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Alice Schäffeler in den Umbrella-Büros in Wetzikon: Die Nachfrage von Seiten Reisebüros für Schulungen und IT-Beratung war während der Pandemie gross. Bild: JCR

«Umbrella liegt umsatzmässig derzeit deutlich über den Zahlen von 2019»

Jean-Claude Raemy

Der Reisetechnologieprovider aus Wetzikon konnte während der Pandemie mehrere Produkterweiterungen kommunizieren - und hat auch bei den User-Zahlen deutlich zugelegt. Travelnews hat sich mit Produktmanagerin Alice Schäffeler vor Ort über die Erfolgsgründe unterhalten.

Umbrella AG, der Wetziker Anbieter von Midoffice-Lösungen und weiteren Services für die Reisebranche, wurde 2018 an das deutsche Technologieunternehmen Midoco verkauft. Seitdem und auch während der Pandemie brachen die Innovationen und Erweiterungen des Produktportfolios beim Reisetechnologie-Keyplayer nicht ab, im Gegenteil. Wie tickt das Unternehmen mit dem grossen Kundenstamm in der Schweiz und in anderen Ländern? Wie ist es durch die Pandemie gekommen und was ist noch in der Pipeline? Travelnews hat sich hierfür im Büro in Wetzikon mit Alice Schäffeler, der langjährigen Produktmanagerin von Umbrella, unterhalten.


Frau Schäffeler, wie ist es Umbrella in den vergangenen zwei Pandemiejahren ergangen? Lässt sich das irgendwie in Zahlen festhalten?

Ich darf festhalten: Uns geht es momentan sehr gut. Aktuell liegen wir für die ersten vier Monate 2022 umsatzmässig um 20 Prozent über dem vergleichbaren Level im Jahr 2019. Natürlich gingen die Umsätze zunächst zurück, nachdem viele bestehende Kunden ihre Umbrella-Userzahlen herunterfuhren und somit Kosten sparten. Doch schon bald wurde uns klar, dass die Reiseunternehmen die Zeit hatten und sich auch nahmen, um sich mit ihren eigenen Prozessen und Systemen auseinanderzusetzen. Die eigene Systemlandschaft wurde also hinterfragt, und wir erhielten wahnsinnig viele Anfragen für Präsentationen. Erfreulicherweise konnten wir dann einige Reisebüros noch während der Pandemie zu einem Wechsel auf Umbrella.net überzeugen. Jetzt, wo alles wieder läuft, haben wir also bessere Userzahlen als noch 2019.

Darüber hinaus konnten wir im Jahr 2020 ein Grossprojekt, welches wir vor der Pandemie gestartet hatten, erfolgreich abschliessen. Das hat uns in finanzieller Hinsicht natürlich über die Runden geholfen.

Musste Umbrella denn keine «lebenserhaltenden Massnahmen» ergreifen?

Doch, wir haben bei Pandemiebeginn, als alles heruntergefahren wurde, selber auch Kurzarbeit beansprucht. Wir konnten den Support auf das nötige Minimum reduzieren, während wir in der Entwicklung und im Projektmanagement so gut es ging weiterarbeiteten. Wir kamen aber schon früh wieder aus der Kurzarbeit heraus - aus den vorhin genannten Gründen.

Hätten Sie so einen Erfolg erwartet?

Auf keinen Fall. Wir fürchteten um das geschäftliche Überleben unserer Kunden, insbesondere der Grosskunden, und damit um uns selber. Dass wir so gut durch die Krise gekommen sind, spricht einerseits für uns, andererseits auch für die Effektivität der Hilfsmassnahmen, aber vor allem auch für die Widerstandsfähigkeit der Reisebranche insgesamt.

Euer Wachstum ist insofern auch erstaunlich, weil doch die Gesamtzahl der Schweizer Reisebüros in den letzten Jahren ziemlich gesunken ist.

Das ist schon so. Doch es war auch so, dass viele Reisebüros einfach kein Midoffice hatten bzw. teils immer noch keins haben. Sie haben lange die Vorteile einer Midoffice-Anbindung nicht erkannt, oder scheuten die Kosten - in unserem Fall sprechen wir von 74 Franken pro User pro Monat im Basismodul. Damit hat man extrem viele Möglichkeiten und kann viel Zeit sparen. In der Pandemie-Zeit, als viele Reisebüros sich neu aufstellen mussten, hatte man wie erwähnt Zeit, um sein Business zu überdenken. Da war man personell nicht mehr «am Anschlag», konnte Migrationen sauber aufgleisen und sich in Ruhe schulen. Vorher war man oft ausschliesslich mit Reiseverkauf beschäftigt, so dass IT-Überlegungen zu kurz kamen. Man könnte sagen, die wegen dem Nachfrageschwund gewonnene Zeit konnte für eine Professionalisierung des Unternehmens genutzt werden.

«Viele Reisebüros hatten kein Midoffice - manche haben jetzt noch keins. »

Manche Reisebüros wissen wohl gar nicht, was ihr alles anbietet. Können Sie einen kleinen Pitch zum eigenen Produkt in wenigen Sätzen machen?

Umbrella.net ist eine Web-Applikation, auf die man von überall her zugreifen kann - es braucht nur Internet und ein Login. Also keine Installationen, man braucht keinen IT-Spezialisten, nur etwas Rechnerleistung und einen Browser. Die in der Schweiz gängigen Reservatonssysteme sind alle angebunden. Wenn man bucht, wird alles automatisch in den Auftrag überspielt, z.B. nach Ticketausstellung oder Abschluss einer Cets-Reservation. Man hat praktisch ohne manuellen Aufwand den Auftrag, die Rechnung, das Reiseprogramm, den Kunden und mehr übersichtlich beisammen. Man kann sich Tasks setzen, manuell oder automatisch, für die Vor- oder auch Nachbearbeitung jeder Reise. Die Handhabung ist einfach und intuitiv.

Vor allem aber erhält man bei uns eine sehr kompetente Beratung von langjährigen Fachleuten. Jeder Mitarbeitende hier hat selber auch mehrjährige Reisebüro-Erfahrung. Die Kundenzufriedenheit ist für uns das Wichtigste.

Das System ist modular aufgebaut, nicht?

Ja, wir verfügen über 16 Module, die man bedürfnisgerecht nutzen kann. Wir bieten Verwaltungs-, Buchhaltungs- und Reporting-Tools, aber das Herzstück ist die Auftragsbearbeitung. Dazu haben wir in den vergangenen Monaten mehrere ergänzende Dienstleistungen lanciert, etwa die Einbindung von Passolution zwecks einfacher Einbindung aktueller Reiseinformationen, oder Mietwagenbuchungen mit einer Anbindung von Sunny Cars ermöglicht, oder die Zahlungsmöglichkeiten erweitert, etwa mit Anbindung an Twint. Ebenso haben wir auf neue Marktgegebenheiten reagiert und beispielsweise ein Tool entwickelt, das die neuen Promille-Abgaben an den Garantiefonds bei Pauschalreisen automatisch berechnet. Nicht zuletzt haben wir die Erstellung von Reiseprogrammen durch die Anbindung der «Destination Books» von JPM Guides verbessert.

Das klingt nach vielen Investments in einer unsicheren Zeit...

Wir haben den Fokus zuletzt auf die Funktionalitäten gelegt, die in der Schweiz benötigt werden, sowie, wie am Beispiel Passolution zu sehen ist, auch Lösungen für Covid-spezifische Herausforderungen erarbeitet. Wir entsprechen hier ganz klar den Bedürfnissen, die wir in vielen Gesprächen mit der Branche erörtern. Wir haben uns dadurch beispielsweise auch schon fit gemacht für QR-Rechnungen, welche bekanntlich ab 1. Oktober 2022 die ESR-Rechnungen definitiv ablösen werden. Da sind wir deutlich weiter als manche Mitbewerber. Ebenso haben wir das Cockpit von Aerticket angebunden, ein weiteres Buchungssystem, das hierzulande immer mehr Reiseunternehmen nutzen, da haben wir gemeinsame Kunden. Wir haben auch einen Kreditkarten-Erfassungslink eingerichtet, der eine 3DS-Verifizierung beinhaltet und den Endkunden übermittelt werden kann - dies vor dem Hintergrund, dass das Reisebüro laut heutiger Gesetzgebung die Kreditkartendaten des Kunden nicht mehr bei sich haben darf.

Wir wollen einfach den Reisebüros, die einen schwierigen Job zu erledigen haben, möglichst viel Unterstützung bieten, damit sich diese auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Das gelingt uns derzeit ziemlich gut. Alle genannten Neuerungen kamen im Markt jedenfalls sehr gut an.

Sie haben auch ein Projekt mit Agenturkarten am laufen. Das wurde aber noch nicht umgesetzt?

Da haben wir viel investiert und dieses angekündigt; es wird noch im Verlauf dieses Jahres im Markt lanciert. Konkret geht es darum, dass man für Kunden gewisse Reise-Dienstleistungen im Voraus bezahlt, zum Beispiel Sitzplatzreservationen oder andere Services - herkömmliche Tickets darf man nicht so im BSP bezahlen. Jedenfalls wird dafür eine Reisebüro-Firmenkarte benutzt, das kann eine Kreditkarte oder andere Kartenform sein. Anschliessend wird dem Kunden eine Rechnung geschickt. Kurz: Kreditor ist bezahlt, Debitor ist offen. Das ist buchhalterisch nicht ganz trivial zu managen. Damit Reisebüros solche Dienstleistungen erbringen können und buchhalterisch nicht im Chaos versinken, bieten wir hier Hilfe - damit dies alles in einem Auftrag ist, können solche Vorgänge im Umbrella abgebildet werden. Das ist eine neue Funktion.

«Umbrella Faces ist wahnsinnig erfolgreich und wird immer noch massiv ausgebaut.»

Mal anders gefragt: Für wen ist Umbrella.net nicht geeignet?

Wir sind auf Retailing und Geschäftsreisen fokussiert. Für Bedürfnisse von Reisebüros, die selber Gruppenreisen oder TO-Angebote erstellen wollen, sind wir nur bedingt geeignet. Eigentlich sollten Reisebüros, die in grösserem Rahmen als Veranstalter aktiv sind, ein TO-System anbinden. Wir merken, dass hier eine Nachfrage da ist für ein neues Produkt, welches dem Phänomen «Mikrotouroperating» besser entgegenkommt. Es bräuchte hierfür aber eine Neuentwicklung. Und so etwas ist alles andere als einfach. Wir führen Gespräche mit unserem deutschen Inhaber Midoco, ob man in diese Richtung etwas unternehmen soll; aktuell tendiert es eher zu einem Nein, da bereits andernorts solche Systeme existieren und eine Eigenentwicklung sehr teuer ist. Dort staunt man sowieso immer noch darüber, wie in der Schweiz die Grenze zwischen Veranstalter und Reisebüro verschwommen ist.

Haben Sie denn sonst Neuheiten in der Pipeline?

Ja, wobei ich hierzu noch nichts verraten darf. Wir sind weiterhin nah bei den Schweizer Kunden und im permanenten Austausch mit Midoco. Einige Produkte entstehen in Zusammenarbeit mit Kunden, teils gar mit Kostenbeteiligung von diesen. Im vorliegenden Fall wird es um ein anbietergetriebenes, «internes» Produkt gehen. Wir sind übrigens generell immer damit beschäftigt, unser Produkt zu verbessern - beispielsweise werden wir bei regelmässig auftretenden, immer gleichen Support-Fällen aktiv.

Wir haben noch nicht über ein weiteres Standbein von Euch, Umbrella Faces, gesprochen. Wo steht man hier?

Dies wurde von unserem früheren Chef Martin Bachmann, der ein echter Visionär ist, gemeinsam mit Amadeus Österreich ins Leben gerufen und war sicherlich ein Treiber für den Kauf durch Midoco. Faces ist wahnsinnig erfolgreich und wird immer noch massiv ausgebaut. Man muss sehen: Umbrella.net ist auf die Schweiz ausgerichtet, das Profilmanagement-Tool Umbrella Faces ist aber international ausgerichtet und stark skalierbar. Vor der Pandemie gab es auf Faces 2,6 Millionen Profile, nach der Pandemie sind es nun bereits 5,6 Millionen, davon 1,4 Millionen allein in den USA.

Was muss man sich unter Umbrella Faces genau vorstellen?

Das ist ein Tool, welches hauptsächlich von Travel Management Companies eingesetzt wird, um Reisenden die Möglichkeit zu geben, ihr Profil mit all ihren Reisepräferenzen, Passinformationen und Reisedaten zu aktualisieren. Dieses Profilierungstool beschleunigt den Buchungsprozess für Reisende und stellt sicher, dass alle Daten in einem sicheren Knotenpunkt gespeichert sind, sodass man nicht mehrere Profile für Geschäftsreisen aktualisieren und viele verschiedene Formulare ausfüllen muss. Wir nennen das den «Single Point of Truth». Beispiel: Eine Reisende speichert eine bestimmte Memberkarte im Faces. Von dort aus wird die Information dann direkt in alle relevanten Systeme gespeist. Das gilt auch für Reiserichtlinien. Personenbezogene Informationen müssen nicht bei jeder Änderung manuell in diverse Plattformen gespeist werden. Im Faces kann man selber Felder aufsetzen, die man an die eigenen Systeme angeschlossen hat. Das ist mit den meisten anderen Systemen nicht möglich und sorgt unter Fachleuten immer wieder für Erstaunen.

Sprechen wir denn hier von Personen- oder Firmenprofilen?

Es sind Firmen angehängt, welche wiederum die Profile pflegen. Es ist ein ähnliches Prinzip wie Galileo Client Files - welche wir übrigens mit Faces auch alimentieren.

«Es gibt ein Projekt für den künftigen Einstieg in ähnlich wie die Schweiz gelagerte Märkte.»

Faces ist eine Cash-Cow, euch geht es gut. Das ist gut zu hören. Gibt es aber nicht auch noch grosse Herausforderungen, die auf Euch zukommen?

Wir haben vorhin den «Reisebüro-Schwund» berührt. Das merken wir momentan nicht, zumindest nicht an unseren User-Zahlen, wobei vielleicht hier gerade eine Umverteilung stattfindet. Aber natürlich verfolgen wir, was passiert. Die Herausforderungen sind vor allem auf der Seite unserer Kunden. Die Branche hat einen enormen «Brain Drain» durchlebt, musste in Kurzarbeit Unmengen an Annullierungen behandeln und mit gehässigen Kunden umgehen. Dafür ist den Reisebüros höchster Respekt zu zollen. Und jetzt mit dem Buchungsboom steht man wieder vor alten Problemen: Alles ist über diverse Frontends buchbar, doch es bleiben grosse Fragen, wie das alles ins Backend kommt. Umbrella hat da sicher noch lange eine wichtige Rolle zu spielen.

Allerdings schauen wir schon auch über den Tellerrand. Es gibt ein Projekt für den künftigen Einstieg in ähnlich wie die Schweiz gelagerte Märkte. Dafür braucht es aber Leute mit lokalen Kenntnissen. Eine solche Expansion ist also eine künftige Herausforderung.

Kann eigentlich Midoco hierbei auch als Konkurrent angesehen werden?

Wir sehen sie natürlich nicht als solche und tauschen uns regelmässig aus. Selbstverständlich gibt es Schweizer Unternehmen, welche sich in deutschen Systemlandschaften umsehen, das passiert umgekehrt aber auch. Ein Problem ist das nicht. Unsere Kunden haben, was sie brauchen. Und das Reisebüro-Business in Deutschland hat systemtechnisch andere Anforderungen. In diesem Zusammenhang ist es sicher nicht Deutschland, wohin wir als Umbrella.net allenfalls zu expandieren gedenken.

Wie gross ist Umbrella, hier in der Schweiz, überhaupt?

Total arbeiten für uns 16 Personen, davon 13 in Wetzikon, die anderen in Österreich, Deutschland und Grossbritaniien - teils in Teilzeit, es sind also nicht ganz 16 FTE. Wir haben hier das Produktmanagement, die Entwicklung, den Support, das Marketing, die Buchhaltung sowie ein dediziertes Faces-Team. Wir führen Beratungen, Schulungen und Anlässe durch, und dürfen hier ziemlich autonom von Deutschland agieren. Das macht die Zusammenarbeit mit Midoco auch so erfreulich und erfolgreich. Ich plane jetzt übrigens ein grosses Umbrella-Treffen für grosse und kleine Kunden, die sich dann frei austauschen können, das wird ein toller Anlass.

Zurück zu den Herausforderungen: Wie beeinflusst der Trend hin zu immer mehr NDC-Buchungen die Arbeit mit bzw. bei Umbrella?

Im Bereich NDC haben die Kollegen von Midoco in den letzten Jahren viel Erfahrung durch die Anbindung von NDC-Plattformen und die Teilnahmen in IATA NDC Foren gesammelt. Innerhalb der Gruppe können wir auf diesen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Es lief bisher jedoch noch nicht so viel, was Backend-Lösungen betrifft.

Ein weiteres Thema ist die DSGVO, das Datenschutzgesetz - wir sind auch dafür eigentlich schon weitestgehend vorbereitet und können hierbei von der bereits vorhandenen Erfahrung bei Midoco profitieren. Allerdings wird dies ja in der Schweiz erst Ende 2023 umgesetzt.

Man kann also summa summarum sagen, dass Umbrella sehr gut aufgestellt ist für die Zukunft?

Das kann man genau so sagen.