Trips & Travellers

Alleine im Hotelzimmer. Da war die Welt noch in Ordnung. Vor dem Dinner. Bild: Adobe Stock

Die Qual im Speisesaal

Karin Kofler

Mutprobe Speisesaal: Wenn Hotels Alleinreisenden mit der falschen Sitzordnung die Halbpension vermiesen. Solo reisen – eine Schilderung von Karin Kofler.

Solo reisen?  Schon lange kein Problem mehr für mich. Was dieses Thema anbelangt, bin ich im Verlaufe der letzten Jahrzehnte sogar komplett schmerzfrei geworden. Das heisst: Wenn ich alleine verreise, tue ich beinahe alles, was ich auch in Begleitung tun würde.

Ich amüsierte mich abends schon alleine auf der Djemaa el Fna in Marrakesch, bin in Chicago alleine in die Disco gegangen oder ins Nobel-Steakhouse. Wenn ich im Hotel bin, mache ich mich nicht künstlich unsichtbar, was andere Alleinreisende offenbar zuweilen tun. «Was, Du gehst abends alleine in den Speisesaal? Würde ich nie machen», gestand mir kürzlich ein Bekannter, der beruflich öfter reisen muss und nicht gerade eine graue Maus ist. Er bestelle im Hotel immer Room Service aufs Zimmer oder hole sich draussen an einen Take away etwas zu beissen. Alles andere sei ihm irgendwie unangenehm alleine, meinte er.

Alleinreisende: Ein unliebsamer Restposten?

Der Speisesaal als Mutprobe für Single Travellers? Ich dachte eigentlich, das Thema sei im Jahr 2022 durch. Bis ich kürzlich zwei Tage alleine in einem Upper Class Hotel im renommierten Graubündner Ferienort Arosa eincheckte. Dort wurde ich unerwartet mit dem Gefühl konfrontiert, als alleinreisende Frau reiferen Alters ohne Begleitung eine Art unliebsamer Restposten zu sein.

Es sei hier vorausgeschickt: Das von mir besuchte Hotel ist toll und sehr zu empfehlen. Bei der Sitzordnung im Speisesaal hat der Betrieb aber noch ordentlich Luft nach oben. Ja, ich müsste fast schon Rechnung stellen für den seelischen Knacks, den ich während meines Kurzaufenthaltes dort erlitten habe.

Nach einer ausgedehnten Wanderung und einem erholsamen Spa-Abstecher freute ich mich abends wie eine Schneekönigin auf mein 5 Gang Halbpensionsmenu. Als alleinerziehende Mutter, in einem Patchworkhaushalt lebend, werde ich kulinarisch nicht sonderlich oft verwöhnt und habe selten sogenannte Me time, also Zeit für mich selber.

Beschwingt betrat ich deshalb an besagtem Abend das Restaurant des Hotels. Mein neues Sommerkleidchen und eine gesunde Ferienbräune gaben mir das nötige Selbstbewusstsein, um der Kellnerin erhobenen Hauptes zu meinem Tisch zu folgen. Doch als ich sah, wo sie mich platzierte, fiel diese Attitüde wie ein Soufflé zusammen.  Ich hatte mich in einem Negativszenario auf einen Platz bei der Drehtür zur Küche gefasst gemacht oder bei der Abräumstation. Dass ich aber mit anderen alleinreisenden Damen wie auf einem Stängelchen nebeneinander an der Wand platziert werden würde, hatte ich nicht erwartet. So war es aber. Zu meiner Linken sassen zwei Frauen in meinem Alter – wir drei mussten mit dem Rücken zur Wand in den Speisesaal starren.

Auf den ersten Fauxpas folgt der zweite


Gleich in der Nähe war noch ein einzelnes Gedeck aufgetischt für einen Herrn Gröbli. Womit wir beim zweiten Fauxpas wären: Damit auch ja alle vorbeispazierenden Saalbesucher wussten, wie die bemitleidenswerten Geschöpfe heissen, die an dem Abend allein zur Verpflegung antraben mussten, waren unsere Namensschilder gut sichtbar auf dem Tisch platziert.

Während bei mir «Frau Kofler» (warum nicht gleich Fräulein Kofler?) stand, hatten die Paare und Familien das Privileg als «Gäste Müller» bezeichnet zu werden. Klingt irgendwie mehr nach warmem «Welcome» als das distanzierte «Frau Kofler». Selbstverständlich waren auch alle Fensterplätze von Paaren oder Familien belegt.

Warum nicht gleich «Fräulein Kofler»? (Shot on location. Bild: zvg)

Doch das ärgerte mich noch am wenigsten, schliesslich hatte ich auch spät gebucht.  Was aber zum Teufel war der Grund dafür war, dass der/die Chef de Restaurant alle Reisenden ohne Begleitung am selben Ort unterbrachte? Das sah nach Konzept aus. Sollte es ein gut gemeinter Versuch sein, die Alleinreisenden miteinander ins Gespräch zu bringen? Oder gar eine der Damen mit dem Herrn Gröbli zu verkuppeln nach dem Motto «Digestif & Date – bei uns kriegen Sie beides?»

Besagter Herr tauchte an dem Abend übrigens gar nicht auf (Vermutlich hatte er sich nach dem ersten Abendessen für Room Service allein im Zimmer entschieden, wofür ich vollstes Verständnis hätte). Wir Ladies blieben also unter uns, und ich war heilfroh, hatte ich ein dickes Buch dabei, in das ich mich vergraben konnte.

Je exponierter, desto paranoider

Ab und zu glaubte ich, einen mitleidigen Blick vom einen oder anderen Paartisch zu ernten. Vielleicht wars nur Einbildung oder das Zweierli Malbec, mit dem ich mein Unwohlsein zu bekämpfen versuchte. Aber das ist ja genau das Problem: je exponierter man sich fühlt, desto paranoider wird man.

Mein Versuch, beim Frühstück am nächsten Morgen ein anderes Plätzchen zu bekommen, scheiterte übrigens. Gnadenlos führte mich der Kellner an denselben Ort. Ob die Sitzordnung ein unglücklicher Zufall war oder System hatte: Sie ist sicher nicht im Sinne von Alleinreisenden, die es heute ja in immer grösserer Zahl gibt. Die Reiseveranstalter bauen ihre Programme für diese Zielgruppe laufend aus.

Im Hotel sind Einzelreisende aus ökonomischer Perspektive auch ganz lukrativ. Einzelzimmer sind bekanntlich teurer als Doppelzimmer. Soloreisen ist big business. Nicht selten bekommen die Betroffenen dafür in Hotels in den Ferien notabene nach wie vor ein mickriges 90cm-Bett. Auch das nicht gerade Labsal für die seelische Befindlichkeit.

Was Alleinreisende wirklich wollen

Was die Speisesaal-Thematik betrifft, so lautet die Forderung der modernen Alleinreisenden wie folgt: Sie möchte – wie jeder andere Gast – den bestmöglichen Tisch im Raum, egal wo. Auf welcher Seite das Gedeck liegen soll, entscheidet sie selber. Die einen gucken lieber in den Saal, andere aus dem Fenster.

Ein bisschen Privacy durch trennende Pflanzen oder Ähnliches schadet auch nicht. Ein «Single Corner» ist ein No go und kommt einer Stigmatisierung gleich. Und das Namenstäfelchen gehört im digitalen Zeitalter nun wirklich nicht mehr auf den Tisch. Muss mich ja nicht gleich jeder googeln können. Warum kann die Reception nicht beim Einchecken fragen, ob man irgendwelche Präferenzen hat betreffs Platzierung?

Wenn ich allein reise, heisst das auch nicht, dass ich dringend Anschluss suche. Ganz im Gegenteil: Ich persönlich bin froh, wenn ich K E I N E Konversation betreiben muss. In meinem vierköpfigen Haushalt will ständig einer was von mir. Ich geniesse dann einfach mal alleine meine Ruhe und brauche keinen Herrn Gröbli, mit dem ich von Wanderungen schwärmen kann.

Darum lasse ich übrigens als Single-Reisende auch die allgemeinen Begrüssungsapéros aus, die es da und dort in Ferienhotels noch immer gibt. Da müsste ich ja dann wirklich aktiv das Gespräch suchen, um nicht als Assi, als Asoziale, zu gelten. Die bessere Alternative ist ein Gutschein für einen individuellen Drink – wie es das von mir besuchte Hotel übrigens hat. 100 Punkte von mir dafür!

Sollte ich trotzdem mal Austausch suchen, krieg ich das ohne Vermittlung eines übermotivierten «Chef de Speisesaal» hin. Ich bin ja ein grosses Mädchen, und die interessantesten Kontakte sind auf meinen Trips sowieso immer dann entstanden, wenn ich es am wenigsten erwartet habe.

Was sein soll, wird sein

Vor vielen Jahren sogar mal im Spielzimmer eines Kinderhotels. Damals war ich auch im realen Leben Single, und ein cooler Typ, der mit Freunden, die Kinder hatten, in dem Zimmerchen ausharren musste, sprach mich an.

Zwischen Bäbiwagen und Legosteinen erwartet die alleinerziehende Mutter nun wirklich keinen tollen Italo, mit dem sie flirten kann. Das Beispiel zum Thema Soloreisen zeigt eben auch: Was sein soll, wird sein. Da muss der Restaurantchef gar nicht erst versuchen reinzupfuschen mit seiner Sitzordnung.


Zur Autorin

Karin Kofler war über 25 Jahre als Journalistin, Autorin und Kolumnistin tätig, unter anderem für «htr hotel revue», «Cash», «Facts», «Tages-Anzeiger», «Bilanz» und «SonntagsZeitung.»

Die Autorin reist gerne und kennt als eidg. dipl. Hotelière die Verhältnisse hinter den Kulissen. Seit Frühling 2021 ist Karin Kofler Geschäftsführerin der Zuger Wirtschaftskammer und selbstständige Publizistin.