Trips & Travellers

Eine deutliche Mehrheit der Schweizer Reisenden fliegt laut einer Umfrage ohne schlechtes Gewissen in die Sommerferien. Bild: Adobe Stock

Die Mehrheit der Schweizer Reisenden hat keine Flugscham

Vor rund zwei Wochen haben die Stimmberechtigten deutlich Ja gesagt zu einem besseren Schutz des Klimas. Dennoch plagt fast 60 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer kein schlechtes Gewissen, wenn sie in die Sommerferien fliegen. Das zeigt eine aktuelle Umfrage.

Eine deutliche Mehrheit des Schweizer Stimmvolks sprach sich bei der Abstimmung am 18. Juni für das Klimaschutzgesetz aus. Dieses Ja bedeutet aber nicht, dass sich auch die Mehrheit der Bevölkerung für die Umwelt einschränken will. Nur 39 Prozent der Reisenden verspüren eine Flugscham. 58 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer fliegen ohne schlechtes Gewissen in die Sommerferien. Das zeigt eine Umfrage von 20 Minuten und Tamedia.

Vor allem Junge haben kaum Bedenken

Bei den Frauen ist die Flugscham etwas ausgeprägter als bei den Männern. Überraschend ist, dass es kaum Unterschiede zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung gibt. Interessant ist auch ein Blick auf die Altersgruppen: Die 18- bis 34-Jährigen geben am häufigsten an, für Auslandsreisen das Flugzeug zu nutzen – dementsprechend tief sind ihre Angaben beim schlechten Gewissen.

Cathérine Hartmann, Umweltpsychologin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, sieht im Gespräch mit dem «Tages-Anzeiger» Abo vor allem zwei mögliche Gründe für die relativ tiefen Werte bei der Flugscham.

Es könne tatsächlich sein, sagt Hartmann, dass viele das Problem «schlicht noch nicht verstanden haben». Mit anderen Worten: Den Leuten ist nicht klar, dass beim Fliegen klimaschädliches CO2 ausgestossen wird. Das wäre allerdings sehr bemerkenswert, wo das Thema derzeit doch in aller Munde ist.

Rechtfertigungen verhindern schlechtes Gewissen

Wahrscheinlicher ist laut Cathérine Hartmann aber, dass sich viele das Fliegen schönreden. «Wir haben hier die gleiche kognitive Dissonanz wie zum Beispiel beim Rauchen: Die Leute wissen, dass es schädlich ist, machen es aber trotzdem.» Insofern ist die Flugscham auch kein neues Phänomen, sondern seit Jahren bekannt und gut erforscht.

Damit die Leute dennoch ins Flugzeug steigen können, «neutralisieren sie die Dissonanz durch eine Rechtfertigung», wie es in der Psychologie heisst. Klassische Rechtfertigungen sind laut Hartmann:

  • «Mein Nachbar fliegt auch, und zwar jedes Jahr fünfmal.»
  • «Ich fliege zwar, aber dafür esse ich vegan und sammle Plastik.»
  • «Mein Grossvater ist auch schon geflogen. Und bis jetzt ist davon auch keiner zu Schaden gekommen.

Der Clou bei diesen Rechtfertigungen: Das schlechte Gewissen verschwindet tatsächlich. Hartmann sagt, «diese Leute empfinden keine Scham und kein Unwohlsein mehr beim Fliegen».

(TN)