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North Sentinel Island in der Andamanensee - hierhin hat sich noch kaum ein Tourist verirrt. Dieser wäre auch nicht willkommen. Doch kann dieses urtümliche Eiland langfristig ohne äussere Einflüsse bleiben? Bild: Googlemaps/© Google

Die gefährlichste Insel der Welt

Sie denken an militärische Sperrzonen, atomar verseuchte Inseln oder irgendwelche Felsen im Ozean? Es gibt eine Insel, vor deren Besuch selbst hartgesottenen Touristen abgeraten wird. Ein unbelehrbarer, westlicher Tourist versuchte es trotzdem.

Traumhafte weisse Strände, dicht bewaldetes Inland, eine hervorragende Lage im nördlichen Indischen Ozean zwischen der indischen Ostküste und der Westküste von Myanmar: Eigentlich müsste North Sentinel Island ein Touristenparadies sein. Es ist aber das genaue Gegenteil davon: Touristen sind auf der Insel – wie grundsätzlich alle Fremden – völlig unwillkommen. Das wird auch brachial umgesetzt: Wer sich der Insel nähert, ob per Boot oder Helikopter, wird mit Speeren und Giftpfeilen angegriffen.

Denn auf North Sentinel wohnen die Sentinelesen, ein Ureinwohner-Stamm, dessen genaue Grösse unbekannt ist und der jeglichen Kontakt zur Aussenwelt strikt ablehnt. Die Insel selber gehört zur Andamanen- und Nikobaren-Inselgruppe und damit rechtlich zu Indien, ist aber eigentlich komplett eigenständig und somit von der Welt abgeschnitten. Die Sentinelesen sprechen sogar eine eigene Sprache, welche undokumentiert ist und von niemandem ausserhalb der Insel verstanden wird.

Man könnte jetzt sagen, dass dies doch im Zeitalter von Overtourism einen gewissen Charme hat, wenn sich Eingeborene gegen externe Einmischung von Staat oder Tourismusindustrie auflehnen. Leider geht es aber um tödlichen Ernst, und zwar auf allen Seiten.

2006 wurden zwei Fischer, welche zu nahe an die Insel kamen, kurzerhand umgebracht. Seitdem hat Indien eine drei Seemeilen breite Sperrzone um die Insel eingerichtet und deren Besuch formell verboten. Befürchtungen gibt es aber auch um die Gesundheit der Sentinelesen, denn diese sind aufgrund ihrer Abgeschiedenheit kaum immun gegen allfällige importierte Krankheiten.

Auf dem Spiel steht aber grundsätzlich das Fortbestehen der Sentinelesen an sich. Denn auf der deutlich grösseren Nachbarinsel Andaman breitet sich der Tourismus markant aus - mit Unterkünften, Touren, Shops. Dort leben mit den Jarawa, den Onge und den Andamanen aber drei weitere Stämme, welche wie die Sentinelesen seit vermutlich über 50‘000 Jahren das Gebiet bevölkern und völlig autark, aber mit sehr traditionellen Methoden überleben. Das Problem: Deren Stammesgebiete werden von Touristenbussen durchquert. Nicht nur dies: Die Fahrten sind zu regelrechten «Menschensafaris» geworden, wo das «Erblicken von Wilden», die man «nicht füttern soll», gewissermassen als Attraktion angepriesen wird. Oder anders gesagt: Es macht sich ein Tourismus der üblen, menschenverachtenden Sorte breit. Kein Wunder: Wo sonst gibt es noch weitgehend unberührte Tropeninseln mitsamt eingeborenen «Wilden»?

Es könnte übel ausgehen

Das Problem ist wie immer dasselbe: Der (teils sicher auch romantisierte) «Wilde» sieht sich starken wirtschaftlichen Interessen ausgeliefert. Irgendwie liegt es auf der Hand, dass es übel ausgehen wird: Gibt es einen Übergriff auf Touristen, wird wohl das Militär oder sonst eine staatliche Ordnungskraft eingreifen. Und diese Chance ist real, weil ja bereits auf Andaman selber kaum mehr Rücksicht auf die Eingeborenen genommen wird. Dann wäre es vorbei mit dem ruhigen Leben der Einheimischen.

Allerdings muss man Indien auch zugute halten, dass es zumindest North Sentinel Island seine Autonomie zugesteht, und auf Andaman versucht, andere Verkehrswege zu erstellen, welche keine Stammesgebiete durchqueren. Aber eben, auf Andaman selber, wo es Städte, Strassen und eine (touristische) Infrastruktur gibt, wird es schwierig sein, die Interessen der Eingeborenen langfristig zu wahren. Ob auch North Sentinel Island, das gerade mal 30 Kilometer von Andaman  entfernt und damit geografisch kaum sehr isoliert ist, vom Tourismus letztlich eingeholt wird, kann man kaum sagen. Sicher ist nur, dass die Ureinwohner auch in den kommenden 50‘000 Jahren wohl keine All-Inclusive-Hotels bei sich sehen wollen. Dass die UNWTO formell beschlossen hat, ihre Kooperation mit Initiativen wie dem «Institute for Peace Through Tourism» aufzugeben, ist zumindest mal kein Schritt des globalen Tourismus in die richtige Richtung.

Wer auf Youtube nach North Sentinel Island sucht, wird diverse Videos finden, teils von zweifelhaftem Inhalt und zweifelhafter Qualität. Und diese Videos stillen genau jene fragwürdigen touristischen Gelüste nach Bildern der «Wilden» und liefern haarsträubende oder teils auch sarkastische Kommentare zu deren Angriffen mit Speer und Pfeil. Eine ordentliche, respektvolle Auseinandersetzung mit den Eingeborenen sieht anders aus. Deshalb haben wir bewusst auf die Verlinkung von solchem Bildmaterial verzichtet.

Podcast zu North Sentinel

Nur wenige Monate nach dem erstmaligen Erscheinen dieses Artikels auf Travelnews Mitte 2018, reiste ein junger Amerikaner trotz allen Warnungen nach North Sentinel. Vielmehr als touristische Neugier trieb diesen Mann namens John Chau missionarischer Eifer auf das Eiland.

Der True-Crime-Podcast «Zeit Verbrechen» hat der Reise und dem Tod von John Chau eine hörenswerte Episode (ab Minute 6:13 geht's los) gewidmet. Minutiös erzählt die Reporterin den Fall John Chau und von seiner Begegnung mit einem der sehr wenigen «unkontaktierten Völker» der Welt, einem Volk, das noch lebt wie ein Urvolk.

Link zum Podcast auf www.zeit.de oder spotify.com.

(EMY/SER)