Trips & Travellers

Der Mensch sieht hier viel beruhigendes Grün in der Natur. Der Esel sieht hier, das liegt in der Natur seiner Sache, eine anregende Futter-Gelegenheit. Bild: Internautin

Eselwandern in den Pyrenäen – die fünf Learnings

Andreas Güntert

Mit einem Langohr wandern gehen ist nicht immer einfach. Aber es wirkt immer bereichernd. So wird Eseltrekking zum beglückenden Ereignis.

Wandern in der Stadt, wandern auf dem Land, wandern von der Stadt aufs Land hinaus oder zurück – das mag der Internaut. Gern auch in Gesellschaft lieber Menschen.

Etwas weniger Erfahrung hatte ich bisher mit Wanderungen in Tierbegleitung, doch das hat sich geändert. Im Herbst 2025 bin ich mit Esel Shrek vier Tage lang durch die lieblichen Hügel und Täler der französischen Pyrenäen gewandert. Stets an meiner und Shreks Seite: die Internautin, eine veritable Eselversteherin und Eselflüsterin.

Eselwandern ist nicht leicht, aber bereichernd

War das Eselwandern immer leicht? Überhaupt nicht. Aus Gründen, die wir weiter unten erwähnen und vertiefen, wird ersichtlich, dass einem eine Eselkameradschaft auf manche Probe stellen kann. Vor allem auf eine Hauptprobe.

War es schön, mit dem Grautier auf Wanderschaft zu gehen? Auf jeden Fall. Die Tour war nicht nur berührend, sie war beglückend. Und bereichernd auf jeden Fall.

Das sind die fünf Dinge, die ich beim Wandern von Esel Shrek gelernt habe:

1. Wisse, wer deine wahren Freunde sind

Zu Beginn war es schon ein wenig irritierend: Kein einziges Mal grüsste uns unser Leih-Esel mit dem berühmten Eselschrei «I-aah». Nicht am Morgen, wenn wir ihn von der Weide holten, nicht am Abend, wenn wir ihn striegelten und seine Hufe reinigten. Einfach nie.

Nur einmal liess Shrek seinen kehligen Signature-Sound erklingen. Als er auf dem heimischen Hof ein paar seiner rund 30 Kumpels erblickte. Dass der Esel ein geselliges Tier ist, wusste ich. Was ich zusätzlich lernte: Behalte die persönlichsten Dinge für deine wahren Freunde auf.

2. Sag ja zum Kompromiss. Aber nicht zu jedem

Am liebsten würde so ein Esel wohl an Ort und Stelle verharren und ständig fressen (siehe dazu weiter unten). Aber weil Shrek ein gutmütiges Grautier ist, sagt er ja zum Eselwandern. Einer von vielen Kompromissen, die er eingeht. Weil er auf Wanderung mit Menschen unterwegs auch ständig von Fliegen bestürmt wird, weil er die Utensilien der Wanderer trägt und weil er als geselliges Herdentier, das er nun mal ist, beim Wandern mit Menschen tagelang weg von seinen Kumpels ist.

Eselwandern in den Pyrenäen, bitte recht freundlich: Shrek (links) und der Internaut. Bild: Internaut

Jeden Kompromiss geht er aber nicht ein – auch nicht, wenn ihm dafür viel Futter gereicht wird. Wenn ihm unterwegs auf Eselwanderung ein Abstieg zu steil erscheint oder eine Brücke zu unsicher, dann tut er genau das, wofür er landläufig bekannt ist: er blieb einfach stehen. Ist das störrisch, ist das stur? Nein, das ist klug – meistens jedenfalls.

3. Schätze es, wenn Du unterschätzt wirst

Er sei störrisch und halsstarrig, stur und unterwürfig und dumm. So lauten die gängigen Vorurteile zu Eseln, immer auch im Vergleich zum Pferd. Einmal abgesehen davon, dass das so nicht stimmt – der Internaut empfiehlt diese lesenswerte «Bilanz»-Story zum Vergleich zwischen Pferd und Esel – ist es vielleicht eine gar nicht so schlechte Strategie, ständig unterschätzt zu werden.

Wer ständig unterschätzt wird, liefert sehr oft Ergebnisse, die rundherum erstaunen, weil man das diesem Tier (oder dieser Person) nicht zugetraut hätte. Mir scheint das eine typische Swissness-Eigenschaft zu sein: «Underpromise and Overdeliver». Oder auf Deutsch: Mehr liefern als Du versprichst. Auf dem Eseltrekking in der Natur – und im ganzen (Arbeits-)Leben.

4. Zügle Deinen Appetit

Wir kommen jetzt zu jenem Thema, das den menschlichen Wandersleuten in der Esel-Partnerschaft sehr viel Geduld abverlangt: Der ewige Hunger des Langohrs. Vom Pyrenäen-Esel heisst es, dass er 18 Stunden am Tag am Fressen sei. Unser 350-Kilo-Prachtkerl jedenfalls hielt beim Eselwandern gefühlt alle fünf Minuten inne, um links und rechts des Weges zu futtern.

Als besonders deliziös empfand Shrek auf Eselwanderung grundsätzlich alles in Handelsfarbe Grün, ganz speziell aber halbverfaulte faustgrosse Holzäpfel sowie das drüsige Springkraut, auch Bauernorchidee genannt. Die Bauernorchidee, das lass Dir sagen, ist häufig anzutreffen in den französischen Pyrenäen, sehr häufig sogar.

Esel Shrek bei seiner Lieblingsbeschäftigung: All you can eat. Bild: Internautin

Das Eseleinzelexemplar – also zum Beispiel unseren Shrek – kann man für die perpetuelle Fresssucht nicht verantwortlich machen. Denn das Grautier, so habe ich nachgelesen, verfüge generell über kein natürliches Sättigungsgefühl. So will es die Natur.

Der Esel frisst immer, weil er immer fressen muss. Und schlingt im farblich grünen Bereich alles runter, was ihm über den Weg läuft. Die Welt ist den Eseln ein grosses Buffet. Meine reziproke Lehre daraus: ich möchte mein natürliches Sättigungsgefühl besser spüren. Bei der Futteraufnahme möchte ich im grünen Bereich bleiben.

5. Leadership lernen beim Eselwandern

Zum Gamechanger in unserem Umgang mit Esel Shrek kam es auf unserem Eseltrekking schon am zweiten von insgesamt vier Wandertagen. Plötzlich stand das Tier still und wollte sich keinen Zentimeter mehr bewegen. Was uns am stärksten alarmierte: Nicht einmal fressen wollte der Esel noch.

Wir sattelten das Gepäck ab, machten es leichter und sattelten es neu auf. Liebkosten, putzten und striegelten das Tier. Beschafften weitere Holzäpfel, in Shreks Lieblingsvariante der edelschimmligen Art. Nichts half. Der Esel blieb stehen. Unser Projekt Eselwandern war zu einem jähen Stopp gekommen.

Wir mussten die Esel-Vermieterin anrufen. Und lernten schnell, was hier angesagt war. Der Esel, mutmasste die Dame, wolle uns testen. Um herauszufinden: Wer ist hier der Boss? Dass man der Boss sei, so die Eselflüsterin, demonstriere man dem Esel damit, dass man eine Haselnussstrauchrute durch die Luft sausen lasse und so Autorität demonstriere. Verbunden mit einem energischen «Allez!»-Ruf.

Wir sausten und wir riefen. Und siehe da: Der Esel bewegte sich wieder. Die Eselwanderung konnte fortgesetzt werden. Mein Learning daraus: Zeige Leadership in jener Art, wie es das Zielpublikum am ehesten akzeptiert. Und zwar so, dass die Beziehung darunter nicht leidet, sondern wächst.

Mein Fazit

Wer Tiere mag und sich auf eine Esel-Menschen-Beziehung einstellen kann, wird auf einem Eseltrekking magische Momente verspüren und für lange Zeit bewahren. Etwa dann, wenn der Esel als Zeichen der Zuneigung seinen Kopf beim Zweibeiner überall zwischen Oberschenkel, Hüfte und Ellenbogen reibt. Was dann auch zu einer recht erdigen Duftnote führt, die ich hier einmal Eau de l’âne nennen möchte.

Kommt dazu: Weil der Esel das Gepäck der Wandersleute trägt – in unserem Falle maximal 30 Kilogramm – wird das Wandern selbst zu einer entspannenden Tätigkeit. Genau so, wie wenn man anderswo beim Wandern auf einen Gepäckservice zählen kann. Vor allem auch mit Kindern, die in vielen Fällen aufsitzen können bei den Eseln.

Auf einer Eselwanderung hat man viel Zeit und Gelegenheit, Vorurteile zu prüfen und sich selbst in Stress-Situationen zu erleben. Etwa, wenn es beim Eseltrekking aufgrund dringender Futteraufnahme zur gefühlt tausendsten Unterbrechung kommt: Wer hat beim Eselwandern mehr Geduld – Mensch oder Tier? Wie zeigt man Führungsstärke, die beide Parteien weiterbringt?

Im optimalen Falle ist es so, dass der Zweibeiner das zum Vierbeiner sagen kann, was ich zum Schluss der Eselwanderung sagen durfte: Esel, es war mir ein extragrosses Vergnügen. Shrek, Du bist mein Life Coach.