Trips & Travellers
«Ab und zu auch einmal anzuecken, kann nicht schaden»
Reto SuterÖsterreich zählt seit Jahrzehnten zu den liebsten Ferienzielen der Schweizerinnen und Schweizer. Doch der Markt ist im Wandel. Wie bleibt die Alpenrepublik attraktiv, wo liegen die grössten Chancen, und weshalb setzt Österreich Werbung heute mutiger denn je auf neue Töne? Darüber spricht Astrid Steharnig-Staudinger, Geschäftsführerin der Österreich Werbung, im Interview mit Travelnews.
Frau Steharnig-Staudinger, die Schweiz spielte zu Beginn Ihrer beruflichen Karriere eine grosse Rolle. Erzählen Sie!
Astrid Steharnig-Staudinger: (schmunzelt) Tatsächlich hat meine Laufbahn in der Schweiz begonnen – und zwar auf ziemlich bodenständige Weise. Als Teenager absolvierte ich mein allererstes Praktikum in einem edlen Lokal im Zürcher Niederdorf. Eine meiner Aufgaben war es, die Tische mit einem Handstaubsauger von Krümeln zu befreien (lacht). Diese Erfahrung war prägend. Ich habe die Basis von Grund auf gelernt und das hilft mir bis heute. Gerade, wenn es um Glaubwürdigkeit geht.
Welche Bedeutung hat der Schweizer Markt für den Tourismus in Österreich?
Die Schweiz ist für uns ein zentraler Quellmarkt – nach Deutschland und den Niederlanden der drittstärkste ausländische Markt. 2016 zählten wir 5,6 Millionen Logiernächte von Schweizer Gästen, im vergangenen Jahr waren es 4,4 Millionen.
2024 war für Österreich ein Rekordjahr. Wieso haben die Schweizer Gäste mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten?
Ein wesentlicher Grund liegt vermutlich in der Pandemie: Viele Schweizerinnen und Schweizer haben damals Ferien im eigenen Land gemacht, die Schweiz neu entdeckt – und dieses Verhalten teilweise beibehalten. Ein ähnlicher Effekt war auch bei uns in Österreich zu beobachten. Nun sehen wir, dass sich dieser Trend langsam abschwächt. Das stimmt uns optimistisch, dass Schweizer Gäste künftig wieder vermehrt zu uns reisen.
«Schweizer Gäste geben im Schnitt 244 Euro pro Tag und Person aus»
Welchen Stellenwert haben ausländische Gäste generell in Österreich?
Einen sehr hohen. Über 70 Prozent aller Übernachtungen stammen aus dem Ausland – deutlich mehr als in der Schweiz. (Anm. d. Red. Bei den Logiernächten in der Schweiz liegt der Anteil ausländischer Gäste bei rund 50 Prozent).
Warum sind Schweizer Gäste für Österreich besonders attraktiv?
Weil sie eine ausserordentlich hohe Wertschöpfung generieren. Schweizer Gäste geben im Schnitt 244 Euro pro Tag und Person aus – deutlich mehr als Gäste aus anderen Märkten. Deutsche Reisende beispielsweise kommen auf durchschnittlich 183 Euro. Da wir uns zunehmend von der reinen Quantität lösen und den Fokus stärker auf Qualität und Wertschöpfung legen, ist der Schweizer Markt für uns ein wichtiger Wachstumsmarkt. Nach wie vor werden die reinen Übernachtungszahlen kommuniziert. Ich würde mir allerdings wünschen, dass künftig die Wertschöpfung stärker im Vordergrund steht.
Was schätzen Schweizerinnen und Schweizer besonders an Ferien in Österreich?
Es ist die Kombination aus exzellenter Hotellerie im Vier- und Fünf-Sterne-Segment, ausgezeichneter Kulinarik, vielfältiger Natur, Bewegungsangeboten und hochwertigen Wellness-Erlebnissen. Diese Dichte an Qualität findet man international nur selten.
Wo sehen Sie das grösste Potenzial im Schweizer Markt?
Zum einen intensivieren wir unsere Aktivitäten in der Westschweiz. Zum anderen möchten wir die Zielgruppe verjüngen – aktuell liegt das Durchschnittsalter unserer Schweizer Gäste bei 52 Jahren. Dazu sprechen wir die Schweizerinnen und Schweizer mutiger und mit einem Augenzwinkern an. Wir wollen jüngere Menschen stärker inspirieren, Österreich als vielseitige Destination zu entdecken.
Was bedeutet das konkret?
Wir haben bereits damit begonnen – etwa mit unserer aktuellen Winterkampagne, in der wir Tradition und Innovation spielerisch verbinden. So haben wir Kaiserin Sisi als KI-Avatar neu interpretiert, um zu zeigen: Österreich kann beides – das Klassische und das Zeitgeistige. Auch mit der Kampagne «No Ski Instructor» im vergangenen Jahr wollten wir bewusst darauf aufmerksam machen, dass der Winter in Österreich weit mehr bietet als nur Skifahren. Im kommenden Jahr gehen wir noch einen Schritt weiter und lancieren ein eigenes Festival in der Schweiz, das gezielt junge Zielgruppen anspricht. Dafür arbeiten wir mit Künstlerinnen und Künstlern zusammen, die ein modernes, junges Österreich verkörpern – ergänzt durch starke kulinarische Akzente. Diese Kombination hat sich bereits in Deutschland und Frankreich bewährt.
Österreich Werbung arbeitet für ein ganzes Land – aber jedes Bundesland hat eigene Interessen. Wie halten Sie alle unter einem touristischen Dach?
Mit viel Fingerspitzengefühl – und mindestens ebenso viel Kooperation. Wir setzen auf Themen, die das ganze Land verbinden: Bewegung, Erholung, Kunst und Kultur sowie Kulinarik. Das Schöne ist: Diese Schwerpunkte finden sich nicht nur in den Städten wieder, sondern genauso in den ländlichen Regionen. So schaffen wir Allianzen, hinter denen alle stehen können. Unser Prinzip lautet: gemeinsame Themen definieren, die alle einen – und dann konsequent zusammen diesen Weg gehen.
Ist der Winter- oder der Städtetourismus zahlenmässig wichtiger?
Das kann man so nicht vergleichen, denn Wintertourismus schliesst Städtetourismus auch mit ein. Österreich verfügt mit Wien über ein starkes städtetouristisches Zugpferd. Andere Städte wie Bregenz oder Innsbruck sind charmante Schmuckkästchen. Sie ziehen zwar ebenfalls ein breites Publikum an, haben jedoch nicht die gleiche internationale Strahlkraft wie Wien.
Wenn Sie den österreichischen Tourismus in einem Satz zusammenfassen müssten – was ist das Besondere, das kein anderes Land bieten kann?
In unserer Gelassenheit und Unbeschwertheit Lebensgefühl zu vermitteln – das zeichnet uns aus. Denn schöne Berge gibt es vielerorts, aber unser Zugang dazu ist unverwechselbar (schmunzelt).
Welche Gross-Events prägen das Tourismusjahr 2026?
Wir blicken bereits auf ein ereignisreiches Jahr zurück – etwa mit der Ski-WM in Saalbach-Hinterglemm – und 2026 geht es fast nahtlos weiter. Das grösste Highlight ist ohne Zweifel der Eurovision Song Contest im Mai in Wien, der Musikmetropole der Welt, wo ein spektakuläres Rahmenprogramm geplant ist. Zudem nutzen wir die Olympischen Winterspiele im benachbarten Italien, um Österreich prominent zu präsentieren: mit einem eigenen Österreich-Haus, in dem wir unsere Gastfreundschaft, Kulinarik und Kultur erlebbar machen. Internationale Medien sind eingeladen, diese Momente mit uns zu teilen – und sich im besten Fall ein Stück weit in Österreich zu verlieben.
Zehn Jahre nach dem letzten Eurovision Song Contest in Österreich: Wie lässt sich der Event dennoch neu erfinden?
Die Welt hat sich in den vergangenen zehn Jahren rasanter verändert als je zuvor – höchste Zeit also, auch Österreich zeitgemäss neu zu inszenieren. Tradition und liebgewonnene Klischees werden natürlich ihren Platz haben, aber wir werden sie mit einem Augenzwinkern interpretieren und frische Akzente setzen. Mehr möchte ich an dieser Stelle noch nicht verraten.
«Unser Ansatz lautet: Fakten statt Mythen»
Wie hat sich die Rolle der Österreich Werbung in den vergangenen Jahren verändert?
Wir haben uns als Organisation in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Themen wie Innovation, Nachhaltigkeit und künstliche Intelligenz treiben uns an – besonders, wenn es darum geht, Touristenströme sinnvoll zu lenken. Ein grosser Vorteil ist, dass wir als einziges Land weltweit die Tourismusakzeptanz messen: Nur sieben Prozent der Bevölkerung sehen den Tourismus kritisch, was zeigt, wie breit der Rückhalt für unsere Arbeit ist. Gleichzeitig sind wir uns dieser Verantwortung bewusst und pflegen den Dialog mit der Bevölkerung. Insgesamt treten wir heute internationaler, moderner und deutlich mutiger auf als früher.
Heisst das, Österreich Werbung zeigt sich bewusst pointierter – manchmal auch provokativ?
Ja, durchaus. Ab und zu auch einmal anzuecken, kann nicht schaden. Man muss uns spüren – das ist unser Anspruch, innerhalb der Branche genauso wie nach aussen. Schöne Fotos allein reichen nicht mehr; davon gibt es tausende, und KI produziert heute mühelos perfekte Bilder. Wir stehen im Wettbewerb mit alpinen Nachbarländern und mit Destinationen rund ums Mittelmeer. Deshalb legen wir ein höheres Tempo vor, treten selbstbewusst auf und agieren mutiger als früher.
Wie erklären Sie sich die hohe Akzeptanz des Tourismus in Österreich?
Unser Ansatz lautet: Fakten statt Mythen – insbesondere beim viel diskutierten Thema Unbalanced Tourism. Wir zeigen transparent auf, wie die Situation tatsächlich aussieht, und suchen aktiv den Austausch, etwa mit den Medien. In den Regionen machen wir klar sichtbar, welchen konkreten Beitrag der Tourismus zur Wertschöpfung leistet. Viele Gemeinden wissen: Ohne Tourismus gäbe es manches Angebot – vom Kinderspielplatz bis zum Schwimmbad – schlicht nicht. Diese Form der Aufklärung schafft Vertrauen und Goodwill. Gleichzeitig bleibt es wichtig, kontinuierlich daran zu arbeiten, denn der weltweite Tourismus wächst jährlich um drei bis fünf Prozent.
Wann und wo sind Sie in Österreich auf Reisen letztmals staunend stehen geblieben?
Mich beeindrucken immer wieder die vielen Familienbetriebe in der Landwirtschaft, die mit grossem Engagement für eine hochwertige Kulinarik stehen. Am stärksten geerdet fühle ich mich jedoch bei Waldspaziergängen mit meinem Vater in meiner Heimat Kärnten.