überzeugt.

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