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Der Speisewagen im CityNightLine fiel aus, doch es war ein Nachtessen für die 16 Studienreisen-Teilnehmer vorgesehen. Mike Jakob von Railtour musste improvisieren. Bild: CityNightLine

Notfallübung im Nachtzug – Streit um First-Class-Sitze

Welches war Ihr herausforderndster oder schlimmster Moment in Ihrer Karriere? Wir haben langjährige Touristiker nach unvergesslichen Situationen und Episoden in ihrer Tourismuslaufbahn gefragt – Teil 2.

Dass der Job des Touristikers sehr herausfordernd ist und einem gerade auf Reisen in schwierige Situationen bringt, haben wir bereits gestern aufgezeigt. André Lüthi musste mit einer VIP-Gruppe auf dem Pannenstreifen ausharren, Thomas Frischknecht musste umplanen, nachdem ein Schlepptraktor das Rundreisen-Flugzeug beschädigte, die einstige Reiseleiterin Sabine Biedermann musste miterleben, wie der lokale Guide kurzerhand einen Leguan vom Baum schoss.

Was Mike Jakob, Madeleine Rüegg-Weiss, Andreas Meier und Louis Burgess in ihrem Tourismusjob schon widerfuhr, lesen Sie heute.

Mike Jakob, Key Account Manager Railtour Frantour:

«2013 war es, als wir eine Studienreise mit 16 Schweizer Reisebüroprofis nach Hamburg geplant hatten. Zwei Stunden vor der Zugsabfahrt in Zürich erfuhr ich, dass im Nachtzug – damals der Citynightline – von Zürich nach Hamburg der Speisewagen kurzfristig ausfällt und somit das reservierte Nachtessen für die ganze Gruppe im Zug nicht möglich ist.

Was also machen, wenn man abends um 19 Uhr 16 hungrige Teilnehmer im HB Zürichin Empfang nimmt und es auf der ganzen Fahrt – immerhin sind es 12 Stunden Fahrt – nichts zu Essen gibt? Beim Zwischenstopp in Basel stürzten Gregor Studer und ich uns in die Bahnhofsläden vom Bahnhof und kauften innerhalb von weniger Minuten den halben Laden leer: Notproviant, Salate, Aufschnitt, Brot, warmes Gebäcke, Früchte, Dessert mussten her – und dazu viele Getränke, Bier und Wein.

Mit etwa zehn grossen Tragtaschen voller Proviant rannten wir durch den Bahnhof aufs Perron zurück und erreichten in letzter Sekunde wieder den Nachtzug, welcher unmittelbar nach dem Einsteigen wieder Richtung Hamburg losfuhr. Völlig durchschwitzt ging es nun an die Organisation im Zug drinnen. Doch wie serviert man logistisch ein Nachtessen, wenn die Teilnehmer auf zwei verschiedenen Schlafwagen verteilt sind? Mit dem Schaffner zusammen hatte ich die Idee, dass man die Schlafwagen-Abteile untereinander öffnen und zwischen den Abteilen ein Tisch einbauen kann. Also baute ich alle Schlafwagenabteile um und verwandelte sie in gemütliche Wohnzimmer mit je 4 Plätzen an den Tischen, dekorierte mit schönen Servietten.

Anschliessend servierten wir zwei Hauptgänge und am Schluss ein feines Dessert, natürlich alles mit Weinbegleitung, Bier und Mineral. Während drei Stunden waren wir in bester Servier-Laune, der Service war einem Restaurantservice gleich, und die ganze Studienreisegruppe in bester Festlaune. Wir waren bereits Richtung Hannover unterwegs, als wir die letzte Getränkerunde serviert hatten, und selbstverständlich mussten auch noch die Abteile wieder zurückgebaut werden, damit die Studienreiseteilnehmer schlafen konnten. Auch ich war am Schluss nudelfertig, der Aufwand enorm, aber total happy, dass wir dies mit mit viel Improvisation gemeistert hatten.»

Madeleine Rüegg-Weiss, Leiterin Knecht Schiffsreisen und Latino Travel:

«1991 zu grauer Vorzeit, als es bei den meisten Fluggesellschaften noch ein 3-Klassen-System gab, durfte ich eine exklusive Gruppe begleiten auf eine vierwöchige Reise Rund um die Welt. Sechs von zehn meiner Gäste reisten in Firstclass.

Leider mussten wir schon beim Abflug feststellen, dass Ehepaar Meier auf Sitzplatz 1 A und B gebucht ist. Das Ehepaar Müller – vor allem Herr Müller – war aber der festen Ansicht, dass dies sein Sitzplatz ist. Immer, auf jedem Flug, seit Jahren. Egal ob ein anderer vor ihm gebucht hat. Sitzplatz 2 A und B waren für ihn absolut nicht zumutbar. Und weil Herr Müller dies sehr bösartig und vor allem sehr laut betonte, hatte Herr Meier plötzlich gar keine Lust mehr, den Sitzplatz einfach so zu tauschen und beharrte stur auf den Plätzen 1A und 1B.

So reisten wir vier Wochen gemeinsam um die Welt – das sind insgesamt viele, viele Stunden, die man im und ausserhalb des Flugzeuges zusammen verbringt. Danach habe ich einige Jahre darauf verzichtet, Reisen persönlich zu begleiten.»

Andreas Meier, General Manager Radisson Blu Reussen, Andermatt:

«Als ich als Assistent F&B in einem stadtzürcher Hotel gearbeitet habe, wurde ich vom Concierge angefragt ob ich einen grossen, leeren Karton übrig habe, da ein Gast danach verlangt hat.

Nach kurzer Suche in der Küche habe ich einen solchen gefunden und ihn ins entsprechende Zimmer geliefert. Tags darauf hat der Gast, noch recht früh, nach einem Bellboy verlangt, welcher ihm Gepäck und Karton ins Taxi geladen hat. Erst Stunden später wurde uns bewusst, dass wir dem Gast den damals noch super teuren Flatscreen TV ins Taxi getragen haben.»

Louis Burgess, Leiter des Fremdenverkehrsbüros Malta in der Schweiz:

«Diese Reise in der ersten Dezemberwoche 2001 vergesse ich nie mehr. Damals war ich bei Air Malta und wir führten zusammen mit Walter Fink und dem Fremdenverkehrsamt Malta eine dreitägige <Explore Malta>-Reise mit 25 Agenten durch. Es war in den Wochen nach dem Swissair-Grounding, als am Flughafen Zürich vieles durcheinander war, auch bei der Gepäcksortierung.

Vier Agenten reisten mit Handgepäck. Das Gepäck aller anderen 21 Teilnehmer traf dann auf Malta aber nicht ein. Wir mussten improvisieren, gaben den Teilnehmern je 100 Franken, um sich das Wichtigste zu beschaffen. Ich kümmerte mich etwa um Kontaktlinsen-Mittel für einige der Teilnehmer.

Walter Fink wiederum besuchte mit einigen Reisebüromitarbeiterinnen den lokalen Markt, um Tangas zu beschaffen. Die Schweizer Touristik war als Medienpartner mit dabei, die Bilder von Walter Fink auf dem Markt mit Tangas wurden publik. Und wir müssen heute noch, fast 20 Jahre später, über diesen Trip lachen, wenn wir uns sehen. Rückblickend kann ich sagen: das Fehlen des Gepäcks hatte die Gruppe zusammengeschweisst, es gab viel zu lachen und wirklich niemand hatte sich beklagt oder reklamiert.»

Lesen Sie morgen: Über Kurt Eberhards makabres Erelbnis in einem pharaonischen Grab in Westheben und wieso Ruth Landolt in der Camargue – mit 80 SSR-lern im Schlepptau – gehörig ins Schwitzen kam.

(GWA)