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Zahlreiche neue Herausforderungen kommen auf die Reiseindustrie zu, verdeutlichte die ITB 2025 in Berlin. Bild: ITB

Sieben Erkenntnisse aus dem Berliner Reisekosmos

Gregor Waser

Die Reisewelt steht vor neuen Entwicklungen und zahlreichen Herausforderungen, zeigt der Besuch der ITB 2025 in Berlin. Die von vielen Ländern und Anbietern genannten Wachstumspläne sollten gut bedacht sein.

Wohin bewegt sich die Reisewelt? Welche Herausforderungen kommen auf die Reiseindustrie zu? Wo öffnen sich neue Reisemöglichkeiten und Geschäftschancen? Wo drohen Overtourismus und Nadelöhre?

Travelnews ist in Berlin drei Tage lang in die brodelnde Tourismuswelt eingetaucht, hat mit vielen Reiseexperten gesprochen, Diskussionspanels verfolgt und die neusten Reisetrends aufgeschnappt. Hier sind sieben der wichtigsten Entwicklungen und Erkenntnisse.

Enorme Wachstumsschritte

Für Tourismusmanager sind Pluszahlen die dominierende Währung. Die Pressekonferenz der Dertour Group war ein Feuerwerk der zweistelligen Prozentzahlen. 2024 nahmen die Pauschalreisen europäischer Gäste um 19 Prozent zu. Die Vorausbuchungen für den kommenden Sommer liegen bei plus 14 Prozent.

Griechenland meldet ein Gästeplus von 15 Prozent, Ägypten will in diesem Jahr um weitere 6 Prozent wachsen, Dubai peilt die 20-Millionen-Gäste-Marke an, ein weiteres Plus von 7 Prozent. Die Türkei verzeichnet ein Gästeplus von 10 Prozent. Und Albanien katapultiert sich in drei, vier Jahrzehnten von praktisch null Gästen auf 12 Millionen im Jahr. Premierminister Edi Rama sprach an der Eröffnungsfeier schon von einer Verdoppelung dieser Zahl.

Fragen um Touristenflut

Was bedeuten solche Wachstumszahlen für ein einzelnes Land? Kann eine solche Gästezahl überhaupt absorbiert werden? Gerade beim ITB-Gastland Albanien?

Travelnews sprach während der ITB mit dem Schweiz-Albaner Saimir Shala, dem Gründer von Albanien Reisen. Ihm gefiel der Auftritt Albaniens an der Eröffnungsfeier und in der Halle 3.1. sehr. «Es war schön zu sehen, alle Touroperators und DMCs hier zu treffen und auch ihren Stolz zu sehen, hier Gastland zu sein. Wer hätte das vor einigen Jahren gedacht», sagt Shala.

Zana Cela (Direktorin National Tourism Organisation Albania) und Saimir Shala (Geschäftsführer, Albanien Reisen). Bild: zVg

Ob denn Albanien die vielen Touristen bewältigen könne? «Es wurden jüngst viele Strassen und Hotels gebaut, bald kommt in Vlora ein neuer Flughafen hinzu», sagt Saimir Shala, «der Service leidet da und dort aber schon, weil nicht genügend Fachkräfte verfügbar sind.» Zwar werde in die Ausbildung investiert, auch in Zusammenarbeit mit Schweizer Tourismusfachschulen, doch die Herausforderung, so viele Touristen zu bewältigen, sei gross. Dass nun Hotel- und Restaurant-Kräfte in Asien, etwa auf den Philippinen oder in Indien rekrutiert werden, sei schon nicht ideal bezüglich dem authentischen Erlebnis, das sich viele Albanien-Reisende wünschen.

Trotz den 12 Millionen Gästen halte sich der Overtourismus aber in Grenzen, stellt Shala fest. Die Touristen verteilen sich sehr gut im Land, viele wollen abgelegene, bergige Regionen erleben. Einzig im Juli und August sei der Run am Meer zwischen den Stränden Xamil und Saranda schon enorm, da brauche es teilweise zwei Stunden im Auto, um die Strecke von 10 Kilometern zurückzulegen.

Rezepte gegen Overtourism

Das Rezept, der enormen Touristenflut gerecht zu werden, klingt in den Gesprächen mit Tourismusverantwortlichen aus Albanien, Costa Rica, Peru, Südafrika, Portugal und der Schweiz identisch: das Gästeaufkommen auf verschiedene Regionen und noch weniger bekannte Tourismusorte umzuleiten, sie von den Hotspots teilweise wegzulocken.

Ob dies gelingt? Hier sind die Reiseländer gefordert, Verkehrsverbindungen, Übernachtungsmöglichkeiten und Aktiväten in den bisher noch weniger frequentierten Orten zu gewährleistern und diese Regionen verstärkt ins Rampenlicht zu stellen. Einfach ist dies nicht. Der gemeine Instagram-Tourist will nun mal im Zentrum von Lissabon stehen, in Kapstadt auf den Tafelberg, in Peru zum Macchu Picchu rauf oder an den Traumstrand von Xamil.

Die Wachstumsprognosen sind im internationalen Tourismus weiterhin enorm. Doch wie das Volumen reibungslos abzuwickeln ist, ist vielerorts noch eine offene Frage. Auch viele Flughäfen und die Flugstrassen über Europa sind an ihre Grenzen gekommen. Verspätungen und verspasste Anschlussflüge sind an der Tagesordnung, das System ist ausgereizt.

Abhilfe dank Daten

Spanien mit einer führenden Rolle im internationalen Tourismus und schon seit Jahren mit Overtourismus konfrontiert, sucht nach neuen Lösungswegen, um das Zusammenleben zwischen Einwohnern und Touristen zu verbessern. Wie Staatssekretärin Rosario Sánchez Grau an der ITB bekanntgab, investiert Spanien 3,4 Milliarden Euro in nachhaltige Massnahmen.

Eine der Massnahmen ist, eine Plattform für die wichtigsten Tourismusdaten zu schaffen und diese Daten zugänglich zu machen. Die Datenbasis soll Analysen und Prognosen erlauben, die bei der Besucherlenkung helfen sollen, ebenso bei der Bekämpfung illegaler Unterkünfte und der effektiveren Planung von Infrastrukturmassnahmen.

Nachhaltigkeit inklusive

Beim ITB-Kongress war die Nachhaltigkeit ein omnipräsentes Thema. Scott Wilson, der Chef von Sabre Hospitality, verwies bei seinem Speech auf aktuelle Zahlen, die besagen: 76 Prozent der Reisenden wollen nachhaltig unterwegs sein. Der Wille ist also da.

Der Wille ist da, grüner zu reisen, an der Umsetzung hapert's. Bild: TN

Aber der Preis bleibt bei der Reiseentscheidung die oberste Priorität, obwohl 50 Prozent behaupten, Nachhaltigkeit durchaus einen Einfluss auf Wahl des Reiseziels haben.

Doch unter dem Strich sind es eben bloss 6 bis 13 Prozent, bei denen der Faktor Nachhaltigkeit einen Einfluss auf die Buchungsentscheidung hat. Überraschend sind diese Zahlen ja nicht angesichts des dümpelnden Anteils von etwa einem Prozent jener Reisenden, die ihre CO2-Emissionen bei einer Flugreise kompensieren oder zusätzlich für Sustainable Aviation Fuel zahlen wollen.

Scott Wilson sagt zur Nachhaltigkeitsdebatte: «Nachhaltigkeit darf keine Zusatzoption sein – sie muss fester Bestandteil des Reiseerlebnisses sein, wenn wir eine echte Verhaltensänderung erreichen wollen.»

Nicht ohne KI

Spielerei oder Game Changer? Künstliche Intelligenz war ebenso ein dominierendes Thema an der ITB 2025. Als virtuelle Assistenz, als Texthilfe ist KI allgegenwärtig. Doch was kann KI künftig?

Die Nutzung künstlicher Intelligenz durch Agenten und personalisierte Reise-Apps sei ein wichtiger Zukunftstrend, sagte Charuta Fadnis von Phocuswright am ITB Kongress. Generative KI betreffe Anbieter und Kunden gleichermassen. Unternehmen, die generative KI bereits in die Online-Präsentation ihrer Angebote einbauen, können dadurch ihre Umsätze deutlich steigern. Als Beispiel nannte Charuta Fadnis den Anbieter Tripadvisor, der in den ersten drei Monaten nach Einführung eines interaktiven Angebots durchschnittlich dreimal so viel Umsatz pro Kunde erzielte wie mit normalen Tripadvisor-Kunden.

Künstliche Intelligenz könne das Leben der Reisenden aber nicht nur vereinfachen, sondern unter Umständen in Zukunft auch erschweren – etwa wenn sie dazu genutzt werde, zahlreiche Fake Reviews zu generieren und die Verbraucher zu Buchungen zu verleiten, mit denen sie im Nachhinein unzufrieden sind. Eine Möglichkeit, dies zu verhindern, sei die Kombination von generativer KI und Blockchain-Technologien, die eine zuverlässige Identifizierung der Nutzer ermöglichen und damit Missbrauch deutlich erschweren würden.

TUI zum Beispiel hat Künstliche Intelligenz schon in viele Abläufe integriert. Das Unternehmen hat einen KI-Assistenten für Mitarbeiter entwickelt. Konkret arbeiten 1500 verschiedene Agenten alle auf der Grundlage von Big Language Models, behalten die Daten aber im eigenen Haus. In 1200 Reisebüros werden KI-Assistenten nun bei der telefonischen Interaktion mit den Service-Mitarbeitern des Unternehmens eingesetzt und helfen, schneller zuzuhören und Fragen zu beantworten, wie André Exner, Analyseleiter der TUI Group an der ITB-Konferenz erläuterte.

Tourismus in Konfliktzeiten

Während in diesen Tagen der neue US-Präsident täglich für neue Schlagzeilen sorgt und die Weltgemeinschaft mit seinem unberechenbaren Stil verunsichert und offen lässt, was als nächstes wohl kommt, war die aktuelle Weltlage an der ITB ebenfalls eines der dominierenden Themen.

In zahlreichen Gesprächen und Reden schwangen die ungelösten Weltkonflikte mit, ebenso der zunehmende Populismus. Berlins Bürgermeister Kai Wegner betonte die verbindende Kraft des Tourismus: «In herausfordernden Zeiten kann das Reisen Menschen zusammenbringen und Vorurteile abbauen.» Er bezeichnete das Reisen als eine «Immunkur gegen Fremdenhass, Abschottung und Nationalismus» und hob hervor, dass Offenheit, Freiheit und Vielfalt keine kurzfristigen Trends, sondern dauerhafte Werte seien.

Dass die Tourismusgemeinschaft sehr freundschaftlich, neugierig, zugänglich und völkerverbindend ist, war diese Woche in Berlin in jeder Hotellobby, jeder S-Bahn Richtung «Messe Süd», in allen Messehallen zu spüren. Während sich auf der Welt vielerorts Gräben auftun, wird der Tourismus zweifellos auch künftig eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, andere und fremde Kulturen kennenzulernen und zu verstehen.

Und dass die touristische Arbeitswelt überaus bereichernd und verbindend ist und für viele gute Momente sorgt, haben diese Woche 100'000 Touristikerinnen und Touristiker, auch viele aus der Schweiz, einmal mehr erfahren. Hier sind die besten Bilder der ITB 2025: