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Wenn das Handgepäck nicht in die Kabine passt: Ein Groundhandler liefert zu sperrige Koffer Richtung Frachtraum. Bild: TN

Wie Schweizer Airline-Profis das Handgepäck-Problem lösen würden

Reto Suter

Kofferstau in der Kabine, genervte Crew, verspäteter Abflug: Das Boarding wird für viele zum Nervenkrimi. Vier Schweizer Branchenkenner verraten in einer Travelnews-Umfrage, mit welchen Massnahmen das Einsteigen künftig reibungsloser ablaufen könnte.

In der Schweiz stehen die Sommerferien vor der Tür. Viele zieht es mit dem Flugzeug in die Ferne. Doch die Reiselust bringt auch ihre Tücken mit sich. Besonders beim Boarding wird’s oft eng: Wenn Passagiere ihre halbe Wohnung als Handgepäck mit an Bord schleppen, geraten selbst Vielflieger ins Schwitzen.

Die Folge: Verzögerungen beim Einsteigen, gestresste Flight Attendants – und im schlimmsten Fall ein verpasstes Startfenster, was den Ferienauftakt für alle vermiest. Klar ist: So kann’s nicht weitergehen. Airlines wie die Swiss setzen bereits auf grössere Gepäckfächer, doch das allein löst das Problem nicht.

Travelnews hat bei vier Schweizer Airline-Profis nachgefragt, wie sie das Problem lösen würden. Die Antworten zeigen: Ein einfacher Weg aus dem Handgepäck-Dilemma ist nicht in Sicht – aber Ideen gibt es viele.

Sandro Schaaf, General Manager Switzerland bei Aviareps

Für Sandro Schaaf steht fest: Der Boarding-Frust lässt sich nur mit einem Mix aus klarer Struktur, Technik und besserem Verhalten lösen. «Das A und O beim Einsteigen ist ganz klar die Reihenfolge – von hinten nach vorne – und ein vernünftiger Umgang mit dem Handgepäck», sagt er.

Doch die Realität sehe oft anders aus: «Da sitzt jemand auf Platz 24 und blockiert das Gepäckfach von Reihe 9 – das sorgt für unnötiges Durcheinander, beim Boarding ebenso wie beim Verlassen der Maschine.»

Schaaf plädiert dafür, dass die IATA verbindliche Richtlinien für Handgepäckmengen und -masse definiert – trotz der Herausforderung, dass Flugzeugtypen unterschiedliche Kapazitäten aufweisen. Zusätzlich schlägt er konkrete digitale Lösungen vor: etwa ein verpflichtendes Kästchen beim Online-Check-in, mit dem Reisende bestätigen, dass ihr Handgepäck den Vorgaben entspricht – inklusive Zustimmung zu möglichen Zusatzgebühren. Auch eine App zur Vermessung des Gepäcks per Smartphone sei denkbar und würde Prozesse vereinfachen.

Ein weiterer Vorschlag: «Jeder Sitzplatz bekommt sein klar zugewiesenes Gepäckfach – was nicht reinpasst, gehört unter den Vordersitz.» So würde unnötiges Umräumen vermieden und das Boarding entspannter und effizienter ablaufen.

Remo Weidmann, General Manager Flights bei Holiday Partner

Warum ist der Boarding-Prozess oft das Nervigste an einer Flugreise? Für Remo Weidmann liegt die Antwort auf der Hand: «Ungeduld und Egoismus lassen grüssen», sagt er trocken.

Doch nicht nur die Passagiere seien schuld. Auch die Fluggesellschaften hätten sich mit ihren kaum mehr durchschaubaren Tarif- und Handgepäckregeln selbst ein Bein gestellt. «Wer weiss denn noch genau, ob sein Gepäckstück nun klein genug, leicht genug oder überhaupt erlaubt ist?» Die Einteilung in Gruppen ist laut Weidmann eigentlich eine gute Idee – wenn man denn verstehen würde, nach welchem Prinzip sie funktioniert.

«Gefühlt folgt das eher einem geheimen Kreativitätsalgorithmus als einem logistischen Konzept.» Sein Vorschlag: Einfach – und wirkungsvoll – wäre das Boarding von hinten nach vorne. «Wie beim Parkieren – nur eben in der Luft.»

Ein Schritt in Richtung Besserung wäre gemäss dem Airline-Profi ein Tarifsystem, in dem das Aufgabegepäck wieder selbstverständlich enthalten ist. «Aber das ist wohl eher ein nostalgischer Wunsch als eine realistische Aussicht.» Im Gegenteil: Weidmann erwartet, dass bald auch Handgepäck-Tarife noch weiter unterteilt werden. «Der Fantasie der Tarifdesigner sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt.»

Ganz aufgeben will er die Hoffnung dennoch nicht. «Der gezielte Einsatz von KI könnte helfen, Boarding-Prozesse effizienter zu gestalten – erste Systeme sind bereits im Einsatz.» Nur beim Faktor Mensch bleibe die Herausforderung bestehen: «Denn das Verhalten der Passagiere lässt sich nicht per Algorithmus optimieren – da hilft nur noch: natürliche Intelligenz.»

Marc Zinniker, Schweiz-Direktor bei Aerticket

Marc Zinniker findet: «Das Einsteigen nach Gruppen hat sich etabliert und funktioniert in den meisten Fällen reibungslos. Wichtig sei dabei vor allem eines: Klarheit für die Passagiere – und kein unnötiger Mehraufwand.

Bei den Tarifen spricht sich Zinniker für Augenmass aus. Dass Flugpreise ohne Aufgabegepäck heute Standard sind – selbst auf Langstreckenflügen –, sieht er nicht als Problem, sondern als Ausdruck veränderten Konsumverhaltens. «Diese Tarife werden aktiv nachgefragt», betont er.

Anders sieht es mit Handgepäck aus: «Tarife ohne inkludiertes Handgepäck würden die Abläufe unnötig verkomplizieren – das braucht es wirklich nicht.»

Statt an der Tarifschraube zu drehen, setzt Zinniker auf pragmatische Lösungen. Eine davon ist bereits im Gang: grössere Gepäckfächer in der Kabine – wie sie etwa bei der Swiss eingeführt werden. «Das ist sicher ein Ansatz, der hilft, das Platzproblem in den Griff zu bekommen – ohne die Passagiere zusätzlich zu belasten.»



Thomas Frischknecht, Gründer von 2assistU

Thomas Frischknecht kennt das Boarding aus Theorie und Praxis – und er weiss: Ganz so einfach, wie es auf Papier aussieht, ist es selten. «Es gibt verschiedenste Boarding-Methoden – von Wilma (Window-Middle-Aisle) bis hin zum Einsteigen von hinten nach vorne», sagt er.

Selbst bei wissenschaftlich begleiteten Simulationen mit dynamischer Sitzplatzvergabe habe sich der Zeitgewinn in engen Grenzen gehalten. «Am effizientesten wäre das Boarding über zwei Türen – das funktioniert aber nur auf sogenannten Open Stands, also fernab des Terminals», so der frühere Belair-CEO.

Ein realistischer Hebel wäre für ihn: weniger Handgepäck an Bord. «Ganz ohne geht’s nicht – aber Anreize zur kostenlosen Gepäckaufgabe würden schon viel helfen», sagt er. Zudem sei es zentral, dass bestehende Boarding-Konzepte wie das Zonenboarding technisch besser unterstützt und konsequenter umgesetzt würden – etwa durch clevere Gates oder gut integrierte Apps.

Und dann erlaubt sich Frischknecht doch noch einen Seitenhieb auf das Chaos an der Flugzeugtür: «Am effizientesten wäre es, die Passagiere vorab in Container zu setzen – und diese dann einfach ins Flugzeug zu laden», sagt der Airline-Profi mit einem Augenzwinkern.