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Viele historische Bögen und Brücken, wie etwa die Ponte Pietra, stammen aus der Zeit der Römer und zeugen noch heute von deren Errungenschaften. Alle Bilder: Adobe Stock

Verona: Zeitlose Schönheit an der Etsch

Christian Haas

Julias Balkon, verwinkelte Altstadtgassen und prächtige Plätze: Wer die venetische Stadt mit der berühmten Opern-Arena besucht, taucht ein in ein historisches Theaterstück zwischen römischer Baukunst und italienischem Lebensgefühl.

Was gibt es Schöneres für Opernfans, als «Rigoletto», «Carmen» und andere Klassiker einmal an einem lauen Sommerabend unter freiem Sternenhimmel und obendrein in antiker Kulisse zu erleben? In der Arena di Verona, nach dem Kolosseum in Rom und dem Rundbau von Capua grösstes und besterhaltenes Amphitheater Italiens, ist genau das möglich. Jedes Jahr mutiert der mehr als 20'000 Zuschauer fassende Rundbau zur grössten Opernbühne der Welt.

Auch 2025 sorgen (bis 6. September) wieder bis zu 2000 Mitwirkende, gewaltige Chöre, grossartige Ballettszenen und erstklassige Besetzungen für einmalige Erlebnisse. Auf dem Programm der Opernfestspiele stehen indessen auch Konzerte und Ballettaufführungen (viel gelobt heuer: «Zorba the Greek»), wenngleich diese mitunter an anderen Stätten gespielt werden, etwa im Teatro Romano.

Zeugen einer Blütezeit

Und was, wenn man sich partout nicht für Kulturspektakel dieser Art interessiert – oder keine Karten mehr ergattert? Dann soll man sich die 138 Meter lange und 109 Meter breite Arena zumindest tagsüber ansehen. Aber Achtung: Während der Festspielzeit ist das Amphitheater ab Nachmittag für individuelle Besichtigungen gesperrt, also unbedingt vormittags planen. Rund um die Uhr zugänglich sind indessen andere Überbleibsel aus der Zeit der Römer, die Verona im 1. Jahrhundert vor Christus gründeten und in vielen Belangen stark förderten.

Jahrtausendealte Zeugen dieser Blütezeit sind einige historische Bögen und Brücken, etwa die Ponte Pietra. Die weist indessen auch Einflüsse der Skaliger auf, die im 13. und 14. Jahrhundert als «Herren von Verona» auftraten. Auch sie hinterliessen, wie später die Venezianer, architektonische Spuren, unter anderem den unweit der Arena und direkt an der Etsch befindlichen grössten Profanbau der Stadt: das mächtige Wehrschloss des Skaligerfürsten Cangrande II.

Die Arena di Verona ist nach dem Kolosseum in Rom und dem Rundbau von Capua das grösste Amphitheater Italiens.

Das massive Castelvecchio war generell das grösste Bauwerk der Skaligerzeit. Im Zweiten Weltkrieg wurden viele Teile der imposanten Anlage durch Bomben beschädigt, aber Ende der 1950er-Jahre restauriert und umgebaut. Durch einen gewaltigen Torturm kommen Besucher auf die schönste Brücke Veronas, die 120 Meter lange Ponte Scaligero. Auch diese wurde 1945 gesprengt, danach aber originalgetreu wieder aufgebaut. Mittlerweile ist in der Festung und der benachbarten Residenz das Kunstmuseum untergebracht, das Werke der frühen Veroneser Bildhauerei bis zur Malerei des Barock zeigt. Dabei handelt es sich um eine anschauliche Kunstgeschichte der Stadt, unter anderem mit Werken von Pisanello, Mantegna, Veronese, Rubens, Tintoretto und Tiepolo. Zum Repertoire gehören indessen auch einige hervorragende lebensgrosse Standbilder, allen voran der zwei Meter hohe «Lächelnde Ritter zu Pferde» aus dem 14. Jahrhundert, der im Original «Cangrande della Scala» heisst.

Schauplatz der bekanntesten Liebesgeschichte

Die international bekannteste Sehenswürdigkeit der 250'000-Einwohner-Stadt ist und bleibt jedoch ein Balkon. Der befindet sich in der Via Capello Nr. 23 und gehört zum Palazzo dei Capuleti, Julias Familie. Nicht irgendeiner, sondern derjenigen Julia, die William Shakespeare in «Romeo und Julia», der wohl populärsten Liebesgeschichte der Weltliteratur, verewigte. Angeblich soll in der Casa di Giulietta jene Capuleti-Tochter Julia gelebt haben, die sich dann in den Sohn der verfeindeten Montecchi-Sippe verliebte. Historisch verbürgt ist von der Legende zwar nichts, aber das interessiert das Publikum kaum. Erst recht nicht dass der Balkon, dem das Shakespear’sche Drama Unsterblichkeit verliehen hat, nachträglich und lediglich aus touristischen Zwecken angebracht wurde. Das zweistöckige gotische Haus mit jenem über dem reizenden Innenhof schwebenden Balkon ist jedenfalls beliebtes Pilgerziel für Romantiker aus aller Welt. Besonders begehrt (für Fotos und Selfies): die Julia-Statue darunter. Es heisst, wer die mittlerweile blank gewetzten Brüste der Figur streichelt, dem soll ewiges Liebesglück widerfahren. Eine ähnliche Wirkung versprechen sich offenbar die vielen kreativen Romantiker, die sich und ihren Angebeteten in Gestalt geritzter, gemalter, bepfeilter, grosser wie kleiner Herzen an den Wänden der historischen Räume sowie im Hof ein Denkmal setzten.

Pilgerziel im religiösen und architektonischen Sinn stellt hingegen die Basilika San Zeno Maggiore dar. Sie liegt zwar etwas ausserhalb des Stadtzentrums, ist aber definitiv einen Abstecher wert. Schliesslich zählt die im 12. Jahrhundert erbaute Kirche mit ihrem hohen Glockenturm und dem imposanten Kreuzgang zu den schönsten romanischen Kirchen Italiens. Zu Berühmtheit gelangten neben der gotischen Fensterrose an der Westfassade auch die Reliefs, die Szenen aus dem Leben Christi zeigen und das berühmte Altarbild von Andrea Mantegna.

Sehenswert sind auch die berühmten Bronzetüren mit ihren 48 Tafeln, die Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament sowie aus dem Leben des heiligen Zeno darstellen. Von der Hochzeit von Romeo und Julia gibt es keine bildlichen Zeugnisse, vermutlich weil sie (hier) nie stattfand. Die Legende hält sich dennoch hartnäckig …

Vom Castel San Pietro hat man einen wunderbaren Blick auf die gotische Kirche Sant’Anastasia an der Etsch.

Noch mehr Lust auf Kirchenkultur? Dann ab zur Basilica Sant’Anastasia an der Piazza Sant´Anastasia. Die von Dominikanern erbaute gotische Kirche ist die grösste der drei Stadtkirchen und für Kunstkenner ein Leckerbissen. Der Grund: ihre reiche Ausstattung an Fresken, Tafelbildern, Reliefs, Grabmonumenten und Altaraufbauten. Nummer Drei ist schliesslich der Dom Santa Maria Matricolare. Der beeindruckt hauptsächlich durch den zweigeschossigen Baldachinvorbau am Hauptportal und die beiden Kriegerfiguren, die angeblich Roland und Olivier, zwei Paladine Karls des Grossen, darstellen sollen.

Der stattliche Innenraum des auf den Fundamenten einer frühchristlichen Kirche aus dem 5. Jahrhundert errichteten Gebäudes ist geprägt von den darauffolgenden Umbauten. Gleich in der ersten Kapelle des nördlichen Seitenschiffs hängt die Darstellung von der Himmelfahrt Marias, die der Maler Tizian um 1540 schuf. Weitere Sehenswürdigkeiten sind das gotische Grabmahl der Hl. Agatha und die Fresken in der Chorapsis. Nach der Besichtigung der Kirche sollten Besucher noch der benachbarten Biblioteca Capitolare einen Besuch abstatten. In der im 4. Jahrhundert gegründeten und wohl ältesten kontinuierlich betriebenen Bibliothek Europas sind Handschriften aus dem 4. und 5. Jahrhundert mit wundervollen Miniaturen zu bewundern.

Verona von oben

Voll im Hier und Jetzt ist man bei einem Bummel durch die nahe und überschaubare Altstadt, die aufgrund ihres einheitlichen Stadtbildes von der Unesco zum Welterbe geadelt wurde. In den Gassen und ihren netten, kleinen Läden ist fast rund ums Jahr etwas los, insbesondere jedoch auf der zentralen Piazza delle Erbe, einem wunderschönen Marktzentrum mit (an Markttagen) nostalgischen Ständen und Buden.

Häuser aus dem 15. bis 17. Jahrhundert liefern dabei die malerische Kulisse des Marktplatzes, in dessen Mitte sich die Colonna del Mercato – die gotische Säule gilt als Wahrzeichen Veronas – erhebt. Kein Wunder, dass sich auf der Piazza Schaulustige, Strassenkünstler, Einkaufende und Touristen nur all zu gerne aufhalten, in einem der vielen (Outdoor-)Cafés lässt sich das Treiben auf angenehmste Weise erleben. Unser Tipp: zum Cappuccino unbedingt Pandoro bestellen, eine Veroneser Kuchenspezialität!

In den vielen Cafés der Altstadt lässt sich das bunte Treiben auf den Strassen besonders gut beobachten.

Wer sich einen Überblick verschaffen will, was Verona noch so zu bieten hat, steigt am besten auf den direkt an die Piazza angrenzenden, 84 Meter hohen Torre dei Lamberti. Von oben sieht man etwa die zwei mächtigen Tore Porta Borsari und Porta Leoni, einzige Überreste der einst mächtigen Stadtmauern, sowie diverse Palazzi aus der Renaissancezeit (Tipp: Die zweigeschossige Loggia del Consiglio mit ihren Arkaden ist besonders sehenswert, ebenso die Piazza dei Signori, an der sie sich befindet).

Im Hintergrund lassen sich die umgebenden Weinberge (die dazu führen, dass die Apero-Kultur in der Stadt stark ausgeprägt ist …) erblicken und in Veronetta auf dem gegenüberliegenden Etschufer der Giardino Giusti. Der im Renaissancestil errichtete, prachtvolle Park mit seinen schattigen Kieswegen, Grabdenkmälern, Brunnen, verfallenen Grotten und efeubewachsenen alten Pavillons eignet sich bestens für eine (längere) Pause – bevor es mit der Stadtbesichtigung weitergeht.