Travel Tech

«Virtual Reality wird dann spannend, wenn man eintauchen, sich bewegen, interagieren kann», sagt Jan Azzati, Mitgründer der immersiveweb AG. Bild: TN

«Die Reisebranche ist noch auf der Suche nach gutem VR-Content»

Gregor Waser

Im Interview äussert sich Jan Azzati, Mitgründer der auf Virtual Reality spezialisierten immersiveweb AG, in welchen Bereichen der Einsatz von VR sinnvoll ist – und wie die Reisebuchung von morgen aussehen könnte.

Jan Azzati, wie beurteilen Sie den heutigen Entwicklungsstand beim Einsatz von Virtual Reality in der Tourismusindustrie?

Jan Azzati: Wie in anderen Branchen auch: Es ist eher noch ein Experimentieren, ein Herausfinden, was man machen kann, als dass Virtual Reality schon eine fertige Dienstleistung mit einem Mehrwert wäre. Man möchte zeigen, dass man etwas macht, aber als User wird einem schnell langweilig. Inhaltlich ist die Reisebranche noch auf der Suche, vor allem beim Thema Storytelling. Auch bei der Technologie ist die Branche noch zaghaft. Interaktivität habe ich bisher kaum gesehen. Oft sind es Sackgass-Erfahrungen. Man hat eine Liste an Experiences, geht hier rein und wieder raus, dann dort rein und wieder raus. Virtual Reality wird aber dann spannend, wenn man eintauchen, sich bewegen, interagieren kann. Man sollte die Geschichte selber beeinflussen können, statt nur passiv zuschauen, was der Autor vorgegeben hat.

Können Sie das konkretisieren, wie das in einem Hotel oder bei einer Sehenswürdigkeit aussehen könnte?

Nehmen wir die Pyramiden in Ägypten. Statt bloss zwei, drei 360°-Fotos und Standorte zu verwenden, zwischen denen man wechselt, könnte man sich die Mühe machen, die Pyramide als realistisches 3D-Modell abzubilden. So kann sich der VR-User frei auf dem Gelände bewegen, reingehen, den Ort erleben, geschichtliche Hintergründe abrufen oder Zeitsprünge machen.

Wie aufwändig ist die Erstellung von VR-Inhalten? Kann das jeder?

Die gleiche Frage kann man bei einem simplen Foto auch stellen. Knipsen und ein Bild erstellen, ist einfach. Wenn es spannend sein soll, dann wird selbst das Erstellen eines Fotos schwierig – so auch bei VR-Content. Inhaltlich gibt es gewisse Herausforderungen. Schliesslich sollte man VR-Content machen, den man drei, vier Mal sehen will. Bis jetzt ist es eher so – und zwar branchenübergreifend –, dass der User nach zehn Minuten sagt, «ok, habe ich jetzt gesehen» und nicht mehr zurückkommt. Die Tools für die Erstellung von Content sind noch nicht da wo sie sein sollten, um das Ganze massentauglich zu machen. Eigentlich müsste das Erstellen so einfach sein, wie ein Instagram-Foto zu posten.

«Wenn es interaktiv, spannend und gehaltvoll sein soll, dann geht es schnell in Richtung der Entwicklung eines Games»

Welches wären die ersten Schritte, die Sie empfehlen?

Man muss sich überlegen, was man den User erleben lassen will, welche Message rüberkommen soll und dann die geeigneten Methoden einsetzen. Der einfachste Fall ist die 360°-Kamera, da gibt es mittlerweile schon gute, bezahlbare Consumer-Geräte. Und man kann die Inhalte auf Plattformen wie YouTube stellen, die mittlerweile 360°-Content unterstützen. Wenn es interaktiv, spannend und gehaltvoll sein soll, dann geht es schnell in Richtung der Entwicklung eines Games. Da braucht es ein Mass an Planung und Expertise. Das ist heute für einen normalen User nicht einfach zu erreichen. Da sind spezialisierte Agenturen gefragt – mit entsprechenden Kosten.

Wo orten Sie Einsatzmöglichkeiten von Virtual Reality im Tourismus?

Ich frage mich, wie spannend es ist, in ein Flugzeug oder ein einfaches Hotelzimmer hineinzuschauen. Ein Flug zu buchen, ist ja kein emotionaler Vorgang. VR ist aber das ultimative Tool, um sich Inspiration zu holen, hier sehe ich die Haupteinsatzmöglichkeit. In den Bereichen Experience, Erlebnis, Adventure, Wellness-Retreats, wo die blosse Information sekundär ist, wo es darum geht, das Erlebnis kennenzulernen, wie sich dieses anfühlt und ob es Spass macht, hier öffnet sich das Feld für VR. Interessant für die Tourismusbranche ist VR auch im Bereich Schulung. Hier könnte eine Hotelkette etwa sein Marketing- und Sales-Team trainieren, ohne die Leute in jedes einzelne Hotel zu schicken. Eine dritte Einsatzmöglichkeit ist sicherlich auch Werbung: Man bietet ein neutrales Erlebnis an und einzelne Hotels oder Tourenanbieter könnten sich dort präsentieren und Interessierte in einem positiven Kontext erreichen.

Könnte VR auch im Buchungsablauf eine Rolle spielen?

Absolut, das wäre wünschenswert. Eine Reise zu buchen ist ja immer noch etwas Mühsames, wenn man noch keine Ahnung hat, wohin man will. Man recherchiert, grast 30 Plattformen ab. Das ist Arbeit und besteht zum Grossteil aus dem Verarbeiten und Vergleichen von Informationen. Beim Reisen geht es aber nicht um Information – sondern um das Erlebnis. Wenn man dieses Erlebnis durch VR-Inhalte in den Buchungsprozess einfliessen lassen kann, ist das ein ganz anderer Ansatz, der viel spielerischer ist und mehr Spass macht.

«Ich wünsche mir eine Reiseplanung mit weniger Recherche und mehr Erlebnis. Daran arbeiten wir im Rahmen einer neuen Travel-Plattform»

Wer eine VR-Brille anzieht, sondert sich ab. Sind auch gemeinsame VR-Erlebnisse denkbar?

Absolut, da passiert derzeit viel. Etwa bei Facebook mit Facebook Spaces. Das ist ein virtueller Raum, den man mit angeschnallter VR-Brille betritt und seine Freunde einlädt. Ich bin mit den Kollegen im Raum und interagiere, kann Sachen im Raum zeichnen, Games spielen oder sagen, lasst uns mal dieses Hotel anschauen und ziehe den Inhalt oder eine andere beliebige Szenerie in den Raum hinein. Man kann potenziell alles gemeinsam entdecken und erleben, obwohl man physisch überall auf der Welt verteilt ist. Der Raum ist der Ausgangspunkt und man geht dann von dort in einzelne Inhalte rein. Andere Projekte, die in diese Richtung gehen, sind zum Beispiel Altspace VR, oder Project Sansar, das von den Herstellern von Second Life kommt und viele weitere Plattformen, die es sich zum Ziel gemacht haben ein virtuelles Parallel-Universum aufzubauen. Hier werden die Leute sein und der Content muss auf diese Plattformen – nicht irgendwo auf spezifischen Apps eines einzelnen Reiseveranstalters. Gerade der Teil Social-VR ist extrem wichtig, abgesondert zu sein von der Umwelt ist komisch. Das verfliegt sofort, wenn andere Leute mit im VR-Raum sind.

Welche Projekte verfolgen Sie bei der immersiveweb AG?

Wir sind überzeugt vom Anwendungsfall von VR in der Reisebranche – in Kombination mit anderen neuen Technologien. Heutige Plattformen schöpfen das Potenzial dieser Technologien bei weitem nicht aus. Ich wünsche mir eine Reiseplanung mit weniger Recherche und mehr Erlebnis. Daran arbeiten wir im Rahmen einer neuen Travel-Plattform. Viele adaptieren VR einfach als neuen Baustein zu bestehenden Produkten. Wir glauben, dass man die gesamte User Experience neu überdenken muss, um solche Technologien mit einem echten Mehrwert einzubinden.