Rail & Road

So stellt sich Kaspar P. Woker (Bild rechts) den neuen Genuss-Nachtzug «NighTrain» im Konzept vor. Illustration: Konrad Beck 12/2020/Bild zVg

«Das aktuelle Rollmaterial bringt keinen Imagewechsel im Bahntourismus zustande»

Jean-Claude Raemy

Kaspar P. Woker, der langjährige frühere Railtour-Chef, hat konkrete Vorstellungen dazu, wie ein Nachtzug künftig aussehen sollte. Travelnews hat sich mit ihm über die Zukunft der Nachtzüge unterhalten.

Nachtzüge sind derzeit wieder in aller Munde. In dieser Woche etwa kam die länderübergreifende Ankündigung neuer Nachtzugverbindungen quer durch Europa, welche bis 2024 eingerichtet werden sollen. Die Ankündigung der SBB, wieder im Nachtzuggeschäft mitmischen zu wollen, erfolgte aber bereits im Juni 2019 - und hat seither wegen Corona und der damit verbundenen Krise in der Luftfahrt durchaus nochmals Auftrieb und vermehrtes öffentliches Interesse gewonnen. Vor etwas mehr als einem Jahr gab es demnach auch eine spannende Veranstaltung unter Leitung von Bahnexperte Kurt Metz, bei welcher es um die Bedingungen der «Renaissance der Nachtzüge» ging. Travelnews war mit dabei, ebenso auch Kaspar P. Woker. Eine der wesentlichen Fragen damals drehte sich um das Rollmaterial, welches für diese Renaissance der Nachtzüge nötig sein würde. Diese wurde bislang ungenügend beantwortet, weshalb Woker nun ein Konzept für einen «NighTrain» ausarbeitete. Travelnews hat sich mit ihm darüber unterhalten.


Herr Woker, Sie haben kürzlich ein Konzept für einen «Nachtzug der Zukunft» vorgelegt. Wie kam es überhaupt dazu?

Beim Anlass der Bahnjournalisten vor einem Jahr erklärte mein Nach-Nachfolger Werner Schindler im Rahmen seiner Präsentation, dass Nachtzüge künftig «sexy» sein müssten. Dieser Meinung bin ich auch. Genügen den Fahrgästen die wenigen neuen und die aufgemotzten rund 1500 bestehenden Schlaf- und Liegewagen? Ich wage das zu bezweifeln. Einfach Züge mit langen Gängen und herkömmlichen Kabinen, also leicht modernisiertes 50-jähriges Rollmaterial, bringt keinen Imagewechsel im Bahntourismus zustande. Daher habe ich aus eigenem Antrieb ein Konzeptpapier erarbeitet.

Das geschah ohne Auftrag einer Bahn oder eines Rollmaterialherstellers?

Ja. Es geht darum, eine Idee zu «floaten», also die Entwicklung aktiv voranzutreiben. Wobei ich durchaus in Kontakt mit einigen Unternehmen und Organisationen stehe, etwas mit der Gruppierung Allrail oder auch mit diversen Unternehmensberatungen und Banken. Bei Letzteren geht es darum, diese - oder auch Pensionskassen - zu Investments in die Bahnzukunft zu bewegen. Es ist Venture-Kapital vorhanden, welches sinnvoll in eine gute Zukunft von Nachtzügen bzw. der Bahnmobilität allgemein investiert werden könnte. Für die Finanzierung der neuen Generation von Nachtzügen sind jedenfalls beträchtliche finanzielle
Mittel nötig.

Sprechen wir mal über das Konzept per se. Welches sind dabei Ihre Kernpunkte?

Die Kernidee ist eben, dass man von den engen und veralteten bisherigen Schlafwagen wegkommt, an denen offensichtlich aus Kostengründen noch festgehalten wird, hin zu einem «Genuss-Zug». Dies ist eine Komposition mit neuen Elementen. Ein «Muss» aus meiner Sicht ist hierbei eine rollende Reception mit perrongleichem Eingang, die nenne ich «Meeting Car». Hier wird ein- und ausgestiegen, komfortabel über den Niederflur-Eingang, und hier lässt sich auch das Gepäck deponieren - in die «Zimmer» nimmt man nur das Nachtgepäck mit. Das würde einerseits den Einstieg erleichtern, gerade auch für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, aber auch verhindern, dass zu viel grosses Gepäck mit in die Schlafabteile muss. Grössere Abteile sind aus Rentabilitätsproblemen kaum möglich.

Zum Schlafen sehen Sie ein «Rail-Hotel» und ein «Rail-Hostal» vor. Was hat es mit diesen auf sich?

Das Hostal orientiert sich an Jugendherbergen und ist die günstigere Variante, wo man sich näher am aktuellen Produkt bewegt. Es gibt Wagen mit Abteilen zu vier Liegen und  in einem doppelstöckigen Wagen in Fahrtrichtung drehbare Liegesessel, in beiden Varianten gibt es Duschräume/WCs im Wagen.

Das Hotel ist höherwertig und bietet Einzel-, Doppel- und Dreier-Minisuiten, eventuell erweiterbar mit Verbindungstüren, etwa für Familien. Hier sind Waschbecken und WC jeweils integriert. Mit dem Privat-WC kommt man der älteren Generation entgegen, da für sie WC auf dem Gange ein No-Go ist für eine Nachtreise im Zug.

Was ist mit der Verpflegung?

Es gibt natürlich einen «Dining Car», wobei reserviert werden muss. Dazu gehört im Meeting-Car eine Skybar für den Schlummertrunk mit Aussicht. Und dann gibt es noch einen «Service Car» - nicht für die Verpflegung, aber für die Unterbringung aller sperrigen Dinge wie Velos, Kinderwagen oder Surfbretter, wofür man den Abstellplatz reservieren kann. Ich sehe dort auch Möglichkeiten für eine Art Cargo-Geschäft, für die Beförderung von hochwertigem Expressgut, das allenfalls gekühlt sein müsste und wofür man Boxen einrichten könnte. Also etwa Blumen oder Medikamente. Dies aus der Beobachtung heraus, dass immer wieder Kuriere am Bahnperron stehen und in Zügen noch dringende Päckchen mitführen lassen, teils sogar beim Lokführer selber...

«Reisemittel müssen sich immer wieder neu erfinden»

Was sind weitere Erfolgsgaranten, aus Ihrer Sicht?

Zum einen braucht es die länderübergreifende Interoperabilität der Züge, zum anderen müssen die Züge auch moderne Features enthalten wie Anschlüsse für Mobilgeräte und leistungsstarkes Wlan. Dazu muss man komfortabel von einem Wagen in den nächsten kommen, statt durch sperrige Schiebetüren und Gummiwulste. Nicht zuletzt sind eine Fahrplangarantie und hohe Pünktlichkeit und natürlich ein gutes Marketing entscheidend.

Was ist mit dem Preis?

Es soll erschwinglich sein, allerdings ist der Preisdruck - gerade in Konkurrenz zum Flugzeug - inzwischen geringer als bisher. Neulich erklärte ja der abtretende Swiss-CEO Thomas Klühr, dass der Flugverkehr vielleicht nie mehr wie bis anhin sein werde und liess durchblicken, dass wegen dem Wegfall vieler Business- und First-Passagiere, welche bei 10-15% Passagieranteil über 40% der Erlöse ausmachten, nun die Economy-Tarife steigen würden. Schnell und billig innerhalb Europas irgendwohin zu fliegen wird nicht mehr so einfach sein wie bis anhin. Das ist eine Chance für die Bahn.

Es gibt aber auch bei den Bahnen «Billiganbieter» wie etwa Flixtrain.

Ja, für diese gibt es auch einen Markt, aber ich sehe sie weniger im Nachtzug-Segment, die von Ihnen angesprochene Firma dürfte sich auf Busse und allenfalls ihre Tageszüge konzentrieren. Es gibt aber durchaus Privatbahn-Anbieter, die künftig noch im Nachtzugsegment mitmischen könnten. Ich denke da etwa an die tschechische Leo Express oder die italienische Italo.

Das würde die Konkurrenz anheizen - was jeweils gut ist für erschwingliche Preise und auch für den Zwang zur Modernisierung.

So kann man das sehen. Aber eben, ein Genuss-Zug darf auch seinen Preis haben. Viele Reisende möchten nicht mehr nur befördert werden, sondern sich auch im Transportmittel als Gast fühlen. Was sicher ist: Der Bahntourismus hat noch viel Potenzial. Dieses optimal abzuschöpfen wird die Kunst sein. Beherberger wie Reisemittel müssen sich, um erfolgreich zu bleiben, immer wieder neu erfinden. Für die Bahn heisst das, nicht nur auf Hochgeschwindigkeit und Billigpreis zu setzen. Es gilt auch, der Reise im Privatwagen auf der verstopften Autobahn eine neue Reiseart entgegen zu stellen.