Trips & Travellers

Luisa Helena Ehrenzeller hat mit «reisefrei» ein Buch über ihr Leben als Reiseleiterin geschrieben. Bild: Internaut

«Reiseleiterin ist ein Traumjob. Aber es ist ein Job.»

Andreas Güntert

Reisen und dabei Geld verdienen: Klingt wie der perfekte Traumberuf. Reiseleiterin Luisa Ehrenzeller erzählt wie das ist, wenn man die Reiseträume anderer Leute erfüllt.

Ist Reiseleiter ein Traumjob? Hat man als Reiseleiterin den schönsten Beruf der Welt? Luisa Helena Ehrenzeller muss es wissen. Die Schweizerin hat mit «reisefrei» ein Buch über ihr Leben als Reiseleiterin geschrieben. Darin erzählt Luisa von ihren Touren, die sie im Sommer 2018 in Europa geleitet hat.

Zehn Mal lotste und leitete die Baslerin verschiedene Kleingruppen durch Italien und weitere Länder. Luisa verantwortete die Reisen für einen australischen Kleingruppen-Reiseveranstalter; die Trips wurden jeweils per öffentlichem Verkehr abgewickelt.

Reiseleiter werden schnell ins kalte Wasser geworfen

Die Rundreisen beschränkten sich nicht immer nur auf Italien, sondern hatten fünf Mal ein beeindruckendes europäisches Routing. Drei Wochen lang von Rom via Florenz und Lucca in die Cinque Terre, und von dort aus weiter über Mailand, Lago Maggiore, Luzern und das Berner Oberland über Dijon und Reims nach Paris.

Eingeführt in den Job wurde Luisa in einem Training in Budapest. Nach dieser einwöchigen Ausbildung reiste sie als Trainee auf einer Reise mit – und dann war sie selber als frischgebackene Reiseleiterin für die nächste Tour und alle folgenden Rundreisen verantwortlich.

Alleine im kalten Wasser, ohne Co-Tour-Guide, Chauffeur oder sonstige Begleitperson. Wie sich das anfühlt und wie bereichernd (emotional wie finanziell) das ist: Luisa erzählt es im Interview.

Luisa, hast Du mal den Internaut-Reiseleiter-Test gemacht, den ich 2019 zusammen mit der Schweizer Reiseleiter-Legende Beat Werthmüller hier veröffentlicht hatte?

Luisa Helena Ehrenzeller: Ja, den Test habe ich gemacht.

Wie hast Du abgeschnitten?

Abgeschnitten habe ich im oberen Bereich. Die ersten zwei Fragen – «Hast Du Menschen gern» und «Hast Du Menschen auch gern, wenn sie schwierig werden» – treffen die Fähigkeiten und das Wesen dieses Jobs schon mal recht gut. Ich würde fast sagen perfekt. Aber es gibt auch wichtige Sachen, die nicht drin sind im Test.

Wir hören, wir lernen.

Was man ebenfalls mitbringen sollte für diesen Beruf: Die nötige Geduld, die immer wieder gleichen Fragen auszuhalten und zu beantworten. Die Empathie, auf die Gruppe einzugehen. Plus die Spontaneität, das Reiseprogramm auch mal kurzfristig auf die Bedürfnisse und Interessen einzelner Gruppenmitglieder anzupassen. Und zwar so, dass das für die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ebenfalls interessant ist. Und man muss man es aushalten, auf diesen Reisen letztlich allein zu sein, fernab vom gewohnten Umfeld zu funktionieren.

Der nächste Zug wartet schon auf die Schweizer Reiseleiterin. Bild: Internaut

Als Vorbereitung für den Job als Reiseleiterin hast Du ein einwöchiges Training in Budapest absolviert. Was lernt man da so?

Ein grosses Thema war die Sicherheit. Der Nothelfer-Ausweis wurde vorausgesetzt, im Training ging es dann stark um die Themen Security und Safety in Hotels, auf Bootsausflügen, im öffentlichen Verkehr. Zudem ging es um die Philosophie und weitere Infos des Reiseveranstalters. Ferner wurden wir eingeführt in Themen wie Reporting und Buchhaltung. Und zum Training gehörten auch gruppendynamische Rollenspiele.

Gab und gibt es auch Fähigkeiten, die Du nach der Ausbildung zusätzlich on the road hinzulernen musstest?

Natürlich. Was man eigentlich erst on tour lernen kann, ist das wichtige Thema des Antizipierens. Also etwa wenn es darum geht, schon im voraus für die Gruppe Tickets für Sehenswürdigkeiten zu besorgen und ganz grundsätzlich die Fähigkeit, kommende Dinge und Probleme früh zu erkennen. Und rechtzeitig zu lösen. Plus der Erwerb des «local knowledge».

Was meinst Du damit?

Ganz praktische Dinge. Wo gibt es den besten Kaffee und wo die besten Schoggigipfeli? Wo kann ich eine Abkürzung nehmen, was kann ich meinen Gästen Spannendes erzählen, auf welche Fragen muss ich mich vorbereiten und so weiter.  Kommt dazu: Als Reiseleiterin ist man eigentlich oft auf drei Reisen gleichzeitig unterwegs.

Drei Trips gleichzeitig – in welcher Art?

Auf der aktuellen Reise mit den Gästen, per Feedbacks und Kommentaren von ehemaligen Gästen noch auf dem vorhergehenden Trip und per Vorab-Organisation schon auf dem nächsten.

«Ich habe gelernt zu entscheiden. Nicht nur für mich, sondern für eine Gruppe.»

Was gehört zu den schönen Erfahrungen einer Reiseleiterin?

Wenn man merkt, welch tolle Eindrücke und Erlebnisse die Gäste unterwegs erhalten und erfahren. Etwa, wenn sie die Schweizer Bergwelt total entzückt. Oder wenn sie begeistert sind von der traumhaften Bootsfahrt in Portovenere bei La Spezia.

Und was ist weniger traumhaft?

Wenn man es mit ewig kritischen oder unzufriedenen Gästen zu tun bekommt. Oder wenn es Notfälle gibt, die bis hin zu Spitalaufenthalten führen. Zum Glück kann man sich bei gröberen Fällen telefonisch mit einer vorgesetzten Person unterhalten und abstimmen. Oder sich per WhatsApp mit Reiseleiter-Kolleginnen und -Kollegen austauschen und dabei auch mal etwas Dampf ablassen.

Auf Spaziergangslesung: Luisa liest oft open air aus ihrem Buch vor, hier in Bern. Bild: zVg

Würdest Du wieder als Reiseleiterin arbeiten wollen?

Auf jeden Fall. Ich habe auch im Sommer 2023 wieder einige Touren geleitet, dieses Mal im Raum Rom und Amalfitana, sowie in Venedig. Plus auch zwei Reisen in der Schweiz.

Was hast Du für Dich persönlich gelernt als Reiseleiterin?

Eine ganze Menge. Erstens einmal, zu entscheiden. Und zwar nicht nur für mich, sondern für eine Gruppe. Und ich habe gelernt, eine Zeitlang kein Daheim zu haben. Sondern mich überall zu Hause zu fühlen.

Und dabei wurdest Du nie von Heimweh geplagt?

Fast nie. In einzelnen Fällen überkam mich die «Schweizerkrankheit», wie das Heimweh ja auch genannt wird. Meist in Stresa am Lago Maggiore, wohl auch deshalb, weil das nahe bei meiner damaligen Heimat Locarno liegt, wo ich übrigens drei Jahre lang an der Starken Strecke Via Cittadella gelebt hatte.

«Reiseleiter stehen vorne. Aber sie sollten sich nicht in den Vordergrund stellen.»

Ist Reiseleiter wirklich ein Traumjob, sogar «der geilste Job der Welt», wie es im Titel einer sechsteiligen ARD-TV-Reihe 2022 hiess? Versehen mit dem Hinweis, dass man «durch verschiedene Höllen gehen muss, um ins Paradies zu kommen»?

Ja, Reiseleiter ist ein Traumjob. Aber es ist ein Job. Weil eben auch viel administrative, vorbereitende und organisatorische Arbeit dahintersteckt, die man oft nicht ahnt oder sieht. Wenn Notfälle auftreten, kann es zum 24-Stunden-Job werden. Zum Wesen dieses Berufsbildes könnte ich übrigens eine Metapher beisteuern.

Ich bin gespannt.

Als Reiseleiterin und als Reisleiter fühlt man sich manchmal wie ein Schwan: An der sichtbaren Oberfläche Haltung wahren und glänzen, im Untergrund wild strampeln, damit alles funktioniert.

Sehr schön. Ist das von Dir?

Leider nicht. Ich habe das dieses Jahr an einem dreitägigen Auffrischungstraining mit dem australischen Reiseveranstalter in Venedig aufgeschnappt. Aber noch einmal zum Fazit: Am Schluss überwiegt das schöne. Reiseleiter sein ist eine Lebensschule, eine Art Lifestyle, unterwegs zu sein, eine grosse Erfahrung, ein sehr bereichernder Beruf.

«Bereichernd» ist ein gutes Stichwort: Wie sieht es auf der Lohnseite in diesem Bereich der Touristik aus?

Es gibt bestimmt Berufe mit höherem Einkommen.

«Trinkgeld ist als Reiseleiter sehr wichtig. Aber auch sehr schwierig zu antizipieren.»

In Zahlen?

So wie ich unterwegs war, kann man grob gesagt mit einem Tageshonorar von 100 Euro rechnen. Aber nur pro Tag, den man mit Reiseleitung verbracht hat und somit verrechnen kann. Immer unabhängig davon, wie viele Arbeitsstunden das pro Tag waren.

Warum erwähnst Du das speziell?

Weil es nun mal so ist: Gerade bei Touren, die man selber noch nicht sehr gut kennt, können sehr viele Arbeitsstunden pro Reiseleiter-Tag anfallen. Kommt dazu: All jene Tage, die fernab der Gruppe für Reporting, Buchhaltung, Vorbereitung und Nachbereitung eingesetzt werden, werden nicht bezahlt. Und von diesen Tagen gibt es einige.

Wie wichtig ist für Reiseleiter das Trinkgeld als Lohn-Propeller?

Sehr wichtig, aber auch sehr schwierig zu antizipieren. Ich habe diesbezüglich alles erlebt: Touren mit zero Trinkgeld – und Reisen, bei denen das Trinkgeld meinen Lohn verdoppelt hat. Das Thema ist auch etwas heikel und delikat. Weil man als Reiseleiterin einerseits auf Trinkgeld angewiesen ist, das Thema aber andererseits meist nicht allzu forsch ansprechen und einfordern mag. Andere haben das wohl besser drauf als ich.

Luisa Ehrenzeller auf Tour in der Cinque Terre. Bild: zVg

Welche Rollen spielen Gäste-Bewertungen für das Standing des Reiseleiters beim Reiseveranstalter?

Gästebewertungen sind durchaus lohnrelevant. Die Rückmeldungen, die meist erst nach der Reise auf elektronischem Weg eingehen, können den Lohn beeinflussen. Je nach Feedback-Rate und Noten kann der Lohn im positiven Falle um zehn Prozent steigen. Bei schlechten Bewertungen folgt in der Regel ein Gespräch mit den Vorgesetzten.

Darf ich zum Schluss noch drei indiskrete Dinge fragen?

Nur zu.

Einer Deiner Reise-Gäste hat, wie Du in Deinem Buch erzählst, für Dich vier Münzen in den Trevi-Brunnen in Rom geworfen, «damit Du Deinen römischen Mann findest». Hat der Fontana di Trevi erwartungsgemäss geliefert?

Bis jetzt noch nicht…

Lag das am Brunnen oder an den Römern?

Naja, wenn man eine Münze reinwirft, soll man ja nach Rom zurückkommen, wie man so sagt. Das hat auf jeden Fall funktioniert.

Aber eben, der Römer….

… das soll ja erst ab zwei Münzen funktionieren. Da habe ich noch etwas Geduld.

Wenn Reiseleiterinnen und Reiseleiter gewisse träge Prozesse bei Behörden oder sonstigen Obrigkeiten etwas beschleunigen möchten, hilft manchmal Bakschisch. Gemäss Beat Werthmüller ist Schoggi (wohl neben Bargeld) die härteste Währung. Welche Mittel helfen Deiner Erfahrung nach, um den Dienstweg abzukürzen?

Bei der Art von Bakschisch kommt es sicher immer auch auf das Reiseland an. In denjenigen Ländern, in denen ich als Reiseleiterin unterwegs war, ist vielleicht eine harte Währung weniger gebräuchlich.

Was mir in solchen Situationen immer hilft, ist nur schon, wenn man die Landessprache spricht und zusätzlich eine Extraportion Menschlichkeit und Freundlichkeit aufwendet. Ich denke immer: Auch solche Personen machen ja nur ihre Arbeit und können nicht unbedingt etwas für die Regeln und Probleme, die ich gerade lösen oder umgehen will. Bis jetzt habe ich mit freundlichem Lächeln, ein paar netten Worten und viel entgegengebrachtem Verständnis noch meist jedes Problem lösen können.

Dein Rat an all die Menschen da draussen, die gerne Reiseleiterin oder Reiseleiter werden möchten?

Grundsätzlich sind es zwei Ratschläge. Erstens: Einfach mal ausprobieren. Und zweitens: Empathie ist der Schlüssel. Auch wenn man in diesem Beruf vorne steht: Man darf sich nicht in den Vordergrund stellen. In den Vordergrund gehört nicht der Reiseleiter, sondern etwas anderes: Gäste und ihre Bedürfnisse, Land und Leute.

Beruf Reiseleiterin, ohne rosa Brille: Das Buch «reisefrei» von Luisa Helena Ehrenzeller. Bild: Internaut