Trips & Travellers
Ein Knicks für die Kunst
Silvia SchaubGanz klein kommt man sich vor auf der «Bademaschinen» am Oslo Fjord. Die Sauna mit diesem Namen steht direkt am Quai vis-à-vis der Oper und der Deichman Bibliothek. Sie wird von vielen Stammgästen benutzt, wie Olaf und Pia. Das Ehepaar in den 40ern ist glücklich, dass es nach der langen Pandemie-Zeit endlich wieder seinem Hobby frönen kann. «Norwegen war eines der restriktivsten Länder, was die Corona-Massnahmen anbelangt. Wir durften lange kaum mehr aus dem Haus», erzählen sie. Nun sind auch die Touristen zurück, die staunend – und fotografierend – die Saunagänger beobachten.
Olaf und Pia haben gleich erkannt, dass ich hier meine Premiere habe, und weihen mich in die Gepflogenheiten ein. Erst mal wird geschwitzt, auch wenn die Temperaturen draussen noch nicht allzu winterlich sind. Umso erfrischender fühlt sich der Sprung in den Oslo Fjord an. Das urbane Saunieren hat Oslo im Sturm erobert. Entlang der Hafenpromenade locken verschiedene Angebote zu einem Saunagang, etwa die kleinen Sauna-Boote von KOK oder die Oslo Fjord Sauna im Quartier Sørenga.
Es ist nicht die schlechteste Idee, sich der Stadt vom Wasser her anzunähern, hat sich Oslo doch in den letzten Jahren enorm verändert. Es gilt als eine der am schnellsten wachsende Stadt Europas und mausert sich gerade zu einer echten Kunst- und Kulturmetropole. Bei meinem letzten Besuch ragten am Hafen im Stadtteil Bjørvika noch Dutzende Baukräne in den Himmel. Heute stehen da die Deichman Bibliothek, die Oper und das MUNCH-Museum schön aufgereiht wie eine Perlenkette. Scharenweise flanieren die Touristen und Einheimischen dem Meeresgestade entlang. Hinter den neuen Kulturikonen ist ein ganzes Wohnquartier mit vielen Restaurants entstanden, darunter Barcode – zwölf moderne Hochhäuser, die an einen Strichcode erinnern.
Den Auftakt zu dieser Kultur-Offensive machte die spektakuläre Oper, die wie ein Gletscher aus dem Meer aufzutauchen scheint und mit ihrem begehbaren Dach mittlerweile das Wahrzeichen der Stadt ist. Aussen aus weissem Marmor, innen mit viel Holz, ist der preisgekrönte Bau des Architekturbüros Snøhetta ein Magnet. Im Winter sollen gelegentlich sogar Skifahrer die Rampe runterbrettern.
Nur wenige Schritte entfernt erhebt sich das MUNCH-Museum, das im letzten Jahr eröffnet wurde. Der obere Teil des 300 Millionen teuren Hauses hat einen Knick – eine Art Verbeugung vor der Oper, der Stadt und der Kunst. Hier dürfen die Gäste mehr als Kunst erwarten. Natürlich bekommt Edvard Munchs Hauptwerk «Der Schrei» seinen grossen Auftritt. Neben elf Ausstellungsräumen findet man im 13-stöckigen Bau aber auch Räume für Konzerte, ein Kino, Workshops, eine Forschungsbibliothek sowie Restaurants. Also sollte man etwas Zeit mitbringen. Wo man beginnt, ist egal. «Jeder soll seinen eigenen Weg zu Munch finden», heisst es schliesslich an einer Wand in der dritten Etage.
Munchs Hauptthemen Liebe, Tod, Angst und Einsamkeit werden vielfältig inszeniert. Am besten nähert man sich dem expressionistischen Maler (1863-1944) im 7. Stock in der Ausstellung «Munchs Shadow» an, wo man in sein Leben eintaucht und eine Reise durch seine Gedankenwelt unternimmt. Eindrücklich auch die Ausstellung im 10. Stock Satyricon & Munch, ein abgedunkelter Raum mit beleuchteten Bildern, die mit speziell komponierter Musik der Norweger Black-Metal-Band Satyricon untermalt werden.
Und schon geht’s weiter zum nächsten Kulturort. Das Klischee einer Bibliothek mit meterhohen Bücherregalen kann man bei der Deichman Bibliothek vergessen. Der gläserne Bau der Architekturbüros Lundhagem und Atelier Oslo zeigt, dass es auch anders geht. Da hüpfen Kinder auf roten Kissen, krabbeln durch wattierte Tunnels, Nähmaschinen rattern und 3-D-Printer drucken Plastiken aus. Bücher gibt es selbstverständlich auch im Haus, über 450 000. Die Deichman Bibliothek will vor allem ein Begegnungsort, ein grosses Wohnzimmer sein. So steht man im Entree und staunt bis weit in den Himmel hinauf. Gehalten werden die sechs Etagen von drei Türmen, sodass ein riesiges Atrium entstanden ist. Auch wenn man sich kein Buch ausleihen möchte, kann man in dem Gebäude verweilen und sich in einer der vielen Sitznischen ausruhen und die Aussicht geniessen.
Eine gute Alternative für einen Zwischenstopp ist das Hotel Amerikalinjen, unmittelbar beim Bahnhof und idealer Ausgangspunkt zu den neuen Kulturikonen. Das Haus mit der ochsenroten Farbe wurde 1919 als Verwaltungsgebäude der gleichnamigen norwegischen Reederei eingerichtet, die im 20. Jahrhundert den Passagier- und Frachtlinienverkehr in die USA betrieb. 100 Jahre später wurde darin ein Hotel eröffnet. In den Zimmern hängen neben Seekarten auch alte Quittungen und Speisekarten. Und in der Hotelbar Pier 42 kann man neben modernen Mocktails klassische Cocktails nach den Rezepten des früheren Barkeepers der Schifffahrtslinie geniessen. Die Bar wurde gerade als beste Cocktail-Bar Norwegens ausgezeichnet, wie Chef-Barkeeper Slavomir Kytka stolz erklärt.
Nur ein paar Gehminuten vom Hotel entfernt wartet schon die nächste Attraktion: das neu eröffnete Nasjonalmuseet, das grösste Kunstmuseum Nordeuropas. Ein auf den ersten Blick etwas abweisendes Gebäude aus grauem Schiefer. Als Bunker wird das Gebäude des deutschen Architekten Klaus Schuwerk bereits bezeichnet. Den Eingang neben dem zierlich wirkenden Nobel-Friedenszentrum muss man fast etwas suchen. Im gut 600 Millionen Euro teuren Bau mit 86 Räumen sind gleich drei Museen untergebracht: die Kunstsammlungen der Nationalgalerie, das Museum für Zeitgenössische Kunst und das Kunstgewerbemuseum. Ein Highlight ist die gigantische Lichthalle im obersten Stock, wo Wechselausstellungen stattfinden.
Noch mehr Lust auf Kunst? Kein Problem. Im Viertel Tjuvholmen, was übersetzt «Insel der Diebe» heisst, ragt das Astrup Fearnley Museum von Renzo Piano heraus. Mit dem gläsernen Dach erinnert es an ein Segel. Darin untergebracht ist internationale zeitgenössische Kunst wie diejenige von Damien Hirst, Cindy Sherman oder Anselm Kiefer. Früher tummelten sich in diesem Quartier eher zwielichtige Gestalten, heute ist es ein schickes Ausgehviertel mit vielen Restaurants und Cafés.
Wer bei schönem Wetter nicht unbedingt in einem Museum Kunst bestaunen möchte, nimmt den Weg zum Vigelandsparken unter die Füsse. Über 200 Stein-, Bronze- und gusseiserne Statuen des Künstlers Gustav Vigeland stehen dort im drei Kilometer langen Park. Monumental ist der Monolitten, eine 14 Meter hohe Säule am höchsten Punkt des Parks, eine Monsterkonstruktion mit 121 Figuren, die übereinander in Richtung Himmel klettern. Die beliebteste Figur heisst Sinnataggen (Kleiner Hitzkopf) und stellt einen kleinen Jungen dar, der wütend mit dem Fuss auf den Boden stampft. Er ist so beliebt, dass seine Hände und Füsse glänzen, weil jeder, der ein Foto mit ihm macht, diese berührt.
Die Reise wurde unterstützt von VisitOSLO.