Trips & Travellers
Alentejo statt Algarve
Markus FässlerIn Évora fliegen die Tauben tief. Dann landen sie und machen sich unter freudigem Gurren genüsslich über ein paar von Restaurantgästen übriggelassene Pommes-Frites her. Das unerwartete Festmahl auf der Terrasse ist die einzige wilde Szene an diesem Sonntagnachmittag im Spätherbst auf dem Marktplatz. Etwas schneller geht der Puls höchstens noch beim Besuch der Capela dos Ossos. Die Wände der Knochenkapelle sind, wie der Name vermuten lässt, mit menschlichen Schädeln und Knochen übersäht. Entstanden ist der Bau im 16. Jahrhundert, als der Platz auf den Friedhöfen knapp wurde. Mit der Capela dos Ossos wollte man den Überresten eine würdevolle letzte Ruhestätte ermöglichen.
Weit weg vom Grossstadt-Trubel
Weniger schaudernd präsentiert sich der Rest von Évora mit seiner zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Altstadt. Kunterbunt stellen sich die Häuser beim Schlendern durch die engen Gassen zur Schau. Einige frisch hergerichtet, andere sich selbst überlassen. Im Zentrum steht die Kathedrale von Évora aus dem 12. Jahrhundert und wer ein paar Höhemeter in Kauf nimmt, befindet sich plötzlich vor dem Templo de Diana, dem faszinierenden römischen Tempel.
Was auffällt: Die Touristenströme halten sich in Grenzen. Was zum einen daran liegen mag, dass die Hauptsaison vorbei ist. Aber auch daran, dass für viele Portugal nur Lissabon, Porto und die Algarve sind. Dabei ist gerade Évora das Tor zu einem Portugal fernab des Grossstadt-Trubels und aneinander gereihten Badetüchern an den Stränden. Es ist das Tor in den Alentejo.
Tanzender Nebel
Einige Charaktermerkmale dieses südlichen Landesteiles, der sich zwischen dem Tejo und der Algarve erstreckt, zeigen sich bei der Fahrt von Évora nach Monsaraz. Die Weinreben reihen sich endlos aneinander, bizarr geformte Olivenbäume stehen teils seit mehreren Hundert Jahren an Ort und Stelle. Überwacht wird alles immer wieder von Störchen, die sich hier, in der flächenmässig grössten, aber zugleich am dünnsten besiedelten Region Portugals, überaus wohlfühlen.
Die durch den Tourismus generierten Einnahmen machen hier derzeit nur etwa 15 Prozent aus. Dafür steht Kork als Exportgut hoch im Kurs. Das dürfte den schwarzen Schweinen, die sich plötzlich auf einem der Felder zeigen, einerlei sein. Genüsslich verspeisen sie die am Boden liegenden Eicheln der Korkeichen. Beim Blick über die hügelige Landschaft lässt sich dann kaum vermeiden, an die Toskana zu denken. Auch, weil der Alentejo ebenso wie die italienische Region über ein bezauberndes Hinterland und gleichzeitig über schöne Strände verfügt.
In Monsaraz angekommen, regiert insbesondere eine Farbe: Weiss. Einheitlich säumen die weiss gekalkten Häuser die für einmal beinahe menschenleeren, mit Kopfstein gepflasterten Gassen. Nebelschwaden tanzen durch das am Stausee von Alqueva gelegenen mittelalterliche Dorf und sorgen so für mystische Szenen. Auch hier geht es äusserst gemütlich zu und her, wie der Anblick von zwei älteren Einheimischen zeigt. Unbekümmert sitzen vor ihrem Haus und lassen Zigarettenrauch mit dem Nebel verschmelzen.
Steigender Adrenalinspiegel
Nach den überaus entspannten Stunden im Alentejo ist es wieder an der Zeit, den Puls etwas in die Höhe zu treiben. Dafür eignet sich der Norden Portugals bestens – zum Beispiel während eines Besuchs im UNESCO-Geopark Arouca im Bezirk Porto. Zwar fällt die Tour auf dem «Passadicos do Paiva»-Wanderweg wetterbedingt buchstäblich ins Wasser.
Aber glücklicherweise gibt es im Arouca noch ganz andere Highlights – etwa die 516 Meter lange und 2021 eröffnete «516 Arouca»-Brücke. Durch dicht bewachsenes Gebiet, in dem man sich wegen der Fülle an Grüntönen wie im Regenwald fühlt, führt der Weg zum monströsen Bauwerk. Wie der Flügel eines Drachen spannt sich eine der längsten Fussgängerhängebrücken der Welt spektakulär über den Fluss Paiva. Schwindelfreiheit ist beim Überqueren mit Sicherheit von Vorteil. Schliesslich befindet man sich bis zu 175 Meter über dem Boden.
Aber auch wenn die Knie etwas weich sind und zittern, es lohnt sich allemal. Genauso wie eine Entdeckungsreise in den Alentejo und Nordportugal. Denn die zwei Regionen, in denen Hektik glücklicherweise ein Fremdwort zu sein scheint, verkörpern noch das ursprüngliche Portugal.
Weitere Tipps für den Alentejo und Nordportugal
Edle Tropfen geniessen
Wer auf Wein steht, der ist in Portugal am richtigen Ort. Eine grosse Dichte an Weingütern findet sich zum Beispiel im Weinanbaugebiet rund um Estremoz im Alentejo. Dort werden hochkarätige rote und weisse Tropfen produziert. Viele Weinhersteller laden zu Besichtigungen und Verkostungen ein. So zum Beispiel auch einer der Top-Produzenten J.P. Ramos.
Hut zeigen
Sao Joäo da Madeira ist eine kleine Stadt mit rund 22‘000 Einwohnerinnen und Einwohnern etwa 40 Kilometer von Porto entfernt. Hier steht das «Museu da Chapelaria», das einzige Hutmachermuseum auf der iberischen Halbinsel. Es ist eine Hommage an diejenigen, die zur Wichtigkeit der Hutherstellung beigetragen haben. Nur wenige Schritte entfernt kann man zudem das Schuhmuseum besuchen. Dieses zeigt die lokale Schuhmacher-Geschichte. Die Schuh- wie auch Hutindustrie haben Sao Joäo da Madeira nachhaltig geprägt
Porto ist Pflicht
Wer schon im Norden von Portugal unterwegs ist, sollte Porto auf keinen Fall auslassen. Die Stadt ist ein fantastischer Mix aus kunterbunten Häusern, spektakulären Palästen, Kirchen und Brücken. Zudem ist die beschauliche Lage am Ufer des Flusses Douro unübertroffen. Einen schönen Blick über die Stadt bieten zahlreiche Aussichtspunkte. Wer etwas Typisches aus Porto essen will, kann sich ein Francesinha gönnen. Das – zugegeben nahrhafte – Sandwich besteht aus Toastbrot, Kochschinken sowie einem Rindssteak und wird mit geschmolzenem Käse und einer Sauce übergossen.