Trips & Travellers

Koffer-Einblicke: Was Reisende so alles einpacken
Christian HaasAlltag am Flughafen: Einsam drehen Koffer, Rucksäcke, Reisetaschen oder Trolleys ihre Runden auf verlassenen Gepäckbändern, bis sie irgendwann am Lost & Found-Schalter landen. Dieses Schicksal ereilte 2024 in etwa 36,1 Millionen Gepäckstücke, wie das US-Luftfahrttechnologieunternehmen SITA Anfang Januar mitteilte.
Der genaue Ausdruck lautet «fehlgeleitetes Gepäck» und darunter versteht man Gepäck, das verspätet oder mit Schäden ankommt, gestohlen wurde oder verloren gegangen ist. Immerhin 95 Prozent finden sich am Ende wieder und kehren in der Regel innerhalb von drei Tagen zu ihrem Besitzer zurück.
Fünf Prozent jedoch verschwinden auf Nimmerwiedersehen oder stranden irgendwo, ohne je zugestellt werden zu können – etwa weil niemand danach fragt oder eine Identifikation schlicht nicht möglich ist. Das sind immer noch 1,8 Millionen herrenlose Koffer und Taschen pro Jahr. Manche werden – ungeöffnet, ungesehen – am Flughafen versteigert (meist für einen guten Zweck), manche schlicht entsorgt. Manche landen aber auch bei der Firma Unclaimed Baggage aus Alabama.
Geschäft mit verwaistem Gepäck
Die hat daraus ein regelrechtes Geschäftsmodell gemacht. Seit mehr als 50 Jahren handelt das US-Unternehmen mit verwaistem Gepäck. Für eine geringe Summe erwirbt die Firma jährlich Zehntausende von Koffern, Taschen und Rucksäcke, und durchsucht diese auf verkäufliche Ware hin. Etwa ein Drittel der Artikel kann schliesslich verkauft werden, der Rest wird gespendet, dem Recycling zugeführt oder weggeschmissen.
Was die verkauften Artikel anbelangt, hat sich das stationäre Geschäft mittlerweile zu einer regelrechten Touristenattraktion entwickelt. Rund eine Million Besucher stöbert pro Jahr in den Regalen nach Verwertbarem (die Online-User sind da noch gar nicht mitgezählt!). Wobei ein Grund für die stetig steigende Nachfrage womöglich auch darin begründet liegt, dass es schlicht aufregend ist, mit welchem Gepäck die Mitmenschen so verreisen. Vergleichbar ist diese Neugier vielleicht mit dem berühmten Blick durchs Schlüsselloch …
Die Verlusthitparade
Doch man muss nicht gleich nach Scottsboro südlich von Nashville reisen, um zu erfahren, was sich denn nun eigentlich alles so in den Koffern befindet. Schliesslich hat die Firma vor Kurzem erstmals einen Fundbericht veröffentlicht – eine Art Top Ten der meistgefundenen Gegenstände.
An erster Stelle des Rankings steht, wen wundert’s: Unterwäsche. Es folgen Schuhe, allen voran Sneaker, wobei Frauen offenbar mehr Schuhe als Männer mitnehmen – auch das wenig verwunderlich. Position drei nehmen elektronische Geräte ein, hier lösen gerade Tablets die Laptops ab, wie Unclaimed Baggage mitteilt (intern wurde schon länger eine Art Inventurliste geführt). An vierter Stelle kommen T-Shirts, wobei Vintage-Look offensichtlich gerade in Mode ist – der Bericht bezieht sich auf das Jahr 2023. Die Positionen fünf und sechs besetzen Bücher und Blusen, meist Sommerblusen. Der Grund dafür? Im Sommer gehen wegen der Urlaubssaison deutlich mehr Koffer verloren.
Wie sehr Jeansmode sich immer wieder neu erfindet, zeigt Platz sieben der Verlusthitparade. So wurden etwa zwölf Prozent mehr Herren- als Damen-Jeans gefunden, mit deutlichem Überhang von Low-Waist-Hosen, die aus den 1990er Jahrne zurückzukehren scheinen. Auf Platz acht finden sich Kopfhörer. Aber nicht mehr vornehmlich die klobigen Over-Ear-Kopfhörer, sondern eher leichte Bluetooth Earbuds, vor allem AirPods. Auch das hat sich allein in den vergangenen fünf Jahren stark verändert …
Platz neun belegt hingegen ein Klassiker: Kleider. Zusammen mit den bereits gelisteten Schuhen und Blusen lassen sich daraus wahlweise zwei Folgerungen ziehen: Im Vergleich zu Männern nehmen Frauen entweder mehr mit oder sie verlieren mehr Koffer. Den zehnten Platz unter den meistverlorenen Gegenständen halten Smartphones, vorzugsweise von Apple. Die stecken selten im Gepäck, sondern gehen am Airport oder an Bord verloren. Meldet sich kein Besitzer, dann wandern sie ebenfalls nach einer Frist von drei Monaten in den Verkauf von Unclaimed Baggage. Wobei Apples Sicherheitsmassnahmen derart gut sind, dass sich die Handys kaum entsperren lassen und im Elektroschrott landen. Irgendwie schade …
Schätze des Luxuskonsums
Die ausgegrabenen Fundstücke aus dem herrenlosen Gepäck weisen zudem darauf hin, was derzeit zu bevorzugten Konsumgütern des Wohlstands gehört. Abgesehen davon, dass Frauen rund zwölf Prozent mehr Gepäckstücke als Herren einpacken, lassen sich auch Markenpräferenzen und Trendaktivitäten ablesen. Etwa der, dass es in der Mode wieder funkeln, leuchten und glitzern darf. So hatte der Hype um den Barbie-Film zur Folge, dass Kleidung wieder bunt ist, vorzugsweise in Pink und Rosa.
Ebenfalls 2023 startete die enorm erfolgreiche Eras-Tour von Pop-Ikone Taylor Swift. In der Folge haben viele Reisende Swift-Souvenirs wie T-Shirts im Gepäck – natürlich mit viel Strass und Pailetten.
Ja und dann finden sich auch manchmal echte Schätze des Luxuskonsums in den Koffern: Ob die Besitzerin einer Birkin 25 Designer-Handtasche wirklich nicht ihren Koffer vermisst hat? Immerhin wird dieses Modell auf rund 23'000 Euro geschätzt! Das gute Stück wurde jedenfalls nie abgeholt, und wem es gehörte, liess sich partout nicht ermitteln, weil die Besitzerin ihren Koffer weder mit Namen noch mit Adresse versah.
Was für eine Vorstellung, bei einer anonymen Kofferversteigerung am Flughafen auf solche Schmuckstücke zu stossen! Denn rechtlich ist eindeutig geregelt, dass der neue Kofferbesitzer den Inhalt, von wenigen Ausnahmen wie illegalen Gegenständen etc., ausnahmslos für sich behalten darf.