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SRV-Präsident Martin Wittwer äussert sich zur aktuellen Buchungswelle. Bild: TN

«Nach zwei Jahren Pandemie wollen die Leute wieder reisen»

Martin Wittwer, der Präsident des Schweizer Reiseverbands, freut sich über das grosse Buchungsaufkommen und spricht eine grosse Baustelle an.

Der Nachholbedarf sei riesig. «Die Buchungen schiessen hoch wie der Korken einer Champagnerflasche», sagt der Präsident des Schweizer Reise-Verbands, Martin Wittwer, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP. «Nach zwei Jahren Pandemie wollen die Leute reisen und lassen sich auch vom Ukraine-Krieg nicht davon abbringen.» Das Geschäft laufe sogar im Vergleich mit dem Vor-Coronajahr 2019 sehr gut.

Das klassische Badeferiengeschäft im Sommer habe das Niveau des Spitzenjahres 2019 sogar schon übertroffen. «Die Menschen wollen wieder ans Mittelmeer, vor allem Familien mit kleinen Kindern», sagt Wittwer. Und das nicht nur im Sommer – schon jetzt seien die Flugzeuge nach Mallorca, Zypern oder in die Türkei voll. Der Krieg in der Ukraine habe keinen direkten Einfluss auf das Reisegeschäft, sagt Wittwer: «Die Leute buchen ihre Ferien trotz der Krise und der tragischen Situation in der Ukraine.» Allerdings treibe der Krieg die Treibstoffpreise hoch, so dass die Flüge teurer würden.

Auf der anderen Seite habe der Krieg Auswirkungen auf jene Länder, die bei russischen Touristen beliebt gewesen seien: In Zypern, der Türkei oder Ägypten gebe es jetzt zusätzliche Bettenkapazitäten, weil die Gäste aus Russland in den Hotels fehlen würden, sagt Wittwer. Es gebe deshalb dort noch Platz für die Ferien im Sommer. Davon könnten Schweizer profitieren.

Anders sieht das laut Wittwer in Destinationen aus, die vor allem von Gästen aus Westeuropa besucht werden, wie beispielsweise Mallorca. Dort werden die Betten knapp. Zudem wird es auch bei Mietwagen oder Campern eng. Denn die Kapazitäten müssten nach dem Coronaloch erst wieder aufgebaut werden, sagt Wittwer. Deshalb seien die Preise für Mietautos oder Camper in die Höhe geschossen, nicht nur in Europa, sondern insbesondere auch in den USA und Kanada.

Fernreisen und Kreuzfahrten brauchen noch etwas Zeit

«Meine Empfehlung ist: Ich würde jetzt buchen und nicht warten. Die Preise werden sicher nicht günstiger», sagt der SRV-Präsident. Auch die Verfügbarkeit und die Auswahl nähmen für die Sommerferien ab.

Bei der Beliebtheit der Destinationen habe sich nichts verschoben. «Die Trends sind die gleichen geblieben.» Allerdings wachse das das klassische Badeferiengeschäft am Mittelmeer stärker als das Individualreisegeschäft. «Das Unbekannte, Ferne braucht noch etwas Zeit. Auch bei den Kreuzfahrten sehen wir noch nicht wieder das Niveau von 2019. Die Buchungen für Kreuzfahren ziehen wieder an, aber es wird für 2023 oder 2024 gebucht und noch weniger für das laufende Jahr.»

Dagegen ist der Tourismus mit Osteuropa am Boden. Bei den Reisespezialisten für dortige Angebote wie beispielsweise die Transsibirische Eisenbahn, Ostseekreuzfahrten oder Städtereisen finde kein Geschäft statt.

Zu wenige Mitarbeitende, um Buchungswelle zu bewältigen

Insgesamt dürfte die Schweizer Reisebranche im laufenden Geschäftsjahr im Schnitt ungefähr 90 Prozent des Stands von 2019 erreichen, schätzt der SRV-Präsident. «Im kommenden Jahr werden wir wohl wieder auf dem Niveau von 2019 sein.» Aber es gebe immer eine Unsicherheit: Der Krieg und Corona seien schwierig einzuschätzen.

Die grösste Herausforderung für die Branche sei, nach dem Aderlass in den letzten zwei Jahren wieder genügend Mitarbeiter zu finden, um die Buchungswelle zu bewältigen. Das gelte nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Ausland. «Auch die Hotels im Ausland müssen trainierte und motivierte Mitarbeiter bekommen», sagt Wittwer.

Es sei wie im Sport: «Wenn ich zwei Jahre nicht trainiert habe, habe ich ein Problem, mein Unternehmen wieder fit zu machen, jetzt wo das Geschäft wieder kommt.», sagt Wittwer. Die Angestellten in der Reisebranche müssten erfahren sein und sich auskennen. Und die Reiseunternehmen, die in den vergangenen zwei Jahren zudem nicht an der Technik gearbeitet hätten, dürften in Zukunft Probleme bekommen.

Trotz der Pandemie habe es keine Konkurswelle bei Reisebüros gegeben. Das sei auch der Unterstützung durch den Staat mit Coronakrediten, Härtefallgeldern und Kurzarbeitsentschädigungen zu verdanken. Es drohe auch keine Konkurswelle, wenn die Corona-Notkredite zurückgezahlt werden müssen, sagt Wittwer. Denn die wenigsten Firmen hätten die Kredite gebraucht. «Diese waren eine Sicherheit für die Unternehmen. Die Kleinunternehmen konnten dank Kurzarbeit und Kostenmassnahmen die Krise überstehen.»

(awp/nau.ch)