Trips & Travellers
So erkennst du Schweizer im Ausland
Andreas GüntertIch war ausser Atem. Keine ungewöhnliche Sache, wenn man auf die Sonnenpyramide im mexikanischen Teotihuacán gestiegen ist. Aber vor allem blieb mir die Luft weg, weil der Sprachschul-Kumpel neben mir etwas sagte, das ich nicht nachvollziehen konnte.
Er zeigte auf ein Paar in Sichtweite, das beim Besteigen der Pyramide kurz Pause machte. Dann sagte der Kumpel: «Das sind Schweizer.» Und fügte im hellsten St. Galler-Dialekt an: «Aber todsichr.»
Typisch Schweizerisch: Die Kennzeichen von früher
Woran dieses Paar als schweizerisch zu erkennen war? Ich hatte keinen Schimmer. Was ich erkannte: Da waren keine Schweizerkreuze am Rucksackgestell. Das war früher das klarste aller klaren eidgenössischen Kennzeichen. Aber da war auch kein typisch helvetisches Reisezubehör wie etwa ein Messer von Victorinox im Spiel. Nix da mit einer Plastikuhr von Swatch. Skimütze der SKA Bank in weiss, hellblau und rot? Nada.
Der Kumpel blieb bei seiner Aussage. Und setzte noch einen drauf: «Die sind eben erst angekommen hier. Gestern oder vorgestern waren die noch in der Schweiz.» Wie konnte dieser Kerl das alles wissen? Und sich dabei so sicher sein? Und: Woran lassen sich Schweizerinnen und Schweizer auf Reisen im Ausland überhaupt erkennen?
Ich habe dazu mal in eine reise-affine Runde gefragt. Sehr gut gefällt mir eine Aussage von Hardy Kaiser, die unsere Aufgabe aber auch nicht einfacher macht: «Schweizer fallen dadurch auf, dass sie nicht auffallen», sagt der Chef vom Licht-Spiel-Haus in Zürich.
Aber es gibt sie schon, die Swissness-Merkmale. Schweizer, sagt Vanessa Bay von der Touristik-PR-Agentur Primcom, hätten eine andere Körperspannung als etwa Italiener oder Deutsche, «eher steif.» Was Vanessa auch sagt: «Dann gibt es Marken, die darauf hinweisen.»
Damit kommen wir der Sache und der Lösung näher. Viel näher.
«Schweizer im Ausland erkenne ich daran, dass sie im Moment fast alle On-Laufschuhe zum Casual-Outfit tragen», beobachtet Juliane Lutz vom Reiseblog Unterwegs mit Frau Lutz. Auch bei Outdoor-Bekleidung von Mammut und Freitag-Taschen tippt Lutz auf Eidgenossen.
Genau das fällt auch mir zunehmend auf. Der Turnschuh. Und die teure Outdoor-Premium-Funktions-Sportbekleidung. Allzeit ausgerüstet, um einem allfälligen Hagelwirbelsturmstarkregenschlammrutsch zu trotzen. Oder einer ordentlichen Windhose. Mindestens. Item, Schweizer bereiten sich immer gut vor auf Reisen und Ferien. Sie wissen: Vorbeugen ist besser als heulen.
Schauen wir uns die typischen Schweizer Insignien einmal genauer an. Und fragen dabei auch: Warum sind es gerade diese Swissness-Artikel und -Produkte, die ausserhalb von Switzerland Weltkarriere machen?
Swiss Spotting: Der Schuh von On
Für mich seit ein paar Jahren das wichtigste Merkmal bezüglich Swiss Spotting (danke für dieses Wort, liebe Claudia Jucker): Sportschuhe von On. Wenn ich gleich noch ein anderes Wort einführen darf: On ist in den letzten Jahren zu einer Art Volksschuh der Schweizerinnen und Schweizer geworden.
Die sind zwar meist made in Vietnam, aber eben doch ausgedacht und designt in Switzerland. Eigentlich als Laufschuh für Jogger und Sportler gedacht, jedoch viel öfter zu finden an Menschen, die langsamer unterwegs sind.
Eher in Trüllikon (Downtown) als beim Triathlon. Bezüglich Alter sehe ich On-Trägerinnen und -Träger eher in der Kohorte der ü40 als der Gruppe der u40. Was macht diesen Schuh so beliebt? Was macht ihn zum Swissness-Merkmal? Was ich mir denke: Schweizerinnen und Schweizer zeigen mit diesen Tretern, dass sie anders sind als die anderen.
Aber nur ein bitzli. Die (teuren) On-Laufschuhe verleihen ein sportliches Image, lassen sich aber auch zum Anzug tragen (oder zur Tracht). Kurz: On ist das Passwort der Swissness.
Schuhe von On Running sind bequem, bieten also Tragekomfort. Im Leben daheim und in den Ferien. Seit On-Running Shoes nicht mehr nur in sehr auffälligen Farben daherkommen, passen sie noch besser zu den Schweizern. Die ja dadurch auffallen, dass sie lieber nicht auffallen.
Typisch Schweiz: Die teure Funktionskleidung
Im Ausland können jederzeit Dinge passieren, die so in der Schweiz nicht passieren würden. Besser also, man ist gut vorbereitet und gut gerüstet. Woraus sich für Schweizerinnen und Schweizer ergibt: Gut vorbereiten, gut rüsten – gut ausrüsten.
Natürlich gibt es viele hochpreisige Outdoormarken. Oftmals sind sie so teuer, dass sich selbst vermögende Schweizer neuerdings ihre Outdoor-Teile aus zweiter Hand besorgen.
Aber kaum eine der vielen Premium-Marken zeigt so sehr wie Mammut, dass sich Trägerinnen und Träger auf eine alpine Herkunft berufen können. In diesem Outdoor-Brand steckt irre viel Berg drin, hart erdauertes Leiden über der Baumgrenze, cleveres Anhäufen und Horten von Vorräten. Überleben durch Perfektion.
Dass die Mammut-Teile heute im Ausland hergestellt werden, dass viele Kundinnen und Kunden damit eher in Dübendorf statt auf dem Dhaulagiri unterwegs sind – egal. Hauptsache, solche Funktionsbekleidung gibt Sicherheit und macht etwas her. In der Stadt und auf dem Land, bei Sonne, Regen, Sturm und Apéro.
Schweizer auf Reisen: Jeder Tag ein Freitag
Ja, die Taschen von Freitag haben mittlerweile Weltkarriere gemacht. Trotzdem würde ich hier einmal behaupten: An Schweizern hängen sie immer noch am meisten. Weil sozusagen jede Schweizerin und jeder Schweizer ein solches Teil aus rezyklierten LKW-Planen daheim hat.
Man muss sich so ein Ding auch leisten können. Der beliebte Messenger-Bag etwa liegt deutlich nördlich von 200 Euro. Was genau den Eidgenossen so gut gefällt an Freitag? Nun, jede dieser Taschen ist ein Unikat. Eine Gedanke, der natürlich gut tut beim Tragen. Und vielleicht auch ein wenig auf die eigene Person abfärbt.
In den frühen neunziger Jahren des letzten Jahrtausends fiel man noch auf mit einer Freitag-Tasche. Das ist längst vorbei. Heute fällt man eher auf, wenn man kein solches Ding trägt. Wer nicht auffallen will, mag das natürlich nicht. Und trägt also Freitag. Die ganze Woche lang. Auf der ganzen Welt.
Schweizer Merkmale auf Reisen: immer flüssig
Schweizer wissen, worauf es auf Reisen ankommt: Auf die Liquidität. Einerseits im Portemonnaie, andererseits aber natürlich auch beim persönlichen Wasserhaushalt.
Dehydrieren im Ausland – unschöne Sache. Nicht zuletzt auch deshalb, weil man nicht davon ausgehen kann, dass die Krankenkasse dafür aufkommen würde.
Deshalb also: Immer flüssig bleiben, immer viel trinken. Am liebsten aus Sigg-Trinkflaschen. Die, wie jedes Kind im Alpenland weiss, von der Schweizer Firma Sigg stammen, die 1908 gegründet wurde und seit 1917 in Frauenfeld im Kanton Thurgau produziert.
Was wohl nicht ganz jedem Kind bekannt ist: Seit 2016 gehört Sigg der chinesischen Firma Haers Vacuum Containers. Aber egal. Bezüglich Swissness gilt: Siggness rules. Und seit Pet-Flaschen mehr und mehr verpönt sind, setzt man mit einer solchen Flasche sogar ein Zeichen.
Typisch Schweiz: Aromat
Goij-Beeren, Chia-Samen, Papaya – jedes Land hat seinen Superfood. Gibt es so etwas auch in der Schweiz? Aber sicher doch. Für eingefleischte Helvetier macht die Streuwürze Aromat jedes Essen super. Und wie mir Christoph Ammann, Ressortleiter Reisen bei Tamedia, sagt, gebe es in exotischen Gefilden Schweizer, die immer ein Dösli Aromat dabei hätten. Etwa fürs Nasi Goreng oder das Chicken Curry.
Warum die Universalwürze so beliebt ist? Vielleicht deshalb, weil man damit jedes Gericht der Welt etwas einmitten oder auch neutralsieren kann. Wenn Aromat ins Spiel kommt, ist selbst das ungewöhnlichste Gericht nicht mehr so extrem, so scharf, so andersartig, so fremd.
Verdankenswerterweise hat der «Blick» die Aromat-Historie unter dem Titel «Leise rieselt das Gold» für die Nachwelt aufgeschrieben. Und den Text dabei nicht mal hinter eine Paywall gestellt. Merci, gäll.
Im Sommer 2022 fiel der ukrainischen Journalistin Olha Petriv auf, welch wichtige Rolle dieses Aromat in der der Spezialitäten-Welt der Eidgenossen spielt. Für die gute Dame ist das der «Geschmack des Bünzlitums». Was nicht ganz alle Leute lustig fanden. Drum lassen wir das jetzt hier einfach mal so stehen. Neben dem Aromat.
Parisienne: Ein verlässliches Rauchzeichen
Eines der verlässlichsten Anzeichen beim Swiss-Spotting ist die Wahl der Zigarettenmarke. Darauf können sich auch Nichtraucher verlassen. Wenn irgendwo auf diesem Planeten eine Packung Parisienne herumliegt, stecken in den allermeisten Fällen Schweizerinnen und Schweizer dahinter.
Meines Wissens ist Parisienne im Ausland – ausser bei einigen Liebhaber-Adressen – kaum erhältlich. Schweizer reisen also stets mit einem Vorrat der gelben Schachteln los. Die Zigaretten werden, so viel ich weiss, immer noch vom Schweizer Unternehmen Burrus in Boncourt, Kanton Jura, hergestellt. Burrus gehört zwar dem Tabakriesen British American Tobacco, ist aber ein echtes Schweizer Original geblieben. Im Inland wie im Ausland.
Typisch Schweiz: Was war da in Mexiko?
Zurück also auf die Sonnenpyramide in Teotihuacán. Dem Ostschweizer Kumpel waren weniger irgendwelche Markenturnschuhe oder sonstige modische Merkmale aufgefallen. Sondern etwas ganz anderes. Ich war fassungslos. Wie nahm der Kerl bloss Swissness-Witterung auf, ohne auch nur einen Sprachfetzen aufgefangen zu haben? Er gab mir einen Tipp: «Schau doch mal, was sie knabbern. Das ist nämlich typisch Schweiz.»
Und da hatten wir es: Das Paar teilte sich einen Farmer-Riegel aus der Migros. Die typische Ration Heimat, die sich viele Schweizer für die ersten Tage im Ausland einpacken. Natürlich lenkte ich meinen Weg beim Pyramiden-Abstieg an dem Paar vorbei. Ich wollte selber erfahren, ob die Länder-Taxierung aus der Ferne wirklich korrekt war. Sprach das Paar also an. Und erhielt von den beiden eine Antwort, die der Kumpel mit stolzem Grinsen quittierte: «Sali. Wettsch au eine?»
Zum Schluss noch ein kleines Panoptikum jener Dinge, welche die Eidgenossen früher noch öfter in irgend einer Art auf Reisen mitführten. Die historisch-legendäre SKA-Mütze und ein Käse fürs Raclette (tendenziell eher im Winter). Plus eine Swatch Uhr sowie mehrere Victorinox Messer (ganzjährig). Bei den Messern fällt mir auf, dass heute ebensosehr die Exemplare von Leatherman im Schwange sind.
Nicht zu vergessen das Nationalgetränk Rivella. Solche Pet-Flaschen sind im Zeitalter der Wokeness aber zunehmend von nachhaltigeren Metall-Flaschen verdrängt worden. Schokolade und Ovomaltine fehlen auf dem Bild. Sie fehlen aber auch heute oft bei den Swissies. Weil es das eh schon überall auf der Welt gibt.