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Heinz Zimmermann hat sich das 25-Jahr-Jubiläum seiner Top Line Marketing anders vorgestellt. Bild: zVg

«Bis Ende Jahr werden wir nur noch die Hälfte der Mitarbeitenden haben»

Jean-Claude Raemy

Die Coronakrise trifft auch Unternehmen wie Top Line Marketing, welche unter anderem für die Ausrichtung wichtiger touristischer Anlässe wie Visit USA, Asia Workshop und Arabian Souk verantwortlich ist, empfindlich. Was hat dies für das Unternehmen und für die genannten Anlässe für Konsequenzen? Wir haben uns hierzu mit CEO Heinz Zimmermann unterhalten.

Die Top Line Group ist eine Agentur für Marketing, Digital und Events mit Sitz in Zürich (sowie Ablegern in Deutschland und der Slowakei), welche vor 25 Jahren durch Heinz Zimmermann (58) gegründet wurde. Der eidg. dipl. Marketingleiter mit Studienabschluss in Betriebswirtschaft und Kommunikation von den Unis Genf und Zürich begann seine Berufskarriere zunächst beim Elektrotechnikunternehmen Baldor in Genf, wechselte aber schon früh in die Touristik: 1987 wurde er Leiter Profitcenter «Twen Club» bei Kuoni Reisen und war dann von 1991 bis 1995 Marketingdirektor von Kuoni Reisen und damit Mitglied der Geschäftsleitung, bevor er sich 1995 mit der Gründung der Firma Top Line Marketing GmbH selbständig machte. 2006 folgte die Gründung der Firma Top Line Event GmbH und 2011 jene der Firma Top Line Digital AG; die drei Firmen sind nun Teil der Top Line Group.

Die Verbindung zur Touristik brach indes nie ab. Zum einen bedient die Top Line Group diverse Unternehmen aus dem Tourismus, zum anderen ist Zimmermann selber als Präsident des Asia Workshop Committee, als Chairman des Visit USA Executive Committee und Chairman des US Advisory Board sowie als Vorstandsmitglied des Arabian Souk Committee aktiv. Darüber hinaus ist er Dozent und Prüfungsexperte an Tourismus- und Marketingschulen, ist Fachbeirat der IST Höhere Fachschule für Tourismus sowie gemeinsam mit Tourasia-Chef Stephan Roemer auch Hotelier auf den Philippinen.

Doch nun bricht infolge der Corona-Pandemie der Tourismus weltweit zusammen. Was hat das für Auswirkungen auf sein Unternehmen? Und was heisst das für Visit USA, Arabian Souk und Asia Workshop, drei wichtige Fixpunkte des touristischen B2B-Kalenders in der Schweiz? Travelnews hat bei Zimmermann nachgefragt.


Herr Zimmermann, Sie haben als Marketingexperte viel Kernkompetenz im Tourismus aufgebaut. Nun aber befindet sich der Tourismus in der Krise, und damit auch wichtige Unternehmen und Events der touristischen Community. Wie geht es Ihrem Unternehmen aktuell?

Sie sehen das leider richtig. Unsere Geschäftsfelder Tourismusconsulting, Marketing/Kommunikation und Eventorganisation – gepaart mit einem grossen Portfolio von Tourismuskunden – wurden aufgrund der aktuellen Situation schwer getroffen. Wir bieten natürlich noch ein breiteres Feld an Kompetenzen und Events machen bei uns effektiv auch nur einen Anteil von rund 5 Prozent des Umsatzes aus - trotzdem ist die Krise natürlich spürbar.

Was heisst dies konkret für die Top Line Group?

Konkret wurden im März innerhalb von nur drei Wochen unsere seit Jahren gut gefüllten Auftragsbücher um mehr als die Hälfte reduziert. Zusätzlich wurde, auch mit meiner persönlichen Empfehlung, ein Event um der andere abgesagt. Im Jahr 2020 konnte ausser dem Visit USA Seminar im Januar bislang kein Event mehr stattfinden, das wird 2020 auch so bleiben.

Dank sofortiger Restrukturierung und einer jahrelang angesparten Unternehmensreserve können wir diesen Wirtschafts-Tsunami kurz- und auch längerfristig überleben. Nur: Wohin die Reise geht und wie lange diese Krise andauert, ist auch für uns nicht absehbar.

Bauen Sie Stellen ab?

Leider ja. Gesamthaft hatten wir anfangs März 52 Mitarbeiter - den Grossteil davon im digitalen Bereich, dabei auch im Ausland. Bis Ende Jahr werden es in etwa noch die Hälfte der Mitarbeitenden sein. Einige haben das Unternehmen bereits verlassen.

Sind alle Geschäftsbereiche gleich betroffen?

Top Line Digital GmbH konnte sich bis anhin am besten behaupten, da digitale Transformation heute ein noch grösseres Thema ist als vor der Krise. Die Nachfrage nach Onlineshops war ebenfalls gross.

Dabei hätte 2020 ein Jubeljahr werden sollen...

Ich muss sagen, ich habe mir das Jahr des 25-jährigen Jubiläums meiner Firma ziemlich anders vorgestellt. Wir verzichten aus verständlichen Gründen nun auf jegliche Festivitäten.

«Nächstes Jahr wird es rund 30 Prozent weniger Reisebüros haben»

Wo sehen Sie noch Potential? Gibt es überhaupt noch Hoffnung für die Branche?

Der digitale Transformationsprozess wird überall ein Thema sein - jetzt muss er es sein. Zusätzlich muss man sich den neuen Marktgegebenheiten anpassen, denn es wird dramatische Veränderungen im Tourismusmarkt geben. Eine klare Positionierung, ein schärferes Profil sowie eine Anpassung der Produkte- und Dienstleistungspalette an neue Bedürfnisse und den veränderten Markt wird für die Zukunft der Marktplayer ein entscheidender Erfolgsfaktor sein. Da sehe ich für uns Chancen, denn genau diese Themenbereiche sind Teil unserer Kernkompetenz.

Wie sehen Sie die Zukunft der Reisebüros? Deren Mitarbeitende bilden ja im Kern die Besucherschaft der touristischen Anlässe, die Sie organisieren.

Als erstes muss ich die fehlende Unterstützung der Politik scharf kritisieren. Dass ein ganzer Tourismuszweig einfach fallen gelassen wird und eine Kurzarbeitsentschädigung für inhabergeführte KMUs nicht gutgeheissen wird, ist weder nachvollziehbar noch akzeptierbar. Ich hoffe, dass die Exponenten der Branche doch noch zu einem Konsens mit dem Bundesrat und dem SECO kommen werden.

Aber um die Frage zu beantworten: Ja – es gibt eine Zukunft für Reisebüros, welche einerseits kreativ sind und andererseits den absoluten Fokus auf Qualitätsberatung legen. Kundenzufriedenheit heisst vor allem auch Kundenbindung. Ein CRM ist auch bei einem Reisebüro der Zukunft ein Muss. Pragmatisch betrachtet gehe ich allerdings davon aus, dass wir im nächsten Jahr um die 30 Prozent weniger Reisebüros haben werden. Dies, weil deren finanzielle Ressourcen für die lange Durststrecke schlicht nicht ausreichen und die Inhaber das Geschäft einfach aufgeben und sich anders orientieren werden.

Wie soll ein Reisebüro «kreativ» sein?

Wie gesagt, ein CRM hilft bei der Kundenbindung. Man muss den Kunden kennen. Kreativität heisst für mich, die Normen zu sprengen. Sieht man die Anzahl Leute im Tankstellenshops, Bahnhofs-Migrolino, Coop Pronto Shops usw., dann erkennt man rasch, dass sich das Kundenverhalten in den letzten Jahren geändert hat.

Abendberatung oder gar Wochenendberatung über Skype, Zoom, Microsoft Teams etc. wie auch physische Anwesenheit beim Kunden zuhause sind Themen, welche man relativ einfach umsetzen könnte. Benötigt ein Reisebüro überhaupt noch eine fixe Lokalität? Oder eine Lokalität in Top-Passantenlage mit entsprechend hohen Fixkosten? Kann ich mit der heutigen Mobilität nicht auch den Kunden irgendwo treffen? Kommt der Kunde nicht wie bei einem Top-Restaurant zur Lokalität, weil die Qualität stimmt? Analysieren und Querdenken ist jetzt gefragt.

«Es wird nicht möglich sein, grosse touristische Ausbildungs-Events in gleicher Form wie bisher durchzuführen.»

Das gilt wohl auch für die eingangs genannten touristischen B2B-Events Visit USA, Asia Workshop und Arabian Souk. Gibt es diese Events in Zukunft überhaupt noch?

Ja, es wird auch weiterhin solche Aus- und Weiterbildungsplattformen für verschiedene Zielgebiete geben. Qualitätsberatung ist wichtiger denn je und genau aus diesem Grund hat die Tourismus-Branche solche Ausbildungsplattformen ja geschaffen.  

Allerdings ist heute noch nicht entschieden, in welcher Form die genannten Events durchgeführt werden. Aufgrund der grossen Veränderungen und der Bereinigung im Tourismusmarkt gehen wir in den jeweiligen Komitees davon aus, dass es kaum mehr möglich sein wird, in gleicher Form und mit gleich vielen Besuchern und Leistungsträgern diese Events durchzuführen - zumindest kurz- und mittelfristig nicht. Auch hier ist also Kreativität gefragt.

In allen Komitees wird in den nächsten Sitzungen über angepasste Konzepte, innovative Ideen oder neue Kooperationen diskutiert, welche den Bedürfnissen, neuen Gegebenheiten und dem Zeitgeist angepasst sind. Diese Anpassungen werden in den nächsten Monaten diskutiert und finalisiert; aktuell ist es noch zu früh, um über konkrete Auswirkungen bzw. zukünftige Modelle zu sprechen. Wir werden über die neue Form dieser Events so schnell wie möglich informieren.