Trips & Travellers
Seilrutschen in den Alpen: Mit Vollspeed über die Baumwipfel
Christian HaasMan kennt sie aus Klettergärten, Freizeitparks oder Sportarenen wie dem Münchner Olympiastadion: Seilrutschen, an denen Mutige im Klettergeschirr entlangsausen. Die meisten messen rund hundert Meter, mal etwas mehr, mal etwas weniger. Aber zweieinhalb Kilometer? Da wird jeder Adrenalinfreudige hellhörig. Schliesslich bedeutet das eine der längsten Seilrutschen Europas! Und in einer abenteueraffinen Familie bedeutet das: Einen solchen «Flug» gilt es persönlich auszuprobieren.
Selbstversuch in der Steiermark
Also ab ins steirische Gröbming nahe Schladming, wo wir am Kassenhäuschen zu Füssen des 2048 Meter hohen Stoderzinkens die Tickets für die Zipline lösen und im Gegenzug mit jeder Menge Material ausgestattet werden. Wie eine Fliegerstaffel schultern wir das rucksackartige Fluggerät samt Seilrolle und besteigen einen Bus, der uns nach 700 kurvigen Höhenmetern wieder ausspuckt.
Einen kurzen Marsch später empfängt uns eine Mitarbeiterin an einer Plattform und erklärt, wie jeder seinen Rucksack zum Sicherheitsanzug samt «Sitz» umkrempeln kann. Dann wird jeder Rutscher» kurz zum Kontrollwiegen gebeten, wobei verdankenswerterweise auf eine exakte Kilogrammangabe verzichtet wird. Der Check sagt: alles im Rahmen. Gut so.
Also auf zum nächsten Posten, wo ein weiterer Mitarbeiter die von den Teilnehmern mitgebrachten Rollen samt uns selbst in je eines der vier parallelen Seile einhängt. Und wow, was für ein Ausblick: über uns der wolkenlose Himmel, vor uns die grandiose Bergwelt rund um den Dachstein, unter uns das Startpodest und einen Schritt weiter der abschüssige Hang.
Ready? Ready! Auf Knopfdruck löst der lächelnde Kollege die Seilbremse, und wir rauschen bis zu 160 Meter über dem Boden Richtung Tal – mit einem irren Blick über die Bergwelt. Einen irren Blick setzt auch meine Nachbarin auf, kommen ihr die Seile doch recht dünn vor. Alles Einbildung, denn vermutlich gehört die Anlage zu den bestüberprüften im Umkreis von hundert Kilometern.
Aber der Nervenkitzel ist natürlich Teil des Programms, der andere ist die unglaubliche Freiheit, die man beim durch die Luft segeln empfindet. Nach etwa eineinhalb Kilometern landen wir sanft auf der Plattform der Mittelstation, haken uns aus und am nächsten Seil ein paar Schritte weiter wieder ein – und starten die zweite Etappe.
Die entpuppt sich als noch steiler, die Blicke der Nachbarn werden noch irrer, der Abstand zu den Bäumen geringer: «Ich glaub’, ich berühre die Wipfel!», kreischt die jugendliche Tochter. Doch zum Nachdenken fehlt die Zeit – wir fliegen mit über 100 Stundenkilometern über die Bäume hinweg, um dann mit einem breiten Grinsen und sanftem Abbremsen an der Endstation zu «landen». Was für ein Vergnügen!
Wer gar nicht genug bekommt vom Fliegen, setzt noch eins drauf, indem er sich in den hier beginnenden, 2020 eröffneten «Flying Coaster» setzt. Hierbei rasen wir auf einer Länge von 800 Metern durch den Wald (womit wir uns das Laufen zum Parkplatz sparen). Interessant: Die ganze Anlage ist auf Stahlstützen aufgehängt, das Aluminiumrohr windet sich schlangenförmig mit Auf- und Ab-Elementen in zahlreichen Kurven bergab. Durch den ständigen Richtungswechsel kommen starke Fliehkräfte zum Tragen. Flying Fox meets Achterbahn!
Tempi wie auf der Autobahn
Ganz linear geht es beim Flying Fox XXL in Leogang zu – und mit rasenden Geschwindigkeiten zu Tale. «Es ist die schnellste Zipline der Welt. Bei unserer Messung wurde eine Top-Geschwindigkeit von 137 km/h angezeigt – und das nach nur 60 Metern!», erklärt Mitarbeiter Wolfgang auf Nachfrage.
Insgesamt kommt die mit dem Slogan «Anschnallen, Abflug, Abenteuer» werbende Strecke auf eine Länge von 1600 Metern. Fast schade also, wenn der in einer Höhe von bis zu 143 Metern über dem Bergboden stattfindende Flug «schon» nach einer Minute wieder rum ist. Dafür entschädigt ein Extrathrill: Im Gegensatz zur Sitz-Zipline am Stoderzinken geht es hier mit dem Kopf voraus liegend in den Salzburger Berghimmel.
Wer für den Anfang (oder seine kleineren Kinder) eine weniger rasante (und preiswertere) Alternative sucht, findet diese etwa in Vorarlberg am Erlebnisberg Golm. Erleben kann man hier im Montafon wahrlich einiges: neben einem Kletterpark, einem Alpine Coaster und dem grössten Waldrutschenpark der Alpen auch einen Flying Fox. Von einer Startplattform am Rande des Waldseilparks schweben Abenteurer in einem Sitzgurt hängend auf 570 Meter Länge und bis zu 40 Meter über dem Waldboden respektive über den Latschau-Stausee.
Durch den Wald statt über den See sausen Kinder und Erwachsene indessen mit dem Flying Fox in den kärntnerischen Karawanken. Dort wurden zwei attraktive Ziplines mit einer Länge von 300 Metern in den Waldseilpark Tscheppaschlucht integriert. In einen regelrechten Rausch können Adrenalinjunkies in Warth-Schröcken «rutschen».
Dort bietet eine bislang einzigartige Flying-Fox-Safari Naturerlebnisse aus der Vogelperspektive wie am Fliessband. An sechs aufeinanderfolgenden Bahnen rauschen die «fliegenden Füchse» mehr als einen Kilometer weit ins Tal und überwinden dabei rund 350 Höhenmeter. In 20 bis 90 Metern Höhe geht es dabei über Bäche und Schluchten, die sonst nur schwer oder gar nicht zugänglich sind.
Adrenalin-Kick auch in der Schweiz
Sechs Bahnen? Schön! Aber in Charmey im Kanton Fribourg warten gleich 15! Sie haben dabei Längen bis zu 300 Metern und eine Höhendifferenz von 400 Metern – der Begriff «Tal der Seilrutschen» ist also absolut gerechtfertigt. Alle Adrenalisüchtigen ab zehn Jahren kommen dort in den Genuss, los geht es an der Bergstation Vounetz. Und zu der geht es entweder zu Fuss hinauf oder mit der Bahn.
Die Liste liesse sich noch locker fortführen, beginnend beim oberbayerischen Hockeck, wo der «Oberaudorfer Flieger» wartet, über den «Bayerwald Fox» in Sankt Englmar bis hin zum «Flying Fox Trafoi Canyon» in Südtirol. Apropos Südtirol: In St. Vigil im Gadertal befindet sich mit der «Zipline Adrenaline X-Treme Adventures» die längste Seilrutsche Europas, die die am Stoderzinken sogar noch um einige hundert Meter übertrumpft (wenn auch nicht mit ganz so hohen Geschwindigkeiten).
Auf 3,2 Kilometern Länge rauschen Wagemutige Richtung Tal, und das mit bis zu 80 Stundenkilometern. Teils gähnen bis zu 100 Meter unter den Füssen, teils wirken die Baumwipfel zum Greifen nah, unkontrollierte Drehungen im Sitzgurt sorgen für zusätzlichen Puls. Kein Wunder, dass das Vermietangebot einer GoPro samt Selfiestick von vielen dankend angenommen wird.
Hübsche Bilder fürs Smartphone respektive Album verspricht auch der «Skyglider AirRofan» hoch über dem Tiroler Achensee. Bis zu vier, auf dem Bauch liegende Mitfahrer finden unter zwei riesigen Flügeln des Flying-Fox-Spezialgefährts Platz. Rückwärts werden sie die 600 Meter bis fast zur Adlerhorst genannten Aussichtsplattform am Gschöllkopf hochgezogen, bevor sie mit rund 80 Sachen wieder hinabrauschen. Ein Erlebnis, das jede Menge Adrenalin freisetzt – und dennoch absolut ungefährlich ist.
Das gilt auch für die längste Seilrutsche der Schweiz, den 2,3 Kilometer langen «Sternensauser» im Ybrig-Gebiet in den Zentralschweizer Bergen. Startpunkt ist die Bergstation der Sesselbahn Sternen, an der Talstation befindet sich das Ziel. Dazwischen liegen rasante Passagen, die bis zu 80 Meter über dem Almen- und Waldboden sowie zu Spitzengeschwindigkeiten von bis 120 km/h führen. Wer nicht gerade vor Vergnügen brüllt, sollte auch mal still die Aussicht geniessen. Die reicht bei gutem Wetter bis in den Schwarzwald und zum Säntis.