Trips & Travellers
Was wissen wir eigentlich von unseren Guides?
Bernd Linnhoff«Schön warm heute, oder?» Sokkay haut die Frage raus, als hätte er seit Jahren keine andere gestellt. Auf Deutsch. Dabei ist es heute nicht nur warm bei den Tempeln, sondern heiss. «Wie schon zuvor erwähnt», fährt unser Führer nach kurzer Pause fort, «war es König Suyarvaman der Zweite, der Angkor Wat erbaute.»
Sokkay San – oder korrekter San Sokkay, denn in Kambodscha steht der Familienname voran – arbeitet dort, wo andere staunen. Er geleitet deutschsprachige Touristen durch die Anlagen von Angkor Wat, Angkor Thom, Banteay Srey. Für uns ist das Areal nahe Siem Reap eines der Wunder dieser Welt, für den Mann mit der hohen Stirn und dem offenen Lächeln historischer Alltag.
Natürlich hätte ich einen gedruckten Reiseführer lesen oder im Netz nach Angkor Wat googeln können, um mehr zu wissen über diese tausend Jahre alte hinduistische Kultstätte. Doch manchmal lausche ich lieber einem ortskundigen Experten, denn der kann antworten, wenn ich eine Frage habe. Und manchmal macht es dann Klick zwischen dem Guide und seinen Kunden. Dann mäandert das Gespräch über Ruinen und Geschichte hinweg ins Private. Der Mensch hinter dem Fremdenführer erscheint. Erzählt von sich, von seiner Familie, seinem Land.
Und mir fällt in diesen Momenten auf: Was wissen wir eigentlich von unseren Guides?
Was wussten wir schon von U Win, der uns zu den Sehenswürdigkeiten von Mandalay chauffierte und am nächsten Tag zum Flughafen, zum Rückflug von Myanmar nach Thailand. Links der Schnellstrasse, in etwa zwei Kilometern Entfernung, stieg Rauch auf über niedrigen Dächern.
Wo Rauch, da Feuer, dachte U Win und griff zum Handy. Ein kurzes Telefonat, dann entspannten sich seine Gesichtszüge wieder. Damit hätten wir es belassen können. Doch neugierig fragten wir: «Ist was passiert?» «Es brennt, aber wohl nicht in unserer neuen Siedlung», antwortete U Win, «ich habe dort gerade mit meiner Frau ein Haus bezogen.»
So erfuhren wir zumindest, dass der freundliche und stets umsichtig fahrende Burmese verheiratet war und stolzer Hausbesitzer. Wir nahmen es als Indiz, dass der Tourismus seinen Mann ernähren konnte. Noch ahnten wir nicht, dass das Militär den Tourismus in diesem geplagten, wunderschönen Land einmal mehr zur nutzlosen Erinnerung machen könnte.
Charmantes Schlitzohr spricht vier Sprachen
Am anderen Ende der Welt, in Santiago de Cuba, gerieten wir an Che. Mag sein, dass ihn seine Eltern in Anlehnung an Revolutionär Ernesto «Che» Guevara so getauft hatten. Doch Che ist in Kuba ein durchaus geläufiger Jungenname, die Kurzform von José. Freund Oliver und ich sassen in einer Bar und lauschten der allgegenwärtigen einheimischen Musik, die längst die Welt erobert hat: Rumba, Son, Salsa, Bachata. Da bog Che um die Ecke und fragte, ob er sich zu uns setzen könnte.
Der Bengel war 19 Jahre jung und sprach vier Sprachen. Spanisch natürlich, Italienisch, Englisch und Französisch. Er hatte sie gelernt, ohne jede Aussicht, sein Land auf legalem Weg verlassen zu können. Eine reife Leistung für einen jungen Mann. Wie immer litt Kuba auch zur Zeit unseres Aufenthalts unter Mangelerscheinungen aller Art, von Sonne, Musik, Rum und Sex einmal abgesehen. «Nur Tourismus bringt Devisen», erklärte Che, «also habe ich alles auf diese Karte gesetzt.»
Che entpuppte sich als smartes, schlagfertiges, charmantes Schlitzohr. Eines Tages bat er uns zu sich nach Hause. In einem Innenhof stiegen wir die Stufen hoch zu zwei weitgehend offenen Zimmern. In einem führte eine kleine Leiter hoch zu Ches Bett, darunter hingen Hosen und Hemden. Im anderen Raum kochte seine Frau, 18 Jahre jung und hochschwanger. Vor den beiden Zimmern, im ersten Stock also, wartete ein Schwein in einem kleinen Stall grunzend auf Silvester, das Schlachtfest zum Jahreswechsel. «Wenn es gut läuft für mich», meinte Che, «werden wir im nächsten Jahr mit unserem Kind in eine andere Wohnung ziehen können.»
Eine Woche später, wir hatten nach einer Autofahrt quer durchs Land Havanna erreicht, liefen wir in der Altstadt nahe der Kathedrale in Che hinein. Wir lachten, er grinste. Die etwa 40-jährige Touristin an seiner Seite stellte er uns als seine dänische Freundin vor. Auch diese Konstellation ist nicht ungewöhnlich in Kuba. Doch der Frau war die Situation entsetzlich peinlich. Che nicht so.
Freundschaft mit Sokkay
In Kambodscha, in Siem Reap hatten wir nach einigen gemeinsamen Touren Freundschaft mit Sokkay geschlossen. Warum, mag sich mancher fragen, ist es so speziell, wenn ein Khmer deutsch spricht? Vielleicht hilft es, die Khmer-Sprache geschrieben zu sehen:
Auch Sokkay, der gelernte Polizist, sah seine Zukunft im Tourismus. Er lernte die deutsche Sprache, in Wort und Schrift, in lateinischen Buchstaben. Ich spreche, du sprichst, er spricht. Mit leuchtenden Augen behauptete er: «Ich liebe diese Sprache.» Wir alle kennen Geliebte, die leichter zu erobern sind. Eines Tages lud er uns nach Hause ein. Mit gerade mal dreissig Jahren war er bereits Vater von drei Kindern und Hausbesitzer, wie auch er nicht ohne Stolz erklärte.
«Für die Kinder ist es einfach», sagte meine Frau Toey auf dem Weg zum Kaufhaus, «aber was schenken wir deiner Frau?» «Das müsst ihr wissen!», beschied uns der Ehemann. «Aber du kennst deine Frau, wir nicht!» «Ich sage nichts.» So kaufte Toey schliesslich eine Tag- und eine Nachtcreme. Kosmetik geht immer, dachte sie. «Gut so!», sagte Sokkay.
Und dann haben wir doch ein wenig gefremdelt, wir Touristen von einem anderen Stern und Sokkays liebe Familie. Seine reizende, zunächst scheue Frau Hea Hoy versuchte im Beipackzettel zu ergründen, warum es Cremes gibt für den Tag und für die Nacht. Ein Besuch reicht halt nicht, um sich kennenzulernen. Doch Sokkay war glücklich: «Ihr habt meiner Familie und mir mit eurem Besuch gezeigt, dass ihr uns schätzt.»
Auch heute noch senden wir uns gelegentlich Mails. Auf meine Frage «Wie geht es dir und deinen Lieben?» antwortet Sokkay stets: «Mach dir keine Sorgen. Alle sind schön! Herzliche Grüsse, dein Freund und meine Familie.»