Trips & Travellers
Schmerz lass nach, die Vegetarier feiern
Bernd LinnhoffAuf Phuket haben Vegetarier die Wahl: Es muss schmecken oder weh tun. Einmal im Jahr sind sie abstinent und umarmen den Schmerz. Das Vegetarische Festival wird in vielen Orten Thailands gefeiert. Alljährlich, im neunten Mondmonat, im September oder Oktober. Doch nirgends so intensiv wie auf Phuket. Denn dort ist es zu Hause.
Eines schönen Tages waren wir da. Und fühlten uns so heimisch wie strenggläubige Mormonen bei der Basler Fasnacht oder im Kölner Karneval: Zu Gast bei Fremden. Zur Eröffnungszeremonie versammelten sich in jedem chinesischen Schrein die Anbeter, alle in Gelb oder Weiss gekleidet, die ihren Vorfahren Tribut zahlen wollen. Zum Start erhebt sich ein riesiger Bambusstab, der die Götter einladen soll, auf die Erde zu kommen. Danach geht es los. Aber hallo.
Feuerwerk mit Buddha
Es ist die Unvereinbarkeit von Gleichzeitigem, die mich als Auswanderer in Asien oft an Grenzen bringt. Morgens noch lese ich online von einer Studie, die die emotionale Bindung der Mitteleuropäer an Baumärkte ermittelt (Ergebnis: eher gering). Am Nachmittag sehe ich bei der «Extravaganza Parade» Menschen, die sich Fahrradketten, Schwerter, Gitarren, Pistolen, Äxte, Dolche und andere Haushaltsgegenstände durch Wangen und Zungen piercen. Und am Abschlussabend fliegt uns ein Feuerwerk mit Buddha um die Ohren.
Denn: «Nach Einbruch der Dunkelheit findet in Phuket-Stadt die finale Prozession statt. Sie führt an unserem Lokal vorbei», sagten Cathérine und Céline, zwei Schwestern aus Frankreich und Restaurantbesitzerinnen auf Thailands grösster Insel. «Da sind wir dabei», entgegneten wir. Wir sassen beim Nachtisch, als das Inferno losbrach. Als hätte jemand nebenan ein paar Briefbomben eingeworfen.
Wir stürzten nach draussen. Vermummte rasten in der Dunkelheit an uns vorbei. Auf Stangen trug jede Gruppe eine Box mit Buddha-Statue. Auf den Bürgersteigen standen dicht an dicht weiss gekleidete ThailänderInnen und Thai-ChinesInnen, die unablässig Feuerwerkskörper warfen, um Buddha zu treffen. Das soll Glück bringen. Die meisten Knallkörper aber trafen Oberkörper und Gesichter der Verhüllten. Sie waren in Trance, ausser sich. Im Gegensatz zu uns.
Querschläger dröhnten knapp an uns vorbei. Ein paar Fotos geschossen mit unruhiger Hand und ab in Deckung wieder, hinter parkende Autos oder ins Restaurant. Die Strasse war bedeckt mit den roten Resten der Chinakracher; unsere Ohren blieben lange taub. Warum muss die Reinigung von Körper und Geist so laut sein?
In den Tagen des Festivals verzichten viele Menschen auf jede Art Fleisch, oft auch auf Eier und Milchprodukte sowie auf streng riechende pflanzliche Produkte wie Knoblauch, Zwiebeln, Tabak, Schnittlauch und rokkyo (chinesischer Knoblauch). Als wäre das noch nicht genug, sind auch Alkohol und Sex tabu. Garküchen an den Tempeln belegen, dass selbst in diesen Tagen nicht alle Menschen das Bedürfnis nach Reinheit und pflanzlicher Nahrung verspüren. Sie hauen rein wie Fiffi ins Gehackte.
Life ist not a spectator sport, heisst es. Manchmal doch. Wir waren nur Zuschauer, faszinierte Voyeure. Auch in den Tempeln der Stadt. Doch niemanden störte es, wenn wir inmitten des Trubels nur Zentimeter entfernt von Frauen standen, die in Trance fielen. Und von Männern, die aus der Trance zurückkehrten.
Vom Meister besessen – eine Ehre
Watcharaporn Ponput, Gift (Geschenk) gerufen und Besitzerin eines Geschäfts für Mobiltelefone, fühlt sich als Auserwählte. Als sie sich vor Jahren die Parade anschaute in Phuket Town, kam es plötzlich über sie, so die 26-Jährige: «Mein Meister nahm Besitz von meinem Körper.»
Seither ist sie eine devotee, eine Jüngerin, und Meister ist nur ein anderes Wort für Gott. Gift verbindet mit der Ehre auch die Verpflichtung zu guten Taten jenseits des Festivals. Denn all die devotees führen vorher und nachher ein normales Leben. Gehen zum Tempel, heiraten, spielen mit den Kindern, schauen Netflix und hören die Lieder von Taylor Swift, Ed Sheeran oder Drake.
Die meisten Jünger beginnen schon drei Monate vor den Festivitäten mit streng vegetarischer Ernährung. Um für die psychischen und physischen Strapazen gewappnet zu sein, die mit Trance und Selbstverstümmelung einhergehen können.
In allen touristischen Destinationen gibt es Events, die auf alte Traditionen verweisen und für Einheimische und Touristen arrangiert werden. Das Vegetarische Festival auf Phuket aber wurzelt noch immer tief in seinen chinesischen Ursprüngen. Es bleibt ein authentisches, spektakuläres und zugleich spirituelles Ereignis.
In diesem Jahr findet das Vegetarische Festival vom 15. bis 23. Oktober auf Phuket statt.
Bernd Linnhoff lebt seit 2008 in Thailand, ist Reiseblogger («Faszination Fernost») und Autor des Buchs «Thailand unter der Haut».