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Die aktuelle Vertriebslandschaft mit den Stufen Airlines / GDS / Reisebüro / Reisender – und die künftige mit NDC. Bild: Amadeus

Kommentar NDC bringt Verlierer hervor

Gregor Waser

Der neue Airline-Standard New Distribution Capability (NDC) hält Einzug – mit erheblichen Konsequenzen.

Als der Airline-Verband IATA vor fünf Jahren NDC ins Leben rief, um den Airlines verbesserte Zusatzverkäufe zu bieten wie auch ein Tool, um Passagiere näher an sich zu binden, standen die vermeintlichen Verlierer fest: die Global Distribution Systems (GDS) Amadeus, Sabre und Travelport mit ihren Buchungsplattformen für Reisebüros.

Denn im Bestreben, die Hoheit über die Passagierdaten und den Point of Sales zu gewinnen, penalisierten die Airlines den Vertrieb über die GDS mit einer Distributionsgebühr und führten gleichzeitig direkte, gebührenfreie Schnittstellen zu grossen Reisebüros ein, um die als zu teuer bezeichneten GDS zu umgehen.

Doch von einer Ausschaltung der Distributionsstufe GDS kann heute, fünf Jahre später, nicht die Rede sein. Zumindest, wenn man sich die Sichtweise der GDS anhört. Sie unterstreichen ihre Bedeutung als neutrale Plattform, die alle Leistungsträger und Leistungen vereinigt und dem Reisebüro so für das Kundengespräch die grösstmögliche Auswahl und Vergleichbarkeit bietet. Gleichzeitig implementieren alle GDS selber einen NDC-Standard (IATA-Zertifizierung «Level 3 Aggregator») – nach Travelport auch Amadeus und Sabre.

Beziehungsstatus Airlines & GDS: Es ist kompliziert

Zur Erinnerung: eine Airline will dem Passagier neben der reinen Flugbuchung auch Zusatzleistungen verkaufen, etwa den Lounge-Zugang, WLAN an Bord oder Zusatzgepäck. Und diese Optionen wollen die GDS mit der Integration des NDC-Standards nun ebenfalls anbieten können.

Die GDS unterstreichen ihre künftige NDC-Fähigkeit mit Nachdruck. In der Kommunikation der Airlines werden die GDS aber weiterhin verteufelt. Es gibt keine Airline, die aktiv sagt, die GDS seien wichtig, oder dass sie sich freue, mit den GDS zusammenzuarbeiten. Aus Airline-Sicht sind die GDS weiterhin der Grund, dass der Vertrieb zu teuer ist. Der Beziehungsstatus in Social-Media-Deutsch würde wohl lauten: es ist kompliziert.

Mit der Etablierung des NDC-Standards, der sich spätestens in zwei Jahren flächendeckend durchsetzen soll, werden die Rollen aber neu definiert (siehe Hauptbild). Der Shop oder das Warenhaus, das bisher beim GDS lag, wandert zu den Airlines. Die GDS, die bisher in ihren Zwischenspeichern (Caches) Flugverfügbarkeiten und Leistungen horteten, um eine Reisebüro-Anfrage in Echtzeit zu beantworten, müssen künftig die vollumfängliche Reisebüro-Anfrage an die Airline weiterleiten, die dann das Angebot schnürt.

Doch jetzt erfolgt die Verwedelung der Preistransparenz. Die Airline schustert ein personifiziertes Angebot: Retourflug in der Economy-Class, samt WLAN, Zusatzgepäck, fixem Sitzplatz und Speedboarding, macht total 678 Franken. Der reine Flugtarif verschwindet im offerierten Wulst der Airline. Das GDS kann so jetzt nur noch den Gesamtpreis weiterleiten, der sich mit der Offerte einer anderen Airline und deren vermanschtem Gesamtangebot kaum mehr vergleichen lässt; oder nicht mehr transparent auf einem GDS-Screen nebeneinander darstellen lässt.

Doch wer sind nun die Verlierer?

Beginnen wir beim Passagier: Die Welt von Herrn Meier, der mehrmals im Jahr am Montagmorgen von Zürich nach Paris fliegt und am Donnerstagabend zurück, dürfte so ausschauen: Bei seiner Fluganfrage wird das Airline-Pricingsystem Herr Meiers Reisemuster erkennen und feststellen: der muss ja eh nach Paris fliegen – zu welchem Preis auch immer. Und am Preisrädchen nach oben drehen. Ein anderes Szenario wäre: Die Airline möchte ihren Stammkunden Meier beglücken und schenkt ihm zum fünften Paris-Flug in diesem Jahr als Dankeschön einen kostenlosen Lounge-Zutritt. Dieser findet das zwar toll, hätte aber eigentlich lieber einen 100 Franken günstigeren Tarif erhalten. Die Erkennung der Reisehistorie dürfte unter dem Strich in Zeiten von NDC den Passagier zum Verlierer machen.

Und das Reisebüro? Hier zeichnet sich ein erhebliches Kostenaufkommen ab. Eigene Schnittstellen zu den unterschiedlichen Airline-Systemen, um an die GDS-gebührenfreien Tarife zu gelangen, sind für ein kleines oder mittleres Reisebüro teuer. Und der Vertrag mit einem oder mehreren GDS wird ebenfalls teurer. Denn bisher zahlten die meisten Reisebüros für die GDS nichts. Im Gegenteil: sie erhielten sogar erhebliche Incentives. Die von den Airlines bisher bezahlten Segmentsgebühren an die GDS (geschätzte 5 Franken für ein Zürich – Paris), reichten die GDS zu einem erheblichen Teil (geschätzte 3 Franken), an die Reisebüros weiter. Doch die Airlines sind nicht mehr gewillt, Segmentsgebühren zu bezahlen. Damit müssen Reisebüros künftig den GDS-Vertrag selber berappen, statt Geld einzustreichen – und diese Differenz gilt es wiederum beim Kunden reinzuholen.

Sind die GDS Verlierer? Blicken sie zurück auf die vielen fetten Jahre, dann zweifellos. Das Füllhorn der Segmentsgebühren leert sich nicht mehr über ihnen aus. Sie sind gefordert, neue Einnahmequellen zu generieren. Als Technologie-Pioniere haben sie dazu zwar gute Karten, aber ob sie künftig noch genügend Reisebüro- oder Firmenkunden gewinnen können, um die teuren Technologien finanzieren zu lassen, bleibt offen.

Wie stehts um die Airlines? Das Szenario schaut für sie vielversprechend aus. Sie holen sich den Passagier und seine Reisedaten an die Brust, betreiben das Warenhaus gleich selber und können nach Gutdünken Upselling betreiben – bis hin zur Hotelübernachtung oder Automiete. Doch vielleicht unterschätzten die Airlines den Passagier. Zwar findet es Herr Meier nett, dass er einen Lounge-Zugang erhalten hat, doch wenn er sich während dem Flug mit dem Sitznachbarn austauscht und er den Eindruck erhält, dass er unter dem Strich deutlich mehr bezahlt als der Nachbar, dürfte die Loyalität schnell schwinden. Als Sieger stehen die Airlines im Zuge der NDC-Einführung noch nicht fest.