Here & There

Drinnen oder draussen in der Genfer Bodega: Hier wird bei einem Drink besprochen, was wirklich wichtig ist im Leben. Bilder: Der Internaut

Meine Lieblingsstrasse in Genf

Andreas Güntert

Vive la rue, vive le parc: In Genf vereinen sich eine Strasse und zwei Grünflächen zu einem starken Gesamtkunstwerk. Die Rue des Eaux-Vives – allez-y!

So nahe liegen globalisiert und unglobalisiert selten beisammen. Schauplatz Genf, Rive Gauche: Da ist einerseits die Rue du Rhône, eine der teuersten Strassen des Landes, vollgepflastert mit weltweit präsenten Champions wie Versace, Louis Vuitton und Prada.

Wer den Strang der Umsatz-Milliardäre ganz abschreitet und die Place des Eaux-Vives überquert, taucht ein in eine andere Welt. In die Welt der Rue des Eaux-Vives.

Starke Strecke Genf: Die Rue des Eaux-Vives, hier im Nachtmodus.

An der Rue des Eaux-Vives ist noch Platz für den kleinen Blumenhändler und das lokale Café, hier ist das Terrain für eingeborene und zugewanderte Friseure, Pizzaioli und Skater-Kids. Eine wahre Starke Strecke für kleine Stars, nur kurz unterbrochen vom Schweizer Grossverteiler Migros. Aber da drücken wir ein Auge zu.

Augen auf heisst es allerdings bei einer Besonderheit der Rue des Eaux-Vives, was übrigens «sprudelnde Wasser» bedeutet und sich von Quellen herleitet, die einst über dem Dorf «Eaux-Vives» lagen. Ja, wir haben es hier mit einem ehemaligen Dorf zu tun, das zwar längst Teil der Stadt ist, sich aber ein Stück Village-Life bewahren konnte. Und das führt uns zur Besonderheit dieser Starken Strecke: Angrenzend zur Strasse befinden sich mit dem Parc des Eaux-Vives und dem Parc La Grange zwei fantastische Grünflächen.

Ein Kaffeehalt

Die eine ganz starke und eindeutigste Adresse gibt es nicht an dieser Strasse. Gut aufgehoben ist man aber auf jeden Fall im Coffeeshop Chou oder im Café Luma. Sollte an Deinem Tag nun aber tolles Wetter herrschen, empfehlen wir – untypisch für diese Rubrik – ein leichtes Ausscheren. In drei Minuten bist Du unten am See, wo die Rotonde de Baby-Plage auf Dich wartet. Eine herrliche Terrasse, nah am See. Und gleich daneben liegt tatsächlich eine «Baby-Plage», ein kleiner (Sand)-Strand. Es ist eine «plage publique», also ein Sandbänkli ohne Eintritt. Keine Selbstverständlichkeit in einer ansonsten so teuren Stadt wie Genf.

Eine Mahlzeit

Das San Remo ist das, was ich ein «Schrotflinten-Restaurant» nenne. Nicht, weil dort geschossen wird. Sondern weil die Bewertungen auf Tripadvisor in alle Richtungen pfeifen. Die Bandbreite reicht von «ausgezeichnet» bis zu «unbedingt meiden».

Dort einkehren, wo die gute alte Zeit stehen geblieben ist – mindestens beim Interieur: im San Remo.

Mir gefält das Haus. Einerseits, weil die Portion Frites et Roastbeef gut, günstig und grosszügig bemessen war. Andererseits, und das ist fast wichtiger, hat das Haus einen echten Vintage-Einschlag. Es macht den Eindruck als hätte es schon vor dem Bau der Berliner Mauer ganz genau so ausgesehen wie heute. Ja, Du liest schon richtig. «Vor», nicht «seit» Bau der Mauer. Letztlich ist es Geschmackssache, ob man hier happy wird. Ich wurde es.

Ein Shop und noch ein Shop

Deko-Artikel, Brillen, Nippes, ein paar Modeteile: Die liebevoll eingerichtete Boutique Capricieuse ist voll von Dingen, die man eigentlich nicht braucht. Also Dinge, von denen man nie genug haben kann.

Die Galerie 123 ist ein Traum für all jene, die Plakate mögen. Perlen der Polit-Propaganda (auch und gerade aus Genf), Plakate aus den Gebieten Tourismus, Sport und Design – das gibts hier in Hülle und Fülle. Ein Fresssen für alle Vintage-Fans.

Man kann hier natürlich ziemlich viel Geld ausgeben. Aber es gibt hier auch Mitbringsel fürs kleine Budget: Eine sehr schöne Sammlung an Nostalgie-Postkarten beispielsweise. Bei solcher «Postalgie» greife ich immer wieder gerne zu, das Stück zu 1.50 Franken. Ja, man kennt hier auch Mengenrabatte bei höheren Stückzahlen.

Postalgie: Schwelgen in der Vergangenheit ergibt hübsche Mitbringsel. In diesem Falle Postkarten.

Genf liegt sehr nahe bei Frankreich. Unter anderem merkt man das daran, dass man hier auch mal andere Pommes-Chips zu essen bekommt als im Rest der Schweiz. Der grösste Teil des Landes wird von der Mega-Marke Zweifel dominiert. In Genf kannst Du auch mal fremdknabbern. Ein schönes Erlebnis, nicht übersalzen, bieten die Bio-Chips von Croustisud. Macht sich gut für jede Grill-Einladung. Gesehen im Bio-Markt Le Marché de Vie, 5.30 Franken die Packung (die Preise in Genf sind halt oft ziemlich gesalzen.).

Ein Park. Und gleich noch einer

Unsere heutige Starke Strecke ist ein Strassenstrang mit Umschwung. Und zwar gleich doppelt. Nahe am See gesellen sich der Parc des Eaux-Vives und der Parc de la Grange. Fussgänger nehmen die beiden Parkanlagen als eine einzige grosse grüne Piste wahr, die sich als wunderbares Ziel anbietet, wenn man mal dem Stadttrubel entkommen möchte.

Mittendrin im Park übrigens liegt eine zauberhafte Brasserie mit Terrasse. Im Sommer eine sehr lauschige Sache, auch für Gourmets geeignet. In allen anderen Jahreszeiten unbedingt vor dem Besuch die Öffnungszeiten checken!

Alles im grünen Bereich: Im Parc de la Grange mal eben tief durchatmen.

Ein Drink

Abends ist in den Nebenstrassen der Rue des Eaux-Vives einiges los bezüglich Nightlife. An unserer Starken Strecke würde ich für einen Drink die Bar La Bodega empfehlen. Oder etwas ruhiger und gepflegter: La Plancha an der Place des Eaux-Vives.

Ein Instagram-Moment

Unsere Starke Strecke eignet sich herrvorragend für spektakuläre Aufnahmen des Jet d’Eau. Bestens postiert ist man dafür an der Ecke Rue des Eaux-Vives und Rue du 31 Décembre. Hier gelingen, wenn es das Wetter gut meint, spektakuläre Seitenstrassen-Aufnahmen auf den gewaltigen Genfer Wasserstrahl, der mit 200 Stundenkilometern bis 140 Meter hochschiesst.

Der Jet d’Eau ist ein aufbrausender Nachbar der Rue des Eaux-Vives.

Die Anreise

Per Bus 6 vom Bahnhof Cornavin her nonstop zur Station Vollandes. Oder per Bus 9 sans arrèt an die Place des Eaux-Vives. Die schönste Variante aber: Zu Fuss über die Mont-Blanc-Brücke ins Eaux-Vives-Quartier spazieren. Also vom rive droite zum rive gauche rüber lustwandeln.

Rive Gauche, Genève: Die Rue des Eaux-Vives führt am Jet d’Eau vorbei zu zwei wunderschönen Parkanlagen.