Trips & Travellers
Ein Berner auf abenteuerlichen Pfaden
Artur K. VogelIm Innenhof des Quartier- und Kulturzentrums «Graber», einer ehemaligen Kaffeerösterei im Liebefeld bei Bern, steht ein Toyota Land Cruiser aus den 1980er-Jahren. Die angeschnallten Sandbleche weisen darauf hin, dass der rote Geländewagen nicht nur für den Wocheneinkauf im Supermarkt zum Einsatz kommt, sondern offensichtlich auch in Gegenden, wo gewöhnliche Fahrzeuge scheitern müssten.
Im vergangenen Winter war der Besitzer des Toyotas, Johannes Spycher, tatsächlich zwei Monate mit dem robusten Gefährt unterwegs: Von Bern fuhr der 64-Jährige nach Barcelona, von dort mit der Fähre nach Tanger in Marokko und dann quer durch das Rif-Gebirge in Richtung Osten. Von dort ging es südwärts durch das ganze nordafrikanische Königreich. Dabei überquerte Spycher das Atlas-Gebirge zwischen Bergmassiven, die teilweise mehr als 4000 Meter in den Himmel recken. Am Jebel Toubkal südlich von Marrakech, mit 4167 Metern der höchste Gipfel im Hohen Atlas, wäre der Globetrotter beim Nächtigen im Freien fast erfroren. Später fuhr er durch die ausgedehnten Wüstengebiete Marokkos und Mauretaniens.
Schweizer Refugium im Senegal
An Weihnachten fand sich Johannes Spycher in der legendären Zebrabar ausserhalb der senegalesischen Hafenstadt Saint-Louis wieder Ein Schweizer Paar, Ursula und Martin Dürig, fand den idyllischen Ort nach ausgedehnten Afrikareisen und baute hier ab 1996 die Zebrabar auf, einen grossen Campingplatz mit Bungalows und Restaurant an einer Lagune. Auch ihre drei Kinder, heute zwischen 12 und 25 Jahre alt, haben die Dürigs hier grossgezogen.
Aber es gab noch weitere Gäste aus der Schweiz: Caroline aus Biel, mit ihren vier Kindern zwischen fünf und 13 Jahren in einem alten Postauto auf ausgedehnter Afrikareise, feierte ebenfalls in der Zebrabar. Später traf man sich zufällig wieder in Dakar, Senegals Hauptstadt.
Nach weiteren Tagen im Senegal fuhr Spycher durch Mauretanien zurück bis nach Agadir, dem Badeferienort im Süden Marokkos. Dort traf er seine Freundin Michaela mit dem gemeinsamen, zweijährigen Töchterchen Filippa.
Zu dritt stromerte man nochmals durch Marokko, unter anderem nach Tafraoute südöstlich von Agadir und von dort über den abenteuerlichen, mehr als 2000 Meter hohen Hochgebirgspass Tizi N’Test nach Marrakech. Auch diese Strecke wäre mit einem gewöhnlichen Auto oder Wohnmobil nicht zu bewältigen gewesen. Über Tanger und das Mittelmeer kehrten Michaela, Filippa und Johannes schliesslich Ende Februar in die Schweiz zurück.
Stadtführung auf dem Wasser
Johannes Spycher auf seine Erlebnisse als Globetrotter zu beschränken, greift allerdings viel zu kurz: Er ist auch Antiquitäten- und Kunsthändler, Galerist, Sammler. Er war an der Produktion eines Dokumentarfilms beteiligt, und im Sommer bietet er in Bern Stadtführungen an.
Die Führungen nennen sich «Bärn by Boat»; Spycher bietet sie von Anfang Mai bis Ende August an. Statt dass ihm Reisegruppen hintennach latschen, fährt er sie mit einem Boot auf der Aare vorbei an den ältesten Teilen der Berner Altstadt, vom Matte-Quartier aus hinauf zum Schwellenmätteli und hinunter zur Engehalde. Vor der Pandemie, erzählt Johannes Spycher, habe er vor allem Gäste aus den Golfstaaten sowie einige Deutsche befördert.
Kunst aus Afrika – und aus Bern
Im Erdgeschoss eines alten Sandsteingebäudes vor der Nydeggbrücke, wenige Schritte oberhalb der Matte, betrieb Johannes Spycher zudem während dreissig Jahren eine Galerie für afrikanische Kunst. Diese musste er 2021 schliessen, weil die Liegenschaft saniert wurde. Jetzt ist seine umfangreiche Afrika-Sammlung in der dreistöckigen ehemaligen Gewerbeliegenschaft im Liebefeld untergebracht, die er «Brock&Art» nennt. Wer sie betritt, findet sich in einem mehrstöckigen Reich von Kunst und Antiquitäten, alten Möbeln und Trödel, Teppichen, Spiegeln, Kerzenständern und vor allem viel Kunst wieder.
Soeben hat Johannes Spycher neue Stellwände eingebaut und gestrichen. Am 6. Mai ist hier Vernissage des in Bern lebenden, 70 Jahre alten Künstlers Markus Hug. Johannes Spycher nennt Hug, der einst als Fachlehrer am Bieler Lehrerseminar tätig war, einen «stillen, präzise arbeitenden Künstler». Die surrealen, fantastischen Bilder, die schon vor Beginn der Ausstellung an den Wänden stehen oder hängen, bestechen durch ihre sorgfältigen Kompositionen und ihre Detailbezogenheit. Feine Grafikstudien in schwarz-weiss ergänzen die grossformatigen Tableaus.
Eine weitere Künstlerin, Irène Henke-Kielholz (1934-2006), ist momentan auf den Dachboden von Brock&Art relegiert. Johannes Spycher verwaltet und lagert den Nachlas der Malerin: Ihre Collagen und Bild-Objekte aus natürlichen Materialien sind sorgfältig in grossen Holzregalen untergebracht. Im Herbst 2020 war der etwas vergessenen Künstlerin bei Brock&Art eine gross Retrospektive gewidmet.
Erinnerungsort und Inspirationsquelle
Ebenfalls einem Berner Künstler ist der Dokumentarfilm «Der Anachronist – Eine Reise zu Werner Schwarz» gewidmet, der 2018 Première hatte. Johannes Spycher war als Produktionsdesigner daran beteiligt; als Zeitzeugen traten unter anderem die bekannte Schauspielerin Heidi Maria Glössner und der Schriftsteller Lukas Hartmann auf.
Der Bauernsohn Werner Schwarz (1918 – 1994) wurde zuerst als Sonderling ausgegrenzt, doch sein Atelier in Schliern in der Berner Vorortsgemeinde Köniz wurde ab den 1970er-Jahren zum Anziehungspunkt. Schwarz erprobte alle möglichen Techniken vom Bleistift über Kreide, Ölfarben und Glas bis zum Film. Erst nach seinem Tod wurde eine riesige Kollektion von Fotografien entdeckt, die Schwarz auf seinen zahllosen Reisen aufgenommen hatte. Der Maler aus Schliern bei Köniz und der Galerist im Liebefeld bei Köniz teilen den rastlosen Drang zum Reisen.
Mit einem sturmen Kopf, wie man hier sagt, verlässt der Berichterstatter das Brock&Art, Schatzkammer, Erinnerungsort und Inspirationsquelle zugleich. Und er fragt sich, wie all die Aktivitäten des Johannes Spycher in einem einzigen Leben Platz finden. Denn nebenbei erzählt er noch von einem Haus, das er in Murviel-lès-Béziers im südfranzösischen Languedoc besitzt, und wo er jedes Jahr ein paar Monate verbringt. Und bevor wir es vergessen: Ein Boot hat er dort unten ebenfalls. Es ankert in Narbonne. Als Filippa zwei Monate alt war, befuhr die junge Familie in Südfrankreich eine Reihe von Kanälen. Lagunen und Flüssen. Das Töchterchen wird offensichtlich schon früh mit dem Globetrotter-Virus infiziert.